Anfang Februar kündigten das Bundesfinanz- und das Bundeswirtschaftsministerium an, weitere 1,6 Milliarden Euro aus dem Zukunftsfonds in Technologie- und Innovationsentwicklungen in Deutschland zu investieren. Ein Großteil hiervon soll als Risikokapital direkt in Start-ups mit innovativen Technologien investiert werden. Diese Innovationen werden dringend benötigt – für die Transformation der Wirtschaft, aber auch zur Sicherung des Industriestandortes Deutschland.
Sogenannte Deep-Tech-Innovationen haben hierbei eine besondere Relevanz: Sie zeichnen sich dadurch aus, dass sie einen tiefgreifenden technologischen Fortschritt ermöglichen und entscheiden immer öfter über den Erfolg im internationalen Wettbewerb. Das gilt insbesondere für die Automobilindustrie. Denn bei den wichtigsten Markttrends wie der Antriebswende und dem autonomen Fahren zeigt sich die chinesische und amerikanische Konkurrenz derzeit innovativer und sie gewinnt Vorsprung.
Die Deep-Tech-Innovationen von Start-ups in die Anwendung zu überführen, wird daher entscheidend für die Zukunftsfähigkeit des deutschen Standortes sein. Dies erfordert jedoch massive Investitionen – die eingangs erwähnten 1,6 Milliarden Euro sind hierbei natürlich positiv zu bewerten. Stellt man diese Investitionen allerdings in einen Kontext mit den im Konkurrenzmarkt USA getätigten Venture-Capital-Investitionen, wirken sie wie ein Tropfen auf den heißen Stein: Während in den USA 2023 etwa 149 Milliarden US-Dollar VC investiert wurden, waren es lediglich knapp acht Milliarden Euro in der gesamten DACH-Region. Wie also ermöglicht man vor dem Hintergrund begrenzter Haushaltsmittel die nötigen Innovationen in die heimische Industrie? Zunächst lohnt ein Blick auf die hiesige Forschungslandschaft.
Der Forschungsstandort ist weiterhin Weltklasse
Auch wenn im aktuellen Bundeshaushalt fatale Kürzungen in den Forschungsprogrammen rund um Zukunftstechnologien wie Wasserstoff, synthetische Kraftstoffe, Batterien und Energiespeicher vorgenommen wurden, bringt der deutsche Forschungsstandort gegenwärtig immer noch hervorragende Innovationen hervor. Gleichermaßen meistern engagierte Gründerinnen und Gründer zumeist erste Finanzierungsrunden und beweisen erfolgreich die Marktfähigkeit ihrer Innovationen.
So gehen beispielsweise die weltweit ersten massenmarkttauglichen Siliziumanoden von NorcSi auf ein interdisziplinäres Forschungsprojekt zweier deutscher Hochschulen, verbunden mit der Helmholtz-Gemeinschaft, zurück. Die Anoden sind ein zentrales Bauteil für eine neue Generation von Lithium-Ionen- sowie für Feststoffbatterien. Sie können die Reichweite von Elektroautos bei einer gleichzeitigen Erhöhung der Ladegeschwindigkeit deutlich erhöhen. Für deutsche Automobilhersteller könnte diese Technologie eine der so dringend benötigten Innovationen sein. Ob es gelingt, die Produktion der NorcSi-Anode in Deutschland zu skalieren, ist allerdings mehr als fraglich.
Die größte Finanzierungslücke klafft in Deutschland bei der Skalierung
Es ist leider keine Seltenheit, dass bahnbrechende Innovationen in Deutschland erfunden, aber bevor sie die Skalierung erreichen, ins Ausland verkauft werden. Sind Technologien erst einmal bis zur Machbarkeit entwickelt, sind im Deep-Tech-Bereich nicht selten Investitionen von 100 Millionen Euro oder mehr nötig, um eine erste Skalierung der Produktion zu erreichen. Um solche Investitionen zur Verfügung stellen zu können, werden Venture-Capital-Fonds mit einem Volumen von vier bis zehn Milliarden Euro benötigt.
In Deutschland existiert allerdings nicht einmal ein einziger VC-Fonds mit einem Volumen von mehr als einer Milliarde Euro. Für die benötigten Investitionen sind hiesige Start-ups daher auf ausländische Investoren – vornehmlich aus den USA, Singapur, Japan, Südkorea oder Saudi-Arabien – angewiesen, die im Zuge ihrer umfangreichen Investition auch ein maßgebliches Mitbestimmungsrecht über das Unternehmen und die Innovation erhalten.
Die B-Finanzierungsrunde von Ineratec veranschaulicht dieses Problem: Die Technologie von Ineratec ermöglicht eine energieeffiziente und skalierbare Herstellung synthetischer Kraftstoffe, die unabdingbar für die Klimaneutralität des Flug- und Schiffsverkehrs sind. Selbst bestehende Fahrzeugflotten können mit der Technologie klimaneutral gestellt werden – das Potenzial ist immens. Die Grundlage der Technologie stammt auch in diesem Fall aus deutschen Forschungsinstituten. Bei den nun getätigten Venture-Capital-Investitionen von über 100 Millionen Euro für die Skalierung ist allerdings kein einziger deutscher Investor mehr vertreten. Daher liegt die Zukunft dieser Innovation voraussichtlich im Ausland.
Zurück zum Fortschritt durch Technik
In Deutschland besteht eine Finanzierungslücke von über 30 Milliarden Euro jährlich, um VC-Investitionen per capita wie in den USA zu erreichen. Ein direkter Einsatz von staatlichen Geldern kann bei solch einer Summe offensichtlich nicht die Lösung sein. Diese Summe aus privatem Kapital zu mobilisieren ist ebenfalls herausfordernd – aber nicht unmöglich.
Kapitalsammelstellen, wie beispielsweise Versicherungen, verwalten enorme Mengen Anlagekapital. Die größte deutsche Kapitalsammelstelle – die Allianz Lebensversicherung – verwaltete Ende September 2023 beispielsweise 253 Milliarden Euro. Im Gegensatz zu den USA dürfen Versicherungen und Pensionskassen hierzulande allerdings kein Risikokapital bereitstellen. Bereits ein geringer Anteil von zwei Prozent des Gesamtportfolios dieser einzigen Versicherung würde ausreichen, um die Finanzierungslücke um sage und schreibe fünf Milliarden Euro zu senken.
Angenommen, man führt flankierend ein Steuermodell ein, welches eine steuerliche Abschreibung sowie eine Steuerbefreiung für einen Gewinn in Höhe der ursprünglichen Investition vorsieht, könnten so die Geldströme von zahlreichen Anlegern – wie Versicherungen, Pensionskassen aber auch Privatinvestoren – zu einem hinreichenden Teil in Risikokapital gelenkt werden. Zur Veranschaulichung ein Rechenbeispiel: Investiert ein Anleger 100 Euro in einen VC-Fonds, könnte er 100 Euro direkt von der Steuer abschreiben und die ersten 100 Euro Gewinn auf seine Investition steuerfrei erhalten. Vor diesem Hintergrund werden selbst tendenziell vorsichtige deutsche Anleger ihr Portfolio um zukunftsfähige Anlagen im Risikokapitalbereich erweitern.
Der Staat würde hierbei ohne zusätzliche Kosten gleich doppelt profitieren: Einerseits werden die für den Wirtschaftsstandort dringend benötigten Innovationen finanziert, andererseits ergeben sich im Zuge der Investitionen höhere Steuereinnahmen als anderweitig mit der Kapitalertragssteuer generiert werden könnten. Anstatt aus einem Betrag von 100 Euro Festgeldanlage in einem durchschnittlichen Jahr etwa 50 Cent Steuereinnahmen zu generieren, würden die 100 Euro in einem VC-Fonds investiert in Form von Lohn und Ausgaben wieder in den Wirtschaftskreislauf gebracht. So würde die Investition als Einkommens-, Gewerbe- und Mehrwertsteuer mehrmals versteuert und insgesamt ein Volumen von Steuereinnahmen erwirtschaftet, das die Festgeldanlage in 20 Jahren nicht einbringen würde.
Für den Wirtschaftsstandort und die hiesige Automobilindustrie könnten die vorgeschlagenen Maßnahmen den Innovationsschub in der benötigten Größenordnung von 30 Milliarden Euro jährlich bedeuten. Der Ausverkauf der Innovationen könnte so gestoppt werden, ohne den Bundeshaushalt zusätzlich zu belasten. Die Bundesregierung ist nun aufgefordert zu handeln, um die nötigen Risikokapitalströme zu ermöglichen. Die Welt ist im Wandel – die größte Sicherheit liegt heute darin, Risiken einzugehen, anstatt auf Altbewährtes zu setzen. Darauf muss sich die Industrie und Politik genauso einlassen wie die deutsche Gesellschaft mit ihrem Anlagevermögen. Andernfalls verliert der deutsche Standort bei den wichtigen Technologien der Zukunft den Anschluss.