„Wer auf dem Land lebt, braucht eben ein Auto – Familien in der Regel eher zwei oder mehr.“ Als Landrätin des Landkreises Osnabrück, mit einer Fläche so groß wie das Saarland, ist mir diese Sichtweise sehr vertraut. Eine Studie zum Mobilitätsverhalten der Menschen in unserer Region bestätigt diesen Status quo: Der Landkreis Osnabrück ist eine Autofahrer-Region. Rund zwei Drittel aller Wege werden mit dem Pkw zurückgelegt. Der CO2-Anteil des Verkehrssektors ist mit knapp 50 Prozent sehr hoch.
Wer sich kein Auto leisten kann, zu jung oder zu eingeschränkt zum selber fahren ist, braucht sehr lange für Wege oder kommt gar nicht an. Das sind in Kürze die wesentlichen Gründe, warum wir so dringend die Transformation des Verkehrssektors brauchen – auch und gerade auf dem Land!
Umdenken gefordert
Im Jahr 2022 haben wir im Landkreis Osnabrück die Menschen gefragt, ob sie bereit wären, andere Verkehrsmittel als das Auto zu nutzen. Das Ergebnis: Rund 60 Prozent der Menschen würden häufiger Bus, Bahn oder das Rad nutzen, wenn sich das Angebot verbessern würde.
Aber wie kann das Angebot verbessert werden?
Die Antworten sind eindeutig. Der Zeitaufwand für die Strecke von A nach B muss verringert werden. Die Angebote sollten flexibler sein und besser verknüpft werden. Im Bereich Busverkehr bedeutet das: starre Taktfahrpläne werden uns im Bereich abseits der Hauptrouten nicht weiterbringen. Große Busse, die leer über das Land rollen, sind nicht effizient. Auch der Busfahrermangel macht notwendig, dass hier ein Umdenken und Umplanen stattfindet.
Effektivität und Flexibilität
Nutzen wir endlich die Vorteile der Digitalisierung, eröffnen sich uns neue Möglichkeiten. Echtzeit-Routeninformationen und intelligente Angebotsplanungen ermöglichen es uns, Wegstrecken immer mit dem optimalen Verkehrsmittel zurückzulegen und auch verschiedene Verkehrsmittel zu Verkehrsmittelketten zusammenzufügen. So werden Bus, Bahn, Fahrrad und Sharing-Systeme zu einem effizienten Gesamtsystem.
Dabei bedienen Kleinfahrzeuge die Flächen abseits der Hauptrouten, während schnelle Bus- und Bahnverbindungen die Orte miteinander verbinden. Eine wichtige Rolle wird auch das E-Fahrrad spielen. Die Bereitschaft, auch längere Wege zurückzulegen, steigt. In unserem Landkreis sind fast 85 Prozent der Bürgerinnen und Bürger bereit, häufiger auf das Fahrrad zu setzen, wenn denn die Wege gut ausgebaut sind und es sichere Abstellplätze an Bus- und Bahnhöfen gibt.
Der Umbau auf ein neues System ist keine Kleinigkeit. Noch fehlt bundesweit die Erfahrung mit flexiblen Angebotssystemen und ihre Integration in ein Flächennetz von Buslinien. In einigen Regionen wird diese Erfahrung nun in Förderprojekten aufgebaut.
Ich bin sehr glücklich darüber, dass wir mit unserem Projekt MOIN+ in dem Förderaufruf des Bundesministeriums für Digitales und Verkehr (BMVD) „Modellprojekte zur Stärkung des ÖPNV“ erfolgreich waren und ab dem nächsten Jahr viel darüber lernen werden, wie ein flexibles System auf dem Land gut funktioniert: mit Ruf-Bussen (On-Demand-Verkehre), einem Carsharing-Angebot und neuen, schnellen Buslinien.
Verstetigte Ansätze zu einer auskömmlichen Finanzierung fehlen
Für die Phase des Lernens und des Integrierens sind Förderprojekte eine wertvolle Hilfe, die uns die ersten Schritte ermöglichen, um zu testen, was wie funktioniert und von den Bürgerinnen und Bürgern angenommen wird. Doch es fehlt der Horizont nach der Förderung. Schließlich werden für die Angebote Fahrzeuge angeschafft, Personal eingestellt und die Infrastruktur aufgebaut. ÖPNV-Angebote können nicht alleine aus Fahrtgeldern bestritten werden, das gilt besonders für den ländlichen Raum.
Wir können als Kommunen vor Ort neue Buslinien umsetzen oder ein Carsharing aufbauen. Die neuen Angebote brauchen aber eine Perspektive. Nur ein langfristiges und verlässliches Angebot wird Bürgerinnen und Bürger überzeugen. Es ist nicht effizient, eine Infrastruktur aufzubauen und dann nicht zu nutzen. Anpassen, verkleinern, ausbauen – na klar! Genau darum geht es bei dem Projekt. Wir wollen lernen, wie es besser, günstiger, noch mehr an den Bedürfnissen der Menschen orientiert gehen kann. Aber es braucht die finanzielle Sicherheit des Weitermachen-Könnens. Sonst verpufft die Investition.
Wenn wir es ernst meinen mit der Mobilitätswende, muss die Schlussfolgerung sein: Es bedarf dringend (!) einer auskömmlichen ÖPNV-Finanzierung. Diese kann nicht alleine von den Landkreisen und Kommunen geleistet werden. Die Kommunen leisten heute schon einen großen Beitrag für nachhaltige Mobilität. Wir tragen nicht nur Ausgaben für den ÖPNV, sondern pflegen und bauen auch Straßen und Radwege. Hier planen wir jetzt das Radverkehrsnetz für unsere Kinder und Enkel.
Personalnot wächst
Doch die besten Konzepte nützen nichts, wenn kein Geld für Personal da ist. Dieses Problem wird uns zunehmend treffen. Ein Beispiel: Der Mangel an Busfahrern ist eklatant. Das Problem wird sich weiter verschärfen.
Rund ein Drittel der Busfahrerinnen und Busfahrer waren im Jahr 2021 55 Jahre und älter. Nur 13 Prozent sind unter 35 Jahren. Der Beruf muss attraktiver werden, das wird ebenfalls Geld kosten. Natürlich kann das autonome Fahren hier eines Tages eine Hilfestellung bieten, aber so lange können wir mit der Verkehrswende nicht warten.
Das kann sich doch keiner leisten, heißt es dann oft. Ich sage, das müssen wir uns leisten wollen. Der Umweltverbund stärkt unsere Gesellschaft, reduziert Belastungen der Verkehrsinfrastruktur, schützt Klima und Umwelt und ermöglicht die wirtschaftliche Entwicklung des Landes. Wir profitieren als Gesellschaft von guten Angeboten und müssen daher auch die Ressourcen der Gesellschaft sinnvoll verteilen.
Konzepte dafür gibt es genug. Wir können den Umweltverbund an CO2-Ausgleichsmechanismen stärker beteiligen. Bürgertickets sind denkbar. Auch Arbeitgeber können bei der Finanzierung eingebunden werden. In unseren Analysen wurde deutlich, dass insbesondere für die Fachkräftegewinnung die Erreichbarkeit des Unternehmens durch die Mitarbeitenden ohne eigenes Auto ein wichtiger Standortfaktor ist. 69 Prozent der befragten Unternehmen gaben an, dass dies sehr wichtig sei.
Moderne Mobilität ermöglicht Teilhabe
Der elektrische Pkw wird auf dem Land nicht verschwinden und weiter eine wichtige Rolle ausfüllen. Aber in Zukunft sollte er nur noch eine Alternative unter vielen sein. Familien sollten das zweite Auto abschaffen können. Wir wissen wie es gehen kann, wir erproben bereits die Optionen und wir sind bereit, die Verkehrswende umzusetzen. Das geht nur mit der Perspektive einer nachhaltigen und auskömmlichen finanziellen Unterstützung der Kommunen und Partner vor Ort.
Ich bin mir sicher, diese Investition lohnt sich. Durch Synergie-Effekte profitieren wir in so vielen Bereichen. Wir erleichtern Teilhabe. Menschen, die keinen Führerschein haben, können selbstbestimmter Termine, zum Beispiel beim Arzt, wahrnehmen. Wir stärken den Standort. Wir entlasten die Menschen – finanziell und organisatorisch. Familien müssen keine zwei Autos finanzieren. Und wir reduzieren CO2-Emissionen und Ressourcenverbrauch. Die Zeit, umzusteigen, ist jetzt.