Die kommende Bundesregierung hat gewaltige Aufgaben zu erfüllen. Sie muss die Investitionen in die Schieneninfrastruktur hochschrauben, die Wettbewerbsbedingungen gegenüber der Straße verbessern und ganz wichtig: sich klar zu Bau und Ausbau bekennen – was auch heißen muss, dem Druck gegen Bahnprojekte standzuhalten.
Kurzum: Die Politik muss ins Machen kommen. Über Ziele wurde schon genug geredet, das allein schafft keinen Meter Schiene. Dennoch flammt seit der Bahnreform 1994 immer wieder eine politische Diskussion ohne Ergebnis auf: Die Strukturdebatte, die so viel einfacher ist, als eine Verlagerung auf die Schiene tatsächlich in Angriff zu nehmen. Pünktlich vor den Bundestagswahlen geht es nun wieder richtig los: So fordert ein Zweckbündnis aus Wettbewerbsbahnen, der GDL und Verbänden die Zerschlagung der Deutschen Bahn. Durch die Trennung von Netz und Betrieb mittels Schaffung einer staatlichen Infrastrukturgesellschaft solle ein echter „Wettbewerb“ auf der Schiene geschaffen werden.
Von Beispielen aus dem Ausland lernen
Hier ist Vorsicht an der Bahnsteigkante geboten. Denn der Blick nach Europa zeigt, wie fatal solche Heilsversprechen sind. So haben Großbritannien und Frankreich eine mehr oder weniger starke Trennung von Netz und Betrieb durchgeführt. In Großbritannien ist die Unzufriedenheit mit der Qualität des Angebots bekanntlich groß. In Frankreich wurde die Eisenbahn-Infrastruktur vor wenigen Jahren wieder in die nationale Bahngesellschaft SNCF integriert, so groß waren die Qualitäts- und Kostenprobleme. In Belgien war es ähnlich.
Nachweislich erfolgreiche Eisenbahnländer dagegen, wie zum Beispiel die Schweiz, Österreich oder Japan, wo Pünktlichkeit und Angebot auf der Schiene auch von den Trennungsbefürwortern als beispielhaft gelobt werden, setzen alle auf ein integriertes System, in dem Betrieb und Netz in der Hand eines Unternehmens sind. Und das ist auch kein Wunder:
Das System Schiene ist komplex und einzelne Tätigkeiten im Betriebsablauf sind stark voneinander abhängig. Auf deutschen Schienenwegen fahren täglich rund 45.000 Züge. Das kann nur funktionieren, wenn die Bereiche kompetent und vertrauensvoll zusammenarbeiten – nicht umsonst sind die Eisenbahnerinnen und Eisenbahner zur berühmten Eisenbahnerfamilie zusammengewachsen, in der solidarisch zusammengearbeitet wird und in der Konkurrenz und Eitelkeiten keinen Platz haben oder zu mangelhafter Qualität führen.
Das bedeutet nicht, dass Wettbewerb auf der Schiene ausgeschlossen sein muss. Aber die Erfahrung zeigt: In vollkommen getrennten Eisenbahnsystemen ohne einen integrierten Konzern mit Infrastruktur und Betrieb unter einem Dach, streben Infrastruktur- und Transportunternehmen ihre Optimierung jeweils auf Kosten der anderen an und schotten ihr Wissen ab. Was bleibt, sind unzufriedene Kunden und mit ihnen eine Abkehr vom so wichtigen ökologischen Verkehrsträger Bahn. Das sollte sich der Bund als Eigentümer gut überlegen.
Warnung vor „enormen Kosten“
Wir brauchen daher nicht „mehr Wettbewerb auf der Schiene“ durch eine Zerschlagung der Deutschen Bahn, sondern eine Stärkung der Schiene im Wettbewerb mit der Straße. Dazu braucht es eine effektive Zusammenarbeit für Qualität, Sicherheit und notwendige Innovationen auf der Schiene in einem System mit integriertem Konzern.
Bestes Beispiel hierfür ist der geplante „Deutschlandtakt“, ein hochkomplexes, aber verkehrspolitisch sehr sinnvolles Projekt, in dem die Takte von Fernverkehrs- und Regionalzügen in ganz Deutschland aufeinander abgestimmt werden sollen. Hierzu braucht es intensive Abstimmungen zwischen Fahrplangestaltung, dem notwendigen Infrastrukturausbau sowie den Belangen des Personen- und des Güterverkehrs.
Die Klimakrise zwingt die Politik zum Umsetzen. Eine Zerschlagung der Bahn läuft dem zuwider, da sie die Branche auf Jahre lähmen würde. Politische Glaubenskriege, Personaldebatten, Strukturfragen, rechtliche Auseinandersetzungen würden Ressourcen binden und enorme Kosten verursachen. Alle Beteiligten sollten ihre ganze Kraft gemeinsam in die Verbesserung der finanziellen und politischen Rahmenbedingungen zur Stärkung der umwelt- und energiefreundlichen Schiene stecken.
Mögliche Folgen für die Beschäftigten
Und sie sollten bitte mit denjenigen sprechen, die seit mehr als hundert Jahren das System Schiene am Laufen halten und durch Zusammenarbeit, Erfahrungswissen und Engagement täglich Millionen Menschen und viele Tonnen Güter unter oft schwierigen Bedingungen, mit technisch veraltetem Material und auf maroder Infrastruktur transportieren: Eisenbahnerinnen und Eisenbahner haben keinen leichten Job, aber meistens einen guten.
Arbeitsplatzsicherheit, berufliche Weiterentwicklung und tarifliche Regelungen, die für alle Berufsgruppen solidarisch umgesetzt werden – auch das sichert der integrierte Konzern. Denn klar ist: Wer die Verkehrswende wirklich will, braucht die Beschäftigten, die sie umsetzen. Und Fachkräfte gewinnt man nicht durch noch mehr Preiswettbewerb auf dem Rücken der Beschäftigten, sondern durch attraktive Bedingungen.
Noch beschränkt sich der Ausschreibungswettbewerb auf den Regionalverkehr. Sollte es zu einer Trennung kommen, würden viele Aufgaben, insbesondere einfache Tätigkeiten, an Dritte ausgelagert werden und damit auch auf Kosten unserer Kolleginnen und Kollegen einem Ausschreibungswettbewerb unterliegen. Für uns Grund genug, nicht weiter das funktionierende System zu debattieren, sondern zu sagen: Bitte jetzt Ernst machen mit der Verkehrswende, mehr Schiene statt Straße. Schluss mit den Scheindebatten, endlich ins Machen kommen.