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Verkehr & Smart Mobility

Standpunkte „Wer könnte etwas dagegen haben, glücklicher zu leben?“

Janet Sanz, ehemalige stellvertretende Bürgermeisterin für Städtebau und Klimanotstand von Barcelona
Janet Sanz, ehemalige stellvertretende Bürgermeisterin für Städtebau und Klimanotstand von Barcelona Foto: Imago

Vor einigen Tagen ist die erste bundesweite Superblock-Konferenz zu Ende gegangen. Janet Sanz, ehemalige stellvertretende Bürgermeisterin für Städtebau und Klimanotstand von Barcelona, erklärt, warum Superblocks mehr als eine städtebauliche Maßnahme zur Verkehrsberuhigung sind.

von Janet Sanz

veröffentlicht am 13.11.2023

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Vor einigen Jahren haben wir uns in Barcelona eine ganz einfache Frage gestellt: Wenn 80 Prozent der Wege zu Fuß, mit dem Fahrrad oder mit öffentlichen Verkehrsmitteln zurückgelegt werden, warum dann 60 Prozent des öffentlichen Raums dem Auto überlassen?

Wir beschlossen, zu handeln und eine von drei Straßen in unserer Stadt in Grün- und Fußgängerzonen umzuwandeln, die unter anderem zum Spielen, Ausruhen, für soziale Kontakte und kulturelle oder gemeinschaftliche Aktivitäten genutzt werden sollen. Denn wenn Autos nicht vorbeifahren, können ganz andere Dinge stattfinden.

Diese Lösung in Form von Superblocks mag zwar einfach erscheinen, sie ist aber sehr wichtig, da sie nicht nur dem Bedarf an mehr und besserem öffentlichem Raum gerecht wird, sondern auch viele andere Herausforderungen in Barcelona angeht: Sie verbessert die Gesundheit der Bürger:innen. Insbesondere Kinder und ältere Menschen profitieren davon, dass die Luftverschmutzung in den Vierteln, in denen wir Superblocks umgesetzt haben, um 19 Prozent reduziert wurde.

Politischer Wille als zentrales Element

Die Temperatur konnte um 4 bis 8 Grad Celsius im Vergleich zu anderen Straßen ohne Belüftung gesenkt werden. Ein besonders wichtiger Effekt inmitten einer Klimakrise, die uns vier Hitzewellen in einem einzigen Sommer beschert hat. Neue Bürgersteige und Fußböden wurden eingebaut, die das Regenwasser auffangen. Aktive Mobilität – zu Fuß oder mit dem Fahrrad – wurde gefördert, und die Geschäfte entlang dieser Achsen haben sogar den Einkauf angekurbelt, sodass die lokale Wirtschaft in der Umgebung gestärkt wurde.

Superblocks sind jedoch nicht nur eine städtebauliche Maßnahme mit Auswirkungen auf Gesundheit und Wirtschaft, sondern auch ein Instrument zur Demokratisierung des öffentlichen Raums und der sozialen Gerechtigkeit, das uns zu einem Kulturwandel bei der Planung unserer Städte führen sollte. In der Vergangenheit war das Auto der Protagonist, für den die Straßen entworfen wurden, wobei die Nutzung durch Frauen, Kinder, ältere Menschen und Schwächere außer Acht gelassen wurde.

Superblocks bedeuten, diesen Gruppen den öffentlichen Raum zurückzugeben und ihn aus der Perspektive des Gemeinwohls und der kollektiven Bedürfnisse zu betrachten. Im Gegensatz zu einer Autoindustrie, die den Raum privatisiert und nur auf individuelle Bedürfnisse eingeht. Es handelt sich also um ein entschlossenes Engagement für eine ökofeministische Stadtplanung, ein Engagement, das eine einfache Zutat erfordert: den politischen Willen.

In immer mehr Städten ist der politische Wille vorhanden, aber in staatlichen und internationalen Institutionen fehlt es oft daran. Eine einzelne Stadt allein kann den Klimanotstand, die interurbane Mobilität oder die Probleme der öffentlichen Gesundheit nicht bewältigen; wir brauchen die Unterstützung des Staates oder der Europäischen Union, um eine Änderung des globalen Modells zu erreichen, das auf diese grenzüberschreitenden Probleme reagiert.

Nur der Anfang einer Veränderungslogik

Daher müssen die Superblocks über die Kommunen hinausgehen und zu einer Logik werden, die auf jeder Verwaltungsebene angewandt werden kann: Die Ersetzung von Kurzstreckenflügen durch ein Netz von Nachtzügen, die Einrichtung regionaler Niedrigemissionszonen oder die Förderung des lokalen Konsums sind einige Beispiele für ergänzende Maßnahmen zu den Superblocks, die zwischen den Ländern vereinbart werden sollten.

Wir freuen uns, dass wir in Barcelona einen Modellwechsel herbeigeführt haben, indem wir uns für eine kreative und mutige Stadtplanungspolitik eingesetzt haben. Bei ihrer Einführung rief sie Ängste oder Ablehnung hervor, aber nach ihrer Fertigstellung findet sie breite öffentliche Unterstützung. In diesem Jahr befürworten 66 Prozent der Bewohner:innen der Stadtteile, in denen wir die Superblocks umgesetzt haben, den Eingriff und wünschen sich eine weitere Verkehrsberuhigung.

Wir erleben einen Generationswechsel, der das Auto in den Hintergrund drängt und an seiner Stelle auf Gesundheit, Vegetation, Zusammenleben oder hochwertige und zugängliche Freizeitangebote setzt. Wenn wir schon nicht von den Vorteilen für die Gesundheit, das Klima oder die Kinder überzeugt sind, dann doch wenigstens von der Freude und dem Zuspruch, den die Superblocks hervorrufen: Wer könnte etwas dagegen haben, glücklicher zu leben?

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