Von optimaler Planung würde heute niemand mehr sprechen. Die Inbetriebnahme des komplexen Projektes hat sich um viele Jahre verzögert und die Kosten haben sich gegenüber 1995 vervierfacht auf absehbar zwölf Milliarden Euro.
Der unauflösbare Dissens um Abbruch oder Umsetzung dieses politisch aufgeladenen Prestigeprojekts in der damaligen neuen grün-roten Landesregierung wurde 2011 durch eine Volksabstimmung entschieden. Das Volk votierte gegen einen Abbruch des Vorhabens. Als Mitglied der Landesregierung war auch ich, der überzeugte Kritiker, fortan auf die Umsetzung und den Erfolg des Großprojekts verpflichtet. Mein Anspruch war nun, die Kritikpunkte und Schwachstellen von Stuttgart 21 für den Bahnverkehr durch Ergänzungen und Modifikationen zu heilen.
Zahlreiche Veränderungen seit dem Baubeginn 2010
Das problematische Bahnprojekt konnte in den Folgejahren im Vergleich zu den ursprünglichen Plänen durch etliche Ergänzungen und Umplanungen so verändert werden, dass deutliche Verbesserungen für den Schienenverkehr erreicht werden konnten.
Die Verantwortung für Planung und Bau von Stuttgart 21 liegt eindeutig bei der Deutschen Bahn, die Bauherr und Eigentümer ist. Das Land ist lediglich Zuschussgeber, und leistet einen – nicht unerheblichen – Finanzierungsbeitrag von 930 Millionen Euro. Stuttgart und die Region haben ebenfalls viele Millionen freiwillig zugezahlt. Vor Gericht klagt gleichwohl die DB gegen das Land und die anderen Projektpartner auf Mitfinanzierung der rund sieben Milliarden Euro Mehrkosten, die nicht durch den Vertrag mit den Partnern (4,5 Milliarden Euro inklusive Risikopuffer) gedeckt sind.
Ergänzende Projektteile sorgen für verkehrlichen Nutzen
Kein unbelastetes Verhältnis also. Dennoch ist es uns gelungen, über ergänzende Maßnahmen die Leistungsfähigkeit, den Nutzen und die Redundanz des zukünftigen Bahnknoten zu verbessern. Etwa durch den Umbau des S-Bahn-Bahnhaltes Stuttgart-Vaihingen zum Regionalbahnhof. Nach jahrelangem Ringen konnte das Land zudem dafür sorgen, dass die Abzweigung von der neuen Schnellbahntrasse Stuttgart-Ulm ins Neckartal in Richtung Reutlingen und Tübingen nicht eingleisig, sondern zweigleisig und kreuzungsfrei gebaut und damit ein Flaschenhals vermieden wird.
Auf der Albhochfläche bei Merklingen wurde auf Initiative der dortigen Gemeinden und mit massiver Unterstützung des Landes ein neuer Bahnhof für den Regionalverkehr gebaut. Damit profitiert auch die durchfahrene ländliche Region von der Neubaustrecke.
Mit dem Bau zweier weiterer Gleise im Nordzulauf wird ein latenter Kapazitätsengpass aufgelöst. Und die innerstädtische Trasse der gekappten Gäubahn wird nicht stillgelegt, sondern für ein ambitioniertes Ausbauprojekt zur Stärkung des Nahverkehrs („Nahverkehrsdreieck“) genutzt, das über Stuttgart 21 hinaus weitere Kapazitäten schafft, um die Verkehrswende auch nach 2030 fortzusetzen.
Mehr Kapazität durch digitale Zugsteuerung
Schließlich haben sich das Land und die weiteren regionalen Partner mit Bahn und Bund darauf verständigt, Stuttgart 21 als ersten komplexen Schienenknoten in Deutschland mit der digitalen Zugsteuerung ETCS (European Train Control System) auszustatten. Damit kann auf gegebener Infrastruktur die Kapazität gesteigert werden, und es können mehr Züge in der gleichen Zeit fahren. Auch dafür nehmen wir als Land und Region Stuttgart viel Geld in die Hand, um unsere Regionalzüge und S-Bahnen mit den entsprechenden Steuergeräten auszustatten.
Das aktuelle Projekt Stuttgart 21 ist also inzwischen nicht mehr das damalige der Kämpfe von 2010. Allerdings muss Stuttgart 21 mit der Umwandlung des Kopfbahnhofs in eine unterirdische Durchgangsstation nun endlich fertiggestellt und gut vorbereitet in Betrieb genommen werden. Denn die Landeshauptstadt leidet schon zu lange an der riesigen Baustelle und die Fahrgäste unter Zugausfällen und Verspätungen, die manch einen bereits vom klimaschonenden Bahnfahren abgebracht und ins Auto getrieben haben.
Bahn und ihr Eigentümer Bund müssen dafür sorgen, dass eine an den Fahrgästen und an einem stabilen, gut funktionierenden Schienenverkehr orientierte Inbetriebnahme gelingt.
Bahn muss beim Terminplan Klarheit schaffen
Das lange Zeit anvisierte Datum Dezember 2025 für die (ohnehin reduzierte Teil-)Inbetriebnahme von S 21 (ohne den Bahnhof am Flughafen) ist in den vergangenen Monaten ins Wanken geraten. Die Bahn informierte jetzt die Projektpartner über große Probleme beim Einbau der Digitalen Zugsteuerung.
Deshalb erwägt die Bahn auch eine Teilinbetriebnahme des achtgleisigen Tiefbahnhofs bei vorläufigem Weiterbetrieb des Kopfbahnhofs mit 16 oberirdischen Gleisen. Bis Juni dieses Jahres soll feststehen, wie es weitergeht.
Die Projektpartner Land, Region, Stadt und Flughafen fordern von der Bahn, möglichst rasch einen verlässlichen Terminplan für die nächsten Schritte. Die Bahn muss frühzeitig und zuverlässig kommunizieren, wann welche Teile der bisherigen Infrastruktur außer Betrieb gehen.
Kein Holperstart zulasten der Fahrgäste und des Netzes
Für die Inbetriebnahme erwarte ich eine ausreichend bemessene Testphase und Zeit für die vielen notwendigen Sicherheitsabnahmen. Denn es handelt sich um eine sehr komplexe Herausforderung: Komplett neue Bahninfrastruktur mit völlig veränderten Streckenführungen, 60 Kilometer neue Tunnel, neue Fahrpläne, erstmaliger Einsatz digitaler Zugsteuerung (ETCS) in einem Schienenknoten, Einsatz neuer Züge in neuen Betreiberverträgen und Einarbeitung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.
Das alles braucht umfassendes Üben und Erproben – einen Holperstart darf es nicht geben, weil er Auswirkungen auf den ganzen Schienenverkehr in Baden-Württemberg hätte.
Es darf nach 30 schwierigen Projektjahren auf der Zielgeraden kein Infragestellen von relevanten Projektbestandteilen mehr geben. S 21 ist mehr als der Tiefbahnhof.
Bund und Bahn müssen für verlässliche Finanzierung sorgen
Von Stuttgart nach Zürich führt die sogenannte Gäubahn. Sie verbindet die Landeshauptstadt über den Flughafen mit dem Schwarzwald, dem Bodensee und der Schweiz. Im Zuge von Stuttgart 21 soll ihre bestehende Strecke gekappt und eine neue Verbindung über den Flughafen Stuttgart zum Hauptbahnhof hergestellt werden.
Nachdem sich die ursprünglichen S 21-Planungen am Flughafen zunehmend als untauglich und baulich kaum realisierbar zeigten, überraschte die Bahn vor wenigen Jahren mit einem Befreiungsschlag: ein weiterer, elf Kilometer langer Tunnel soll die Gäubahn mit dem Flughafen verbinden. Die damalige Bundesregierung nahm 2022 den Vorschlag auf und sagte eine Finanzierung als Bundesprojekt außerhalb von Stuttgart 21 zu. Dies ist seitdem die Planungs- und Geschäftsgrundlage.
Doch inzwischen scheint die Finanzierung dieses sogenannten Pfaffensteigtunnels angesichts der aktuellen knappen Haushaltslage im Bund in Frage gestellt. Es ist aber nicht akzeptabel, dass diese wichtige Bahnstrecke in den Süden des Landes abgehängt wird. Bund und Bahn müssen hier schnell Klarheit schaffen, dass auf ihre Zusagen Verlass ist, bevor die alternativen, früheren Pläne endgültig aufgegeben werden.
Digitaler Knoten Stuttgart muss vollständig gesichert werden
Auch die vollständige Umsetzung der digitalen Zugsteuerung ETCS im gesamten Bahnknoten muss in vollem Umfang gesichert werden. Auch hier wackelt seit Neuestem die Finanzierung. Mit einer Sparvariante (ohne das dritte Modul zum automatisierten Fahren) ließen sich die versprochenen Kapazitätssteigerungen nicht realisieren und die erheblichen Investitionen des Landes in die Fahrzeuge hätten begrenzten Nutzen. Daher muss die Bahn ihre Finanzierungsvorbehalte für das sogenannte dritte Modul unverzüglich ausräumen.
Ohne ihre Realisierung wären die Pläne für den Digitalen Knoten Stuttgart Makulatur und damit das bundesweite Pilotprojekt kein Leuchtturm für die Digitalisierung der Schiene in Deutschland. Der Leuchtturm würde zur Laterne schrumpfen, ein weiteres Symbol für das Scheitern der Modernisierung der Bahn und der Bahnpolitik. Das sollten wir uns nicht mehr leisten.