Wenn wir uns die Zukunft der Mobilität ausmalen, haben wir oft futuristische Städte im Kopf: Surrende Lufttaxis, die Pendler von der Hochgeschwindigkeits-Schwebebahn direkt in die Bürotürme fliegen, in den Straßenschluchten Schwärme aus autonomen Taxis, die über Spulen im Asphalt während der Fahrt geladen werden. Aber mehr als die Hälfte der Deutschen lebt auf dem Land – in einem Dorf oder einer Kleinstadt. Die Frage nach dem Verkehr von morgen dreht sich hier nicht um Bequemlichkeit. Sie dreht sich darum, wie ein Landleben ohne Auto möglich gemacht werden kann.
Mobilität ist eine Frage der Teilhabe. Aber in vielen Dörfern fährt kein Bus mehr – und wo Busse fahren, tun sie das selten, meist nur tagsüber und nicht am Wochenende. Ohne Auto ist es so nur schwer möglich, am Dorfleben teilzunehmen, zum Arzt zu kommen oder auch nur einzukaufen. Jugendliche und ältere Menschen sind darauf angewiesen, dass Eltern oder Bekannte Taxi spielen. Abends in der nächsten Kleinstadt ein Bier trinken zu gehen ist ohne Taxifahrt – oder betrunkene Rückfahrt – schlicht nicht drin.
Auch für Berufspendler ist ländlicher ÖPNV vielerorts ungeeignet. Zwar sind Regionalbahnverbindungen in die Metropolen gut ausgebaut, aber die Strecken zwischen Bahnhof und Wohnort sind schlecht angebunden und werden vor allem abends oft nicht mehr bedient. Wer morgens nach Berlin einpendelt, stellt schnell fest, dass ein Großteil des morgendlichen Berufsverkehrs nicht in Berlin, sondern in Brandenburger Landkreisen entsteht.
Autonomes Ridepooling: KI hilft ländlichem ÖPNV
On-Demand-Verkehr kann diese Probleme der ersten und letzten Kilometer lösen. Während Rufbusse mit intelligenter Streckenführung in Städten schon wieder vor dem Aus stehen, könnte ihnen auf dem Land die Zukunft gehören: Sie fahren nur los, wenn auch wirklich Passagiere Bedarf haben, ein Algorithmus berechnet flexibel die ideale Fahrtstrecke. Ganz wie in Zeiten der Postkutsche können solche Busse auch Paketlieferungen in ihre Routen einbinden.
Eines Tages werden diese Shuttles fahrerlos unterwegs sein und damit einen wichtigen Beitrag zur Daseinsvorsorge liefern: Herkömmliche ÖPNV-Rufbusse decken nur einen Bruchteil ihrer Kosten, der Löwenanteil davon sind Personalkosten. Autonome Rufbusse könnten es klammen Kommunen erlauben, flexiblen und bedarfsgerechten ÖPNV kosteneffizienter anzubieten – auch abends und nachts.
Trotz schlechter ÖPNV-Versorgung sind in vielen Gebieten genügend Fahrzeuge unterwegs, um den Mobilitätsbedarf der meisten Menschen zu decken: private Pkw mit freien Plätzen. Erste Kommunen experimentieren damit, Privatfahrzeuge in den ÖPNV einzubinden. Einzelpersonen können über entsprechende Apps freie Sitzplätze anbieten oder buchen.
Neue Arbeitsmodelle reduzieren Verkehr
Auch Carsharing eignet sich auf dem Land, um die Abhängigkeit vom privaten Pkw zu reduzieren. Solche Angebote wachsen beständig, jedoch meist getrieben von zivilgesellschaftlichen Initiativen und Kommunen. Die kommerziellen Anbieter beschränken sich noch auf die Städte.
Auch ein neues Verständnis von Arbeit kann Verkehr reduzieren. Wenn Home Office und Remote-Arbeit zur Selbstverständlichkeit werden, müssen weniger Menschen vom Land in die Städte pendeln. Das senkt nicht nur Emissionen, sondern hebt die Lebensqualität. Doch auch dafür braucht es Infrastruktur: schnelles und verlässliches Internet.
Die Verkehrswende muss also auf dem Land beginnen und besonders die ersten und letzten Kilometer in den Blick nehmen. Dafür muss das Rad nicht neu erfunden werden. Viele innovative Ansätze und Technologien lassen sich auf das Land skalieren, stehen aber einem Kritische-Masse-Problem gegenüber: Auf dem Land sind die Wege weiter, weniger Menschen müssen auf größerer Fläche angebunden werden.
Damit schon bestehende Innovationen endlich in die Fläche kommen, braucht es einheitliche Regulierung. Es braucht Testfelder, damit diese Technologien auch in ländlichen Umgebungen erprobt werden können. Und schließlich braucht es Investitionen. ÖPNV ist teuer und immer ein Verlustgeschäft, aber eine Voraussetzung für gesellschaftliche Teilhabe. Ganz besonders in strukturschwachen ländlichen Gebieten.
Neuland21 ist ein unabhängiger und gemeinnütziger Think Tank für digitale Innovationen im ländlichen Raum und entwickelt gemeinsam mit dem Landkreis Potsdam-Mittelmark derzeit ein Konzept für autonomes Ridepooling. Beim Fachkongress „Digitale Gesellschaft“ der Initiative D21 diskutiert Silvia Hennig heute auch zum Thema: „Smarte Dörfer - Wie sich das Land im digitalen Zeitalter neu erfindet“. Weitere Panelteilnehmer sind: Francesca Bria (Senior Adviser UN-Habitat on smart cities), Dirk Neubauer (Stadt Augustusburg) und Thomas Fehling (Stadt Bad Hersfeld). Die Konferenz ist hier ab 10.30 Uhr im Livestream zu verfolgen.