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Verkehr & Smart Mobility

Standpunkte VDV mit klarer Linie bei festen Sicherheitsstandards für E-Tretroller

Martin Schmitz, Geschäftsführer Technik beim Verband Deutscher Verkehrsunternehmen
Martin Schmitz, Geschäftsführer Technik beim Verband Deutscher Verkehrsunternehmen Foto: VDV

Angesichts der bestehenden Risiken ist es folgerichtig und verantwortungsvoll, E-Tretroller von der Beförderung in Bussen und Bahnen bis auf Weiteres auszuschließen. Werden die Sicherheitsstandards für deren Akkus an jene von Pedelec-Akkus angeglichen, öffnen die ÖPNV-Unternehmen wieder ihre Türen.

von Martin Schmitz

veröffentlicht am 27.03.2024

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Als Dampfkessel-Explosionen im 19. Jahrhundert überhandnahmen und Menschenleben forderten, etablierten sich Sicherheitsstandards – die überwacht wurden. Die Welt wurde nicht nur sicherer, es etablierte sich eine neue Produkt- und Sicherheitsqualität und ein neuer Wirtschaftszweig – zum Wohle aller.

Qualität ist die Abwesenheit des Zufalls: Bei jeder Innovation widerstreiten Technikbegeisterte mit Sicherheitsverantwortlichen. Am Ende eines Transformationsprozesses stehen in der Regel erstklassige technische Produkte – die für Mensch und Umwelt sicher sind. Von Herstellerseite wird die Empfehlung zur Durchführung einer Risikobetrachtung des Branchenverbandes VDV in Zweifel gezogen, E-Tretroller so lange nicht im deutschen ÖPNV-Fahrzeugen zur Mitnahme zuzulassen, bis entscheidende Normen und Zertifikate für diese Kleinstfahrzeuge vorliegen.

Nachvollziehbar, dass E-Tretroller-Hersteller die Position verfolgen, günstiger produzieren zu wollen und Verantwortungen an Dritte weiterzureichen. Auch die Verkehrsunternehmen Deutschlands ernten mit dieser Entscheidung nicht nur Gegenliebe bei den vielen Nutzerinnen und Nutzern der beliebten und mittlerweile günstigen Tretroller. Doch Sicherheit geht vor. 

Keine leichten Entscheidungen der Verantwortlichen

Als Branchen- und Fachverband mit gut sortierten und qualifizierten Fachgremien hat sich der VDV diese Empfehlung zur Risikobewertung nicht leicht gemacht – und sich dennoch nicht vor der Verantwortung gedrückt: Zahlreiche Verkehrsunternehmen haben entsprechend der Risikobewertung in eigener Entscheidung Maßnahmen ergriffen. Doch die Bus- und Bahn-Branche sehnt selbst den Tag herbei, dass diese Empfehlung zur Durchführung einer Risikobewertung zurückgenommen werden kann, um die Mitnahme von E-Tretrollern wieder zuzulassen. Doch bis dahin müssen die zuständigen Akteure ihre Hausaufgaben machen. Bis dahin gilt, was in der Branche immer gilt: safety first.

Nicht zu ignorierende Risiken

Anfang Februar hatte der Branchenverband VDV seinen 700 Mitgliedsunternehmen nach intensiven Beratungen eine Empfehlung mitgeteilt: Aufgrund der spezifischen Risiken, die mit den Akkus von E-Tretrollern verbunden sind, wird die Mitnahme dieser Elektrokleinstfahrzeuge in Abhängigkeit der Ergebnisse einer Risikobewertung in bestimmten öffentlichen Verkehrsmitteln nicht länger empfohlen. Bis auf Weiteres. Diese Entscheidung, insbesondere für Straßen-, Stadt- und U-Bahnen, stützt sich auf eine fundierte Analyse und internationale Erfahrungen mit Akkubränden, die sowohl in Barcelona als auch in Madrid und London zu einem Verbot der Mitnahme von E-Scootern geführt haben.

Problem: mangelnde Prüfung der Festigkeit

Diese präventive Maßnahme basiert auf dem direkten Vergleich der Sicherheitsstandards von E-Tretroller mit jenen von Pedelec. So müssen nach der Elektrokleinstfahrzeuge-Verordnung (§ 7 eKFV) nur der „Schutz vor Manipulation“ (Nr. 3) entsprechend der DIN EN 15194 und der Überladeschutz der Batterie entsprechend Kap. 4.2.3 der DIN EN 15194 geprüft werden (Nr. 8).

Damit sind die Unterschiede signifikant. Wenn Elektrokleinstfahrzeuge so beschaffen wären, dass sie der „DIN EN 15194:2018:11“ insgesamt entsprechen würden und dies von den Herstellern bescheinigt werden würde, wäre das Risiko geringer und würde dem Standard andere Mobilitätsgeräte entsprechen.

Die Kernproblematik liegt in den aktuell allgemein formulierten normativen Vorgaben für E-Tretroller und deren Akkus, die keine ausreichenden Prüfungen der mechanischen Festigkeit vorsehen. Dieser Mangel an spezifischen Sicherheitsstandards führte bereits zu ernsten Vorfällen in öffentlichen Verkehrsmitteln, bei denen die Sicherheit von Fahrgästen und Personal durch explosionsartige Akkubrände gefährdet wurde.

Branche an Lösung interessiert

Der VDV hat bereits proaktive Schritte unternommen, um an der Entwicklung und Implementierung adäquater Sicherheitsnormen für Elektrokleinstfahrzeuge zu arbeiten. Ein entscheidender Schritt hierfür ist die Beteiligung an dem Normungsgremium K354 des DKE, das sich der Erarbeitung der Normenreihe IEC 63281 widmet.

Diese neuen Normen werden grundlegende und umfassende Sicherheitsanforderungen für die sichere Nutzung von Elektrokleinstfahrzeugen definieren, um die Sicherheit von Personen und öffentlichen Einrichtungen zu gewährleisten. Ziel ist es, jedes Verkehrsunternehmen in die Lage zu versetzen, eine fundierte Risikoabschätzung für den Fall eines Akkubrandes während der Fahrt vorzunehmen. Diese Bewertungen sind essenziell, um zu bestimmen, ob und unter welchen Umständen die Mitnahme von E-Tretrollern vertretbar ist, basierend auf der Möglichkeit, Brandgase abzuleiten, Personen schnell in Sicherheit zu bringen und Fahrzeuge unmittelbar zu evakuieren.

Zuwarten auf die Katastrophe ist keine Option

Es ist nur folgerichtig und verantwortungsvoll: Bis dahin empfehlen die Betriebsverantwortlichen von Verkehrsunternehmen, die sich regelmäßig im Betriebsausschuss des Branchenverbands VDV austauschen, E-Tretroller von der Beförderung in Bussen und Bahnen grundsätzlich auszuschließen. Der niedrige Sicherheitsstandard und das damit verbundene erhöhte Brand- und Explosionsrisiko sowie die gesundheitsschädliche Rauchgasfreisetzung ist für sie nicht tragbar – angesichts der Erfahrungen im europäischen Ausland.

Sicherheit genießt die höchste Priorität bei der Beförderung im ÖPNV. Dazu zählt laut gesetzlicher Regelungen vor allem der Schutz von Personen (Fahrgäste und Fahrpersonal), die sich in den Fahrzeugen oder an Haltestellen aufhalten. Die Betriebsleiter der Verkehrsunternehmen sind per Verordnung für die sichere und ordnungsgemäße Durchführung des Betriebs insgesamt verantwortlich und müssen dementsprechend handeln.

Wesentliche Grundlagen für die jetzt ausgesprochene Empfehlung bilden zwei brandschutztechnische Bewertungen durch den unabhängigen Gutachter Stuvatec (Studiengesellschaft für Tunnel und Verkehrsanlagen mbH). Der Gutachter stellt fest, dass es für die in Elektrotretrollern verbauten Lithium-Ionen-Akkus bislang weder auf nationaler noch auf europäischer Ebene ausreichend spezifische Normen und Sicherheitsstandards gibt.

Hoffen auf Wendepunkt bei Prüfnachweisen

Wir stehen an einem Wendepunkt, an dem Sicherheitsstandards für E-Tretroller-Akkus an jene von Pedelec-Akkus angeglichen werden müssen. Der VDV ist offen für eine Zukunft, in der die Mitnahme von E-Tretrollern unter bestimmten Voraussetzungen wieder möglich ist. Voraussetzung hierfür ist die Vorlage entsprechender Prüfnorm-Nachweise durch die Hersteller, die ein hohes Maß an Sicherheit garantieren. Der Schutz von Fahrgästen und Personal im öffentlichen Verkehr hat für den VDV oberste Priorität.

Die Entscheidung, die Mitnahme von E-Tretrollern einzuschränken, spiegelt unser Engagement für diesen Schutz wider. Wir setzen uns für die Entwicklung und Umsetzung gleicher Standards und Sicherheitsnormen ein, um einen sicheren und verlässlichen ÖPNV für alle Fahrgäste zu gewährleisten. Wir rufen die Hersteller von E-Tretroller und alle beteiligten Akteure auf, das gemeinsame Ziel zu verfolgen, den Schutz der Fahrgäste und des Fahrpersonals höchste Priorität einzuräumen und ihre Produkte diesen Sicherheitsstandards anzupassen und der Branche eine entsprechende Bescheinigung vorzulegen. Dann öffnen die ÖPNV-Unternehmen Deutschlands wieder ihre Türen. 

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