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Verkehr & Smart Mobility

Standpunkte Von E-Government zu E-Mobilität: Wie Estland die Zukunft der Mobilität gestaltet

Leana Kammertön, Leiterin der estnischen Wirtschaftsförderung Enterprise Estonia in Norddeutschland, Berlin und NRW
Leana Kammertön, Leiterin der estnischen Wirtschaftsförderung Enterprise Estonia in Norddeutschland, Berlin und NRW Foto: Promo

Digitale Fahrzeugzulassung, teleoperiertes und autonomes Fahren oder Ladestraßen für E-Autos – Estland treibt Smart-Mobility-Lösungen voran. Deutschland könnte sich davon inspirieren lassen.

von Leana Kammertön

veröffentlicht am 03.01.2024

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Eine digitale Identität in nur 15 Minuten beantragen: Bereits seit 2014 schafft die e-Residency für Nicht-Est:innen einen Zugang zu vielen digitalen Dienstleistungen. So finden bürokratische Angelegenheiten, wie ein Unternehmen zu gründen oder Bankgeschäfte zu erledigen, ganz einfach online statt. Es sind solche digitalen Innovationen, die Est:innen zum Vorreiter in Sachen Digitalisierung machen. 

Aber auch bei Themen wie Smart Mobility ist der baltische Staat führend. Dazu passt, dass das Land seit 2017 selbstfahrende Autos der Stufe 4 sowie Teleoperationstechnologie testet. Ziel ist es, autonom fahrende Fahrzeuge in das öffentliche Verkehrssystem zu integrieren – einschließlich Fahrplanauskunft und Call-to-Order-Bushaltestellen.

Mobile Lösungen sind in Estland fester Bestandteil des Alltags

Auch anhand anderer Anwendungen zeigt sich: Was in anderen Ländern noch geplant wird, ist in Estland bereits Realität. So können sich Est:innen etwa nahtlos mit Bussen, Straßenbahnen, Zügen und Schiffen fortbewegen. Für sie sind intelligente, mobile Lösungen Teil des täglichen Lebens. Deutschland könnte sich davon inspirieren lassen und ähnlich integrierte Mobilitätslösungen entwickeln, die den unmittelbaren Übergang zwischen verschiedenen Verkehrsmitteln erleichtern. 

Doch wie hat es Estland geschafft, sich bei Smart Mobility so gut zu positionieren? Wesentlichen Anteil trägt selbstverständlich die hoch entwickelte digitale Gesellschaft. Ebenfalls zentral sind einheimische Start-ups wie der Spezialist für autonome Shuttles Auve Tech, der Anbieter autonomer Zustelllösungen Clevon oder Elmo Rent, ein Entwickler von Teledriving-Technologie für Carsharing-Flotten. Diese jungen Unternehmen leisten Pionierarbeit bei autonomen Fahrzeugen für den öffentlichen Nahverkehr sowie bei Paketzustelldiensten und Frachttransporten. 

So war Elmo 2022 das weltweit erste Unternehmen, das seinen Kund:innen in Tallin und Tartu Elektroautos mit einer eigenen straßenzugelassenen Teledriving-Technologie direkt an die Haustür brachte. Inzwischen ist Elmo bereits in drei Ländern für den Straßenverkehr zugelassen und war auch das erste Fahrzeug für grenzüberschreitende Fahrten zwischen Litauen und Estland.

Das Beispiel zeigt, wie wichtig es ist, Tech-Lösungen unter realen Bedingungen zu testen. Und es verdeutlicht den dritten Aspekt: Estland versteht sich als Partner von Unternehmen. Etwa bietet Tallinn Gründer:innen aus den Bereichen Mobilität sowie Energieeffizienz und erneuerbaren Energien vielfältige Entwicklungs- und Experimentiermöglichkeiten. In der Hauptstadt Estlands können sie neue Produkte und Dienstleistungen für inländische und internationale Unternehmen austesten. Dies hilft ihnen, Erfahrungen zu sammeln – ein wichtiger Grundstein für einen späteren weltweiten Erfolg.

Einer der Erfolgsfaktoren sind öffentlich-private Partnerschaften für Innovationen. Gemeinsam haben TalTech, die Technische Universität Tallinn und SilberAuto, ein Mercedes-Benz-Händler im Baltikum, beispielsweise mit dem ISEAUTO das erste autonome Fahrzeug Estlands der Stufe 4 entwickelt. In weniger als 1,5 Jahren Entwicklungszeit wurde im September 2018 ein echtes Fahrzeug gebaut. Jetzt stellt Auve Tech ein kommerzielles selbstfahrenden Shuttle her, und TalTech stellt ein Open-Source-Shuttle für EU-Forschungs- und Innovationsprojekte zur Verfügung.

Weltweit erstes vollständig digitales Kfz-Zulassungssystem

Die gute Zusammenarbeit junger Unternehmen und der estnischen Regierung zeigt sich auch dran, dass Estland in diesem Jahr das weltweit erste vollständig digitale Fahrzeugregistrierungssystem implementieren konnte. Ohne die Technologie von DriveX wäre dies undenkbar gewesen. Das Start-up bietet eine webbasierte App, mit der sich ein Auto in wenigen Minuten inspizieren lässt. Neue Pkw-Besitzer:innen können nun Fotos von ihren Fahrzeugen erstellen und sie online bei der Verkehrsbehörde hochladen – ohne das Haus oder den Arbeitsplatz verlassen zu müssen.

Das System von DriveX hilft Fotos in guter Qualität zu erstellen. Interaktive Anweisungen und KI-Technologien wie zum Beispiel Computer Vision werden eingesetzt, um qualitativ gute Ergebnisse zu gewährleisten. Ergänzt durch vertrauenswürdige Metadaten, können die Mitarbeitenden der Verkehrsbehörde beurteilen, ob das Fahrzeug allen Vorschriften entspricht.  

Autonomes Fahren soll 2024 maßgeblich vorangetrieben werden

2024 wird Estland seine führende Position bei den Themen Smart Mobility und Smart City weiter ausbauen. So wird die Stadt Tartu gemeinsam mit dem Autonomous Driving Lab der Universität Tartu sowie nationalen und internationalen Partner:innen ein sechsmonatiges autonomes Shuttle-Living-Lab-Projekt starten. Als europäische Kulturhauptstadt 2024 wird Tartu Tausende von Besucher:innen empfangen. Eine gute Gelegenheit, autonome Fahrtechnologien und ihre Integration in die städtische Infrastruktur zu präsentieren.

Darüber hinaus arbeitet Estland derzeit an Gesetzesänderungen, um den dauerhaften, groß angelegten Betrieb autonomer Fahrzeuge zu ermöglichen. Das Inkrafttreten ist für 2024 vorgesehen. Die Änderungen ähneln den deutschen Rechtsvorschriften der Stufe 4, die 2022 verabschiedet wurden. Aber der Anwendungsbereich ist breiter und umfasst neben dem autonomen Fahren auch andere neue Technologien wie beispielsweise Teleoperation.

Autos künftig nur noch ein Fortbewegungsmittel von vielen

Shared Micromobility wird 2024 sicherlich weltweit zunehmen, nicht nur in Estland. Eines unserer Hauptziele ist es, eine nahtlose multimodale Mobilität zu erreichen. Das Ideal: Jeder Mensch in Estland soll in der Lage sein, sich bequem fortzubewegen, ohne ein Auto zu besitzen. Daher arbeiten wir intensiv daran, öffentliche Verkehrsmittel, Mikromobilität und andere Verkehrsträger zu integrieren, um den Menschen alternative Möglichkeiten zu bieten, die bequem zu nutzen und gut für die Umwelt sind.

Ebenfalls spannend sein wird, wie sich der Megatrend „E-Mobilität meets Shared Economy“ weiterentwickelt. Aufschlussreich ist hier die Zusammenarbeit von Elmo und dem schwedischen Clean-Tech Elonrad, das automatisches Laden von ferngesteuerten E-Autos sowohl während des Parkens als auch der Fahrt ermöglicht. Die beiden Unternehmen haben beschlossen, gemeinsam eine autonome Ladestraße für ferngesteuerte Elektroautos zu entwickeln. Die Pilot-Ladestation wird in der Nähe des Hauptsitzes von Elmo in Tallinn in einem belebten Geschäftsviertel stehen. 

Offenen Austausch bei Smart Mobility fördern 

Schon heute ist die Zukunft der Mobilität in Estland in vielen Bereichen des alltäglichen Alltags real. Auch wenn Deutschland von Estland diesbezüglich viel lernen kann, gilt natürlich gleichzeitig zu beachten: Hinsichtlich der Größe, der Bevölkerungsdichte und der Infrastruktur sind die Unterschiede zwischen den beiden Ländern erheblich. Jedoch könnte ein offener Austausch von Best Practices beiden Ländern ermöglichen, voneinander zu lernen und helfen, gemeinsame Standards zu entwickeln und die Mobilitätssysteme weiter zu verbessern.

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