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Verkehr & Smart Mobility

Standpunkte Wie Landstraßen sicherer werden

Jonas Hurlin, Referatsleiter Politik und Recht beim DVR
Jonas Hurlin, Referatsleiter Politik und Recht beim DVR Foto: Martin Lukas Kim/DVR

Mobilität auf der Landstraße muss sicherer werden, fordert Jonas Hurlin, Referatsleiter Politik und Recht beim Deutschen Verkehrssicherheitsrat. Im Standpunkt erläutert er, wie ein entsprechendes Aktionsprogramm aussehen könnte und schlägt unter anderem kleine Änderungen in der StVO vor, die lokalen Behörden mehr Freiheiten geben.

von Jonas Hurlin

veröffentlicht am 05.07.2021

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Im letzten Jahr starben trotz der Corona-Pandemie nach Angaben des Statistischen Bundesamtes 1.592 Personen bei Verkehrsunfällen auf Landstraßen – alle fünfeinhalb Stunden ein Mensch. Hinter dieser Zahl steht enormes Leid: Familienangehörige, die ertragen mussten, dass ihr Vater im Familienauto verbrannt ist oder die Großmutter mit gewaltiger Wucht vom Pedelec geschleudert wurde. Und Rettungskräfte, die die Bilder von solchen Einsätzen nie wieder vergessen können.

Warum aber hat gerade die Mobilität auf Landstraßen einen so hohen Preis? Auf Landstraßen werden hohe Geschwindigkeiten gefahren, obwohl vielerorts die Infrastruktur dafür nicht geeignet ist: Keine Abtrennung vom Gegenverkehr, kein Schutz vor dem Abkommen von der Fahrbahn, schlechte Oberflächen, schmale Fahrspuren, schwierige Sichtverhältnisse und hohe Differenzgeschwindigkeiten zwischen den Fahrzeugen tragen dazu bei, dass aus kleinen Fehlern schwere Unfälle werden.

Das Wissen darüber, wie man Landstraßen sicherer macht, ist vorhanden. Was fehlt, ist eine flächendeckende Umsetzung. Wir brauchen deshalb ein Aktionsprogramm, das die wirksamsten Maßnahmen auflistet und die zuständigen Behörden unterstützt, Mobilität auf allen Landstraßen für alle sicherer zu machen.

Wegen der verschränkten und verästelten Zuständigkeiten im Straßenwesen kann dies nur gelingen, wenn dafür alle Verwaltungsebenen aktiviert und in die Lage versetzt werden, ein sicheres Verkehrssystem zu schaffen.

Der Bund sollte dafür als Initiator und Förderer auftreten, ganz im Sinne des kürzlich vorgelegten Verkehrssicherheitsprogramms der Bundesregierung, aber auch den notwendigen Handlungsspielraum geben. Die Verkehrs- und Innenministerien der Länder sind die wichtigste Schnittstelle: Sie müssen deutlich mehr qualifiziertes Personal für die nachgeordneten Behörden bereitstellen. Außerdem müssen sie die Umsetzung auch in den Verwaltungen auf Kreis- und kommunaler Ebene steuern und überwachen. Leider zeigen Gespräche auf Landesebene häufig, dass über die Aktivitäten der nachgeordneten Behörden im Geschäftsbereich dieser Ressorts kaum Informationen vorliegen. Das ist fatal. Denn warum soll die Sicherheit einer Landstraße vom persönlichen Engagement eines Baudezernenten in einer Kreisverwaltung abhängen?

Die wichtigsten Maßnahmen des Aktionsprogramms:

Geschwindigkeiten anpassen und überwachen

Eine zu hohe Geschwindigkeit ist der größte Risikofaktor auf Landstraßen. Gerade auf engen Landstraßen oder in Alleen ist Tempo 100 sehr oft die falsche Wahl. Mit einem 80-Schild ist es aber nicht getan. Auch die Verkehrsüberwachung auf unfallgefährlichen Strecken muss massiv ausgeweitet werden. Optimal ist dafür die Abschnittskontrolle, die an der Bundesstraße 6 in Niedersachsen erfolgreich eingesetzt wird. Dabei wird die Geschwindigkeit nicht nur punktuell gemessen, sondern über mehrere Kilometer hinweg. Das ist fair, harmonisiert die Fahrgeschwindigkeiten und verhütet nachweislich Unfälle. Nicht zu vergessen ist aber, dass mehr Überwachung auch mehr Personal bei Bußgeldstellen, Polizei und Justiz benötigt.

Mehr Freiheit für lokale Behörden

Warum gibt eigentlich der Bund vor, welche Höchstgeschwindigkeit auf einer Kreisstraße in der Uckermark gefahren werden darf? Das kann die Behörde vor Ort besser und wird, wenn sie selbst in der Verantwortung ist, meist auch die sinnvollere Entscheidung treffen. Derzeit muss sie aufwändig eine besondere örtliche Gefahrenlage nachweisen. Hier kann der Bund durch kleine Änderungen in der Straßenverkehrs-Ordnung mehr Freiheiten geben und für enge Landstraßen gleich 80 km/h vorschreiben. Dann wird es einfacher, sichere Straßen für alle – auch den Fuß- und Radverkehr – zu schaffen.

Aus- und Weiterbildung für fachlich anspruchsvolle Aufgaben

Um eine Landstraße sicherer zu machen, muss man sich mit einer Vielzahl an Bestimmungen und technischen Zusammenhängen auskennen. Ab wann ist der Randbereich der Fahrbahn, das sogenannte Bankett, ausgefahren? Was ist bei Neupflanzungen von Straßenbäumen zu beachten? Welche Maßnahmen verhüten Motorradunfälle? In manchen Behörden arbeiten ausgewiesene Expertinnen und Experten, in vielen anderen wurde das Fachpersonal über Jahre ausgedünnt. Der Bund kündigt im Verkehrssicherheitsprogramm der Bundesregierung bereits eine Aus- und Weiterbildungsoffensive an. Diese muss auch die Landstraßensicherheit abdecken. Gefragt sind aber noch mehr die Länder, Stellenpläne aufzustocken und an den Hochschulen mehr Lehrstühle für Bauingenieurwesen einzurichten.

Genau hinschauen: Audit, Verkehrsschau und Unfallkommission

Eigentlich müsste Infrastruktur, die Unfälle begünstigt, auffallen: Die zuständigen Behörden sind rechtlich verpflichtet, regelmäßig Verkehrsschauen durchzuführen. Leider fehlt häufig das Personal oder die Priorität. Dadurch werden fahrlässig Menschenleben in Gefahr gebracht. Auch Audits verbessern die Infrastruktur: Hier schauen sich Expertinnen und Experten bei Neu-, Um- und Ausbaumaßnahmen gegenseitig über die Schulter und können erkennen, ob zum Beispiel ein Kreisverkehr oder eine separate Linksabbiegerspur Sicherheitsgewinne bringen kann. Erfreulich ist, dass der Bund laut neuem Verkehrssicherheitsprogramm auch die Durchführung solcher Audits im Bestand fördern will. Und wieder braucht es Personal und Mittel, die gefundenen Maßnahmen auch umzusetzen. Gleiches gilt für die Unfallkommissionen, deren Aufgabe die Entschärfung bekannter Gefahrenstellen ist.

Weniger Kreuze kosten erst mal mehr

Das Aktionsprogramm kostet Geld, vor allem für gutes Personal. Sicherheit gibt es nicht zum Nulltarif, aber sie schützt Menschen und bewahrt Werte. Kalkulieren wir doch fürs Erste mit einem Jahresbudget in Höhe der volkswirtschaftlichen Kosten der Personenschadensunfälle auf Landstraßen: 6,5 Milliarden Euro. Die Verteilung der Last auf die Flächenländer ist nach der Verkehrsunfallstatistik oder der Länge des Landstraßennetzes eine einfache Rechenaufgabe, wobei der Bund nach allen Regeln der föderalen Finanzverfassung einen Ausgleich schaffen sollte.

Die staatliche Aufgabe, den Schutz von Leib und Leben zu gewährleisten, steht im Grundgesetz. Wer es spezieller möchte, findet künftig die Verkehrssicherheit als oberstes Ziel der Verkehrsregelung und -lenkung in der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zur StVO. Dafür hat der Bundesrat am 25. Juni 2021 gesorgt und noch ergänzt: „Hierbei ist die „Vision Zero“ (keine Verkehrsunfälle mit Todesfolge oder schweren Personenschäden) Grundlage aller verkehrlichen Maßnahmen.“ Weniger bürokratisch ausgedrückt: Die Verwaltungen müssen mit aller Kraft weiße Kreuze am Straßenrand verhindern.

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