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Verkehr & Smart Mobility

Standpunkte Raus aus den Gräben

Ralph Obermauer, Leiter der Stabsstelle Mobilität und Fahrzeugbau im IG Metall Vorstand
Ralph Obermauer, Leiter der Stabsstelle Mobilität und Fahrzeugbau im IG Metall Vorstand Foto: promo

Die Debatte über eine zukunftsfähige Mobilität gleicht einem Kulturkampf. Doch dafür fehlt angesichts des Klimawandels die Zeit, es besteht akuter Handlungsdruck. Auch für die IG Metall war es schwer genug, sich zur Elektromobilität zu bekennen.

von Ralph Obermauer

veröffentlicht am 17.07.2023

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Grabenkämpfe, Straßenwut, Krach der Milieus: Die Mobilitätswende könnte wirklich besser laufen. Wutunternehmer kochen jedes Anliegen zu Aufregern hoch, Fachleute erklären Steuerdetails zu klimapolitischen Entscheidungsschlachten und alle fordern freie Fahrt vor allem für die eigenen Alltagsgewohnheiten. Schlechter wendet sich derzeit nur die Wärme. Dabei haben wir als Gesellschaft gar keine Zeit für abgedroschene Kulturkämpfe. Denn der Zeitdruck durch Klimakrise und Klimaziele ist enorm. Wir brauchen schnelle, realistische, mehrheitsfähige Veränderungspfade und klare Prioritäten für den Einsatz unserer finanziellen und politischen Ressourcen. Wir müssen raus aus den Gräben.

Auch in der IG Metall verlaufen diese, oft zwischen unseren Kolleginnen und Kollegen. Die erste fordert neue Straßen gegen Staus, der nächste autofreie Innenstädte, eine wütet über Rüpel-Radfahrer, der nächste will ein Tempolimit. Sehr viele leben von der Herstellung von Pkw, Lkw und allem, was dafür zugeliefert werden muss; viele auch von Bahnen, Schiffen, Flugzeugen. Nicht zuletzt deshalb führt die IG Metall seit gut einem Jahr eine Debatte zur Mobilitätswende. Wir müssen entpolarisieren, denn es muss und wird sich viel verändern, und zwar schnell: Speed Matters!

Der stetig wachsende Verkehr führt zu massiven Problemen für die Lebensqualität in den Städten und Kommunen, zu hohem Verbrauch knapper Ressourcen und zu sehr hohen Treibhausgasemissionen. Das Ausmaß der nötigen Veränderungen rechtfertigt den Begriff der Mobilitätswende. Sie hat vier grundlegende Aspekte: Wir müssen Teile des Verkehrs auf andere Verkehrsträger verlagern, Verkehr künftig zwischen Verkehrsträgern effektiv und digital vernetzen, unnötigen Verkehr vermeiden, und auf klimafreundliche Antriebe wechseln. In allen vier Bereichen besteht Handlungsdruck. Es gibt hier kein Entweder-Oder!  

Ohne Antriebswende keine Mobilitätswende

Wer meint, mit Forderungen nach mehr Schiene, Rad und ÖPNV schaufelte sich die IG Metall wohl die Gräber ihrer Automobilarbeitsplätze, kann den Reflex durch einen kurzen Blick auf die Zahlen zu Pkw-Besitz und -Verkehr in Deutschland beruhigen. Die deutsche Automobilindustrie steckt zwar in Schwierigkeiten, doch die Bedrohung kommt nicht von Bus und Bahn. Der motorisierte Individualverkehr wird eine Säule der Mobilität bleiben. Er kann, sollte und wird in Zukunft Wege und Kilometer an andere Verkehrsträger abgeben, durch kluge intermodale Vernetzung und eine neue Rolle im Zusammenspiel der Mobilitätsträger. Auf dem Land sieht das sicher anders aus als in der Stadt, wo er vielleicht auch noch die ein oder andere Fahrspur abgeben wird. Das sollten im Übrigen die Kommunen gerichtsfest selbst entscheiden dürfen. 

Mobilitätswende ist also mehr als Antriebswende, definitiv. Doch dieser oft reflexhaft vorgebrachte Satz gilt auch umgedreht: Ohne Antriebswende brauchen wir gar nicht erst anzufangen. Denn sie ist der weitaus größte Hebel für die schnelle Reduktion von Klimagasen – das zeigen alle einschlägigen Szenarien. Der Ausbau von ÖPNV und Schienenwegen muss kommen, doch er benötigt viel Zeit und Geld. Wir brauchen mehr intermodalen Verkehr, doch Gewohnheiten sind träge. 

Unnötige Fahrten und Transporte sollten unterbleiben, doch noch wächst der Verkehr. Selbst wenn all das besser gelingt als bisher, bleibt eine dominierende Gewissheit der Verkehrswende: Enorme Mengen von Personen und Gütern bewegen sich auch in Zukunft über die Straßen, Pkw und Lkw bleiben zentrale Verkehrsträger. Ihr Wechsel auf klimafreundliche Antriebe hat daher höchste klimapolitische Priorität! 

Stimmungsmache gegen Elektromobilität

Leider läuft der nicht besonders gut. Der Austausch alter Verbrenner durch E-Autos hat zwar begonnen, doch er stockt. Die Bundesregierung hat die Kaufprämien viel zu früh gekürzt, der erhoffte Preisverfall bei Batterien verzögert sich, bezahlbare E-Fahrzeuge lassen auf sich warten, die Ladeinfrastruktur wächst viel zu langsam. Eine Ladeinfrastruktur für Lkw ist noch kaum sichtbar, dabei sind die Fahrzeuge serienreif und das CO2 Reduktionspotenzial im Straßengüterverkehr gigantisch. Auch mit Blick auf die Haushaltsverhandlungen: Gerade jetzt ist es wichtig, massiv in das Lkw-Ladenetz zu investieren. 

Man hat immer noch nicht den Eindruck, dass die Bundesregierung diesen Projekten die nötige Priorität einräumt. Denn der Antriebswechsel auf der Straße ist kein Selbstläufer. Politik muss kraftvoll an den infrastrukturellen, wirtschaftlichen und energiepolitischen Voraussetzungen arbeiten. Und während die größten Exportmärkte USA und China sich klar batterieelektrisch orientieren, Tesla Verkaufsrekorde bricht, chinesische Hersteller auf den europäischen Markt drängen – und deutsche auf dem chinesischen schwächeln – wird hierzulande weiterhin Stimmung gegen Elektromobilität gemacht, zur Not auch mit „alternativen“ Fakten. Hier, nicht im Rad- oder Bahnverkehr, liegt die wahre Bedrohung für die deutsche Automobilwirtschaft.  

Für die IG Metall war es schwer genug, sich zur Elektromobilität zu bekennen. Denn die Probleme mit geringerer Arbeitsnachfrage im Elektro-Antrieb sind seit Jahren bekannt und der Abbau von Arbeitsplätzen vor allem in der Zulieferbranche ist schmerzhaft und massiv. Doch wir tun unseren Mitgliedern keinen Gefallen, wenn wir uns an auslaufende Technologien klammern und ihnen falsche Hoffnungen machen. 

Falsche Träume von der Rettung des Verbrenners

Leider haben immer noch sehr viele Unternehmen keinen Plan für den Weg in die neue Mobilität. Unser Weg ist die Mitbestimmung bei der Transformation der Standorte, der Kampf um Zukunftsprodukte, Qualifizierung und Weiterbildung, Teilnahme an vernetzter regionaler Strukturpolitik und das Einfordern aktiver Industriepolitik für neue Wertschöpfung. 

Falsche Träume von der Rettung des Verbrennungsmotors durch massenhaft klimaneutralen Kraftstoff sind dabei nicht hilfreich. Wir brauchen strombasierte Kraftstoffe aus grünen Energien für Schiffe und Flugzeuge, wir brauchen grünen Wasserstoff zur Dekarbonisierung der Grundstoffindustrie. E-Fuels bleiben knapp, teuer, wenig verfügbar für Pkw. Warum sendet die Bundesregierung lautstark Signale durch Europa, die gut begründete Industrieentscheidungen infrage stellen, Beschäftigte und Verbraucher verunsichern und gefährlichen Attentismus erzeugen? 

Der Staat muss einen verlässlichen Rahmen setzen. Auch der Ausbau der Infrastruktur hält mit Deutschlands Klimazielen nicht Schritt, sei es bei der Ladeinfrastruktur, der Schiene, der Wasserstoffinfrastruktur oder dem flächendeckenden 5G Netz. Die Politik braucht einen klaren Fokus auf diese Infrastrukturen. Finanz-ideologische Scheuklappen braucht sie nicht. 

Wenn der Rahmen stimmt, dann kann auch die Innovation der Geschäftsmodelle und die Weiterbildung der Beschäftigten noch schneller vorangehen. Mit Zukunftstarifverträgen – wie zum Beispiel jüngst bei Bosch Mobility Solutions – können wir als IG Metall die Transformation von Produkten und Standorten aktiv und unter Beteiligung der Beschäftigten vorantreiben. Eine offensive Aus- und Weiterbildungspolitik hilft zusätzlich. Hier ist das aktuell beschlossene Weiterbildungsgesetz ein echter Lichtblick, der zeigt: Die Politik kann die Transformation aktiv und klug unterstützen, wenn sie will. Mehr davon!

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