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Verkehr & Smart Mobility

Standpunkte Rechts überholt: EU-Verkehrspolitik als Green-Deal-Washing

Anna Deparnay-Grunenberg, Grünen-Abgeordnete im EU-Parlament
Anna Deparnay-Grunenberg, Grünen-Abgeordnete im EU-Parlament

Vieles, was neuerdings in der EU-Umwelt-Politik passiert, ist ein Trauerspiel, gerade auch in der Verkehrspolitik. Hier agieren Konservative und Liberale so, als gäbe es kein Morgen.

von Anna Deparnay-Grunenberg

veröffentlicht am 20.03.2024

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Greenwashing gehört untersagt, da waren wir Demokraten uns im EU-Parlament einig. Deshalb verabschiedeten wir vergangene Woche parteiübergreifend eine sogenannte „Richtlinie über Umweltaussagen“, die Verbraucher vor irreführender Information schützen soll. Ironie in Wahlkampfzeiten: Nur einen Tag später bescherte uns eine konservativ-liberale Mehrheit die EU-Abgasnorm Euro 7. Die bringt im Vergleich zu Euro 6 so wenig Verbesserung, dass sie eine Pseudoregulierung darstellt und somit selbst reinstem Greenwashing gleicht.  

Tatsächlich ist vieles, was neuerdings in der EU-Umwelt-Politik passiert, ein Trauerspiel, auch und gerade, was meine Domäne, die Verkehrspolitik, betrifft. Hier agieren Konservative und Liberale inzwischen so, als gäbe es kein Morgen. Gerade etwa haben sie in erster Lesung dafür gestimmt, extralange Lkw, sogenannte Gigaliner, durch ganz Europa zuckeln zu lassen. Sollte das Gesetz durchgehen, müssten wir riesige Summen dafür ausgeben, Tunnel, Brücken, Kurven für die Monstertrucks tauglich zu machen. Dabei fehlt es Deutschland schon jetzt an Geld, um die Straßen-Infrastruktur zu erhalten. Erst recht mangelt es an Mitteln, um die Schiene auszubauen und endlich mehr Verkehr dorthin zu verlagern.  

Was wir uns aber noch viel weniger leisten können, ist die neue Bummelei bei der Antriebswende. Zur Erinnerung: Wir – das heißt allen voran die CDU-Frau Ursula von der Leyen – haben uns am Anfang der Legislatur vorgenommen, bis 2050 die CO2-Emissionen auf null zu bringen. Null! Das ist der Kern des Green Deals. Dabei haben wir zunächst große Erfolge erzielt, das Verbrenner-Aus auf den Weg gebracht, ebenso den Ausbau des Ladesäulennetzes, damit all die neuen Elektrofahrzeuge wirklich überall am Ziel ankommen. Erst vor wenigen Wochen hat die Kommission für 2040 als Klimaziel 90 Prozent weniger Emissionen im Vergleich zu 1990 vorgegeben.  

Effektive Maßnahmen statt Pseudo-Politik

Doch wie sollen wir in der Praxis dahinkommen, wenn mehr als die Hälfte der Politiker*innen gerade bei der Verkehrspolitik auf der Bremse steht? Statt Pseudo-Politik bräuchten wir unbedingt effektive Maßnahmen zur Dekarbonisierung. Schließlicht trägt der Transport von Menschen und Gütern entscheidend dazu bei, das CO2 in der Luft zu erhöhen. So monierte vergangene Woche das Umweltbundesamt, der Verkehrssektor habe 2023 als einziger sein gesetzlich vorgeschriebenes Ziel bei den Treibhausgasen erneut deutlich verfehlt. Das Amt empfiehlt dringend „den Ausbau der Elektromobilität“.    

Der Verkehr ist nicht nur Treibhausgas-Schleuder: In Deutschland ist er zudem für rund die Hälfte der sogenannten Partikelemissionen verantwortlich, wozu Rußteilchen oder Bremsabrieb gehören. Außerdem verursacht der Verkehr 37 Prozent der Stickstoffoxide. Er heizt somit nicht nur dem Klima ein, sondern führt schleichend zu Leid und Tod durch Luftverschmutzung. Stickoxiden allein werden in der EU 430.000 Tote pro Jahr zugeschrieben.  

All das haben Konservative und Liberale inzwischen zu Gunsten des Wahlkampfes verdrängt und überbieten sich dabei, Umweltmaßnahmen zu canceln. So fordern Abgeordnete wie der CDU-Mann Jens Gieseke sogar explizit das Aus vom Verbrenner-Aus, andere befeuern eine regelrechte Kampagne gegen Elektromobilität, unter anderem mit einer Tabelle, die auf grundfalschen Fakten beruht und kürzlich durch die Boulevardzeitungen geisterte. Da hilft es wenig, dass ein Autoexperte wie Ferdinand Dudenhöffer das nachher mit „fast schon ein Taschenspielertrick“ abwiegelt und Konservative für ihre Rolle rückwärts geißelt.  

Euro 7 als Geschenk an die Autoindustrie

So funktioniert eben Green-Deal-Washing: Einerseits so tun, als halte man am Green Deal fest – andererseits wichtige Maßnahmen blockieren, verwässern, zurückdrehen. Siehe Euro 7. Die Abgasnorm wäre DIE Chance gewesen, endlich für gute Luft in unseren Städten zu sorgen. Leider haben Konservative und Liberale zusammen mit den Rechten daraus ein Geschenk an die Autoindustrie gemacht. Dabei war der Lobbydruck gar nicht allzu stark, viele Autohersteller hatten längst mit strengeren Vorschriften gerechnet.  

Die Abgaswerte bleiben also völlig unnötigerweise hinter jeder Gesundheitsempfehlung zurück – und sogar hinter den Vorschriften in China und den USA. Europäische Autohersteller sollen nun für diese Märkte Sondermodelle bauen, und wir in der EU bekommen schlechtere Baureihen bis 2035, das heißt bis zu dem Jahr, ab dem Verbrenner nicht mehr in der EU verkauft werden dürfen. Und diese Autos werden – bei einer üblichen Nutzungsdauer – bis 2050 die Luft verpesten.  

Von wegen Ärmel hochkrempeln und gemeinsam die Welt retten. Ein Green Deal mit Schwarz und Gelb war nur ein kurzer Traum. Echte, konstruktive Umweltpolitik ist dann doch unbequemer, als den Wissing zu machen. Und so ist plötzlich der Name Green Deal wieder Programm, und es sind vor allem wir Grünen, die für ihn kämpfen.   

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