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Verkehr & Smart Mobility

Standpunkte (Wie) kann die Bahn Gemeinwohl liefern – und wann?

Peter Westenberger, Geschäftsführer des Netzwerks Europäischer Eisenbahnen (NEE)
Peter Westenberger, Geschäftsführer des Netzwerks Europäischer Eisenbahnen (NEE) Foto: NEE

Die geplante gemeinwohlorientierte Infrastruktursparte unter dem Dach des Deutsche-Bahn-Konzerns muss gut durchdacht sein, fordert Peter Westenberger. Er schlägt eine „Schiene Deutschland GmbH“ vor, die von einem neu geschaffenen „Bundesamt für Verkehr“ kontrolliert wird – nach Vorbild der Schweiz.

von Peter Westenberger

veröffentlicht am 19.04.2023

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Vor nunmehr fast anderthalb Jahren wurde im Koalitionsvertrag vereinbart, die DB Netz und DB Station & Service zu einer gemeinwohlorientierten Infrastruktursparte unter dem Dach des Deutsche-Bahn-Konzerns zusammenzulegen. Viel passiert ist nicht seitdem und doch: Nach dem Willen des Verkehrsministers soll am 1. Januar 2024 die „InfraGO“ starten. Die genaue Ausgestaltung sollte mit der Branche diskutiert werden. 

Allein, die Branche wartet. Die zahlreichen Wortmeldungen der letzten Tage machen deutlich, dass das Bundesverkehrsministerium unter Druck gerät und durch sein Schweigen Spekulationen und Statements Raum gibt. 

Wahr ist: Es ist angesichts der Qualitäts- und Kapazitätsprobleme im Netz, anstehender Zusatz-Milliarden des Bundes für die Schieneninfrastruktur und verunsicherter Mitarbeiter:innen allerhöchste Eisenbahn für die kleine Bahnreform. Das Verkehrsministerium kann sich eine Verschleppung, die Ähnlichkeiten mit vorangegangenen Legislaturperioden aufweist, nicht leisten. Wir erwarten kurzfristig wenigstens ein Inhaltsverzeichnis samt Zeitplan für die Errichtung der „gemeinwohlorientierten Schieneninfrastrukturgesellschaft“ unter dem Dach des Konzerns. 

Die Reform muss umfassend, durchdacht und diskutiert sein

Wenn eine anständige Lösung Zeit über den 1. Januar 2024 hinaus braucht, sollte der Verkehrsminister sich diese nehmen. Die „InfraGO“ ist schließlich kein Selbstzweck. Umfassend, durchdacht und diskutiert muss die Reform sein. Allein die Zusammenführung der Netz- und der Bahnhofssparte der DB in einem konzernangehörigen Unternehmen lehnen wir ab. Wir brauchen keinen Minimalkonsens, der das „Window of opportunity“ wieder schließt und allein darauf vertraut, dass die DB Qualität und Kapazität des Schienennetzes mit fortbestehender Gewinnorientierung als Unternehmensziel steigert. Auch fehlt uns der Glaube, dass eine „bessere Steuerung“ durch das Bundesverkehrsministerium allein durchgreifende Verbesserungen erzielen würde. Gegen diese Selbstermächtigung hat sich das  Konzernmanagement schon seit Jahren erfolgreich gewehrt.

Als Fundament muss der Bund eine Eigentümerstrategie für den DB-Konzern formulieren. Um innerhalb der DB das natürliche Monopol der Schieneninfrastrukturen unabhängig von den im Wettbewerb stehenden DB-Verkehrsunternehmen betreiben zu können, stehen allerdings noch zahlreiche weitere Aufgaben auf dem Zettel des Verkehrsministers:

  • Der Prozess muss mit einer Eröffnungsbilanz und einer schonungslosen Analyse beginnen, die die aktuellen und absehbaren Problemlagen benennt und strategische Ansätze zur Fehlerbehebung identifiziert. Der Bund als Gesetzgeber und DB-Eigentümer, aber auch die DB, müssen ihre Verantwortung für den Zustand und ihre neuen Rollen klären.
  • Ohne Definition, was „Gemeinwohl“ im eisenbahnspezifischen Sinne bedeutet, sind weitere Überlegungen wie das Segeln ohne Kompass. Sie bildet die Grundlage zur Neudefinition der Ziele des Unternehmens und ihrer strategischen Ziele samt Kennzahlen (für Kapazität, Qualität, Preiswürdigkeit, Diskriminierungsfreiheit, Bediener:innenfreundlichkeit und Wachstums-, bzw. Verlagerungsorientierung). 
  • Beherrschungs- und Gewinnabführungsverträge der Infrastrukturgesellschaften müssen gekündigt werden – andernfalls ist die Unabhängigkeit der Infrastruktursparte nicht ausreichend gewährleistet. Dies muss Teil einer grundsätzlichen Neuregelung der Finanzierungsarchitektur werden (Aufgaben des Bundes, Beiträge der Verkehrsunternehmen, effiziente Mittelverwendung, Produktivitätsziele, Rationalisierung).
  • Nicht zuletzt müssen die einzubeziehenden DB-Gesellschaften, die Rechtsform und der Name der neuen Infrastruktureinheit festgelegt werden. Die Güterbahnen haben hierzu bereits im November 2022 in einer Resolution einen Vorschlag unterbreitet: Schiene Deutschland GmbH

Zur Unterstützung und Kontrolle der neuen GmbH schlagen wir ein neu geschaffenes „Bundesamt für Verkehr“ nach Vorbild der Schweiz vor. Nicht die x-te Bundesbehörde mit tausenden Mitarbeitenden, sondern eine überschaubare Zahl visionär veranlagter Expert:innen aus einschlägigen Behörden und Unternehmen. Mit ihrer Hilfe kann das neue Konstrukt unter dem DB-Konzerndach in dem vom Bundestag gesetzten verkehrs- und eisenbahnpolitischen Rahmen die klimafreundliche Schiene zum Rückgrat des Verkehrs der Zukunft machen. In der Schweiz hat genau das geklappt – Abgucken ist nur in der Schule verboten. 

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