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Verkehr & Smart Mobility

Standpunkte Warum die Fahrradbranche einen Neustart braucht

Nikolaj Mosch, Produktentwickler für nachhaltige Fahrräder
Nikolaj Mosch, Produktentwickler für nachhaltige Fahrräder Foto: privat

Der Siegeszug des Elektromotors hat auch die Fahrradbranche erreicht. Autofahrten werden dadurch kaum eingespart, Fahrradfirmen setzen auf wirtschaftliches Wachstum – wie die gern kritisierte Autoindustrie. Kreislaufansätze zum Recycling sind derzeit nicht in Sicht.

von Nikolaj Mosch

veröffentlicht am 06.02.2024

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Manche Hersteller sind immerhin ehrlich. Ein großer amerikanischer Hersteller sagte mir: „Wir sind noch nicht so weit.“ Ein anderer gab zu: „Uns interessiert nur das höher, schneller, weiter.“ Für mich steht fest: Die Fahrradbranche benötigt kein Update, sondern einen Neustart. Spätestens der Green Deal wird sie dazu zwingen.

Fahrradfahren ist eine nachhaltige Fortbewegungsform. Es entstehen bei der Nutzung keine Abgase, es tut der Gesundheit gut und kostet im Betrieb nicht allzu viel. Gerade auf Kurzstrecken ist das Fahrrad anderen Mobilitätslösungen überlegen. Deshalb wird es bei der urbanen Verkehrswende als Kernelement betrachtet, an dem sich mittlerweile ganze Städte in ihrer Umplanung orientieren.

Die Werbung der Fahrradhersteller und deren Vertriebspartner greift das auf. Auch außerhalb der Branche wird das Fahrrad im Marketing als Sinnbild der grünen Transformation gerne hinzugezogen. Fahrradfahren gilt als Trend, der während der Corona-Krise einen zusätzlichen Boom erfahren hat.

Fahrrad ist nicht gleich Fahrrad

Doch aufgepasst: Reden wir immer noch von denselben Dingen? Aus dem Fahrrad ist längst ein E-Bike geworden. Und E-Mountainbikes werden nun in großem Stil durch die Wälder getrieben. Damit noch mehr E-Biker durch die Wälder fahren, nimmt der marktführende Antriebshersteller Bosch sogar ordentlich Geld in die Hand. Vielerorts geht es gar nicht um den Autoersatz. Die SUV-Bikes werden mit dem SUV-Auto zum Waldparkplatz gefahren, und von dort aus beginnt der Spaß – der selbstverständlich ein Grundbedürfnis des Menschen ist.

Die Bikes sind schwer geworden, mit riesigen Akkus, in denen Kobalt aus dem Kongo steckt. Dort arbeiten Kinder in den Minen. Für die Flut an Elektronik gibt es weltweit keine Kreislauflösung, die wirklich funktioniert. Und dass weiterhin in nicht unerheblichem Maß Carbon für Rahmen und Teile sowie giftige Flüssigkeiten für Scheibenbremsen (DOT) verwendet werden, kümmert die Branche nicht.

Wer etwas hinter die Kulissen schaut, weiß, dass Taiwan der Dreh- und Angelpunkt der Branche ist. Gegen das hoch fortschrittliche und demokratische Land ist prinzipiell nichts einzuwenden, aber die dort ansässigen Firmen haben seit Jahren Ableger in Kambodscha. Dort werden unter miesen Arbeits- und Umweltbedingungen, die wir hier niemals akzeptieren würden, unter reinen Kostengesichtspunkten Rahmen, Teile und Räder produziert.

Grüner Sondermüll

Doch damit nicht genug: Die Perfektion der technischen Totalintegration lässt selbst erfahrene Mechaniker verzweifeln. Die Nicht-Reparierfähigkeit und systematische Inkompatibilität der Teile sorgt verbunden mit geringen Haltbarkeiten nur für eins: den baldigen Neukauf. Das ist mit anderen Branchen in unserem linearen Wirtschaftssystem vergleichbar.

Eins ist klar: Wer ein E-Bike nutzt und tatsächlich das Auto stehen lässt, schont die Umwelt. Mit einem Fahrrad wäre die Schonung aber noch viel deutlicher. Und wer das E-Bike nur zum Spaß nutzt, sollte wissen, dass dadurch zusätzliche Emissionen entstehen und dass die Nutzung kein nachhaltiges Vergnügen per se ist.  Passend dazu hat der renommierte Eurobike Award 2023 kein einziges Fahrrad ohne Motor ausgezeichnet, obwohl es entsprechende Einreichungen gab. Die Forcierung des E-Bikes mit allen Mitteln ist die ausgerufene Marschrichtung.

Wir stehen also vor einem riesigen Berg an schwer oder gar nicht verwertbarem Sondermüll und kleben die Plakette „grün“ dran. Das ist genau das, was die EU eigentlich mit dem Green Deal plant zu verbieten: systematisches Greenwashing.

Kreislaufwirtschaft als Chance begreifen

Der Übergang zur Kreislaufwirtschaft ist zweifellos eine Herausforderung. Die Fahrradbranche ruht sich hierbei allerdings seit Jahren auf ihrem grünen Image aus und könnte stattdessen weltweiter Treiber sein. Selbstverständlich kann ein großer Hersteller nicht von heute auf morgen alles umstellen. Es geht um viel mehr als nur ein Produkt, es geht um das gesamte Geschäftsmodell.

Doch genau dieses Geschäftsmodell hat Kratzer bekommen. Signa Sports, Van Moof, Müsing und weitere bekannte Namen sind insolvent. Die bis vor Kurzem mächtige Accell Group wackelt und wurde von der Rating Agentur Fitch auf Ramschniveau herabgestuft. Bekannte Namen wie Flyer haben ihr Personal zusammengestrichen.

Der Verbraucher macht nicht mit, die großen Lagerbestände der immer teurer werdenden Bikes abzuschmelzen. Der zirkuläre Ansatz mit Produktion on demand könnte eine riesige Chance sein. Nur, dann müsste man sich eingestehen, dass die Marschrichtung vielleicht nicht ganz richtig war und die Komfortzone des gewohnten Cashflows aktiv verlassen und sich mit damit verbundenen Unsicherheiten beschäftigen.

Offenheit für neue Ideen Fehlanzeige

2021 dachte ich ganz naiv, die Fahrradbranche würde meine preisgekrönte Idee eines zirkulären Fahrradkonzepts mit Kusshand unterstützen. Das Gegenteil war der Fall. Nur wenige Unternehmen sind offen für neue Ideen. Das sind aber nicht die, die durch ihre grünen Pressekampagnen bekannt sind. Denn genau diesen Firmen ist bewusst, dass sie erst am Anfang stehen, was nachhaltige Produktionsprozesse angeht. Zumal richtig umgesetzte Kreislaufwirtschaft den aktuellen Wirtschaftskreislauf massiv infrage stellt. Recycling alleine reicht bei weitem nicht.

Aber selbst wenn die meisten in der Branche sich nicht mal eine Stunde mit dem Thema beschäftigt haben dürften, gäbe es einfache Ansatzpunkte, die sofort zur nächsten Modellsaison gewohnt linear umgesetzt werden könnten. Dazu zählen der Verzicht auf Carbon, der Verzicht auf DOT-Flüssigkeiten, und kleine Spezifikationsänderungen zugunsten von Reparierbarkeit und Haltbarkeit.

Doch wir sollten den Kopf nicht in den Sand stecken. Endverbraucher können ihren kleinen Beitrag leisten: Kritische Fragen stellen, unbequem werden und die klar unökologische Ware stehen lassen. Ganz praktisch gesehen kann man sich zum Beispiel ein Gebrauchtrad besorgen, selbstständig upcyclen und für die nächsten 20 Jahre im Kreislauf halten. Das geht überall auf der Welt.

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