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Verkehr & Smart Mobility

Standpunkte Wir brauchen den Mut zum Verbrenner-Ausstieg

Sandra Roling, Leiterin des Bereichs Verkehr, Climate Group
Sandra Roling, Leiterin des Bereichs Verkehr, Climate Group

Der jüngste Bericht des IPCC macht deutlich, es ist allerhöchste Zeit für eine zügige E-Mobilitätswende für mehr Klimaschutz im Verkehr. Ein Ausstiegsdatum für Verbrenner bis 2032 und ein ambitionierter Ausbau der Ladeinfrastruktur sorgen dabei für Planungs- und Investitionssicherheit, findet Sandra Roling von der Climate Group.

von Sandra Roling

veröffentlicht am 06.09.2021

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Der Weltklimarat (IPCC) hat in seinem jüngst veröffentlichten sechsten Sachstandsbericht eindrücklich dargelegt, wie stark der menschliche Einfluss auf die Veränderung des globalen Klimas ist. Schon jetzt hat der Klimawandel demnach Auswirkungen auf alle bewohnten Regionen der Welt und der menschliche Einfluss trägt zu vielen beobachteten Veränderungen des Wetters und Klimaextremen bei – wie sie in diesem Sommer Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen getroffen haben.

Wir wollen die E-Mobilitätswende bis 2030

Eine Konsequenz daraus muss sein, dass wir beim Klimaschutz deutlich an Fahrt aufnehmen – denn die größten Aufgaben auf dem Weg zur Klimaneutralität liegen noch vor uns. Als Climate Group unterstützen wir dieses Ziel weltweit mit Partnern aus über 300 multinationalen Unternehmen. Mit unserer Initiative EV100 zielen wir dabei speziell auf die Transformation des Verkehrssektors. Gemeinsam mit Betreibern großer Firmenflotten arbeiten wir daran, Elektrofahrzeuge bis 2030 zur neuen Normalität zu machen.

In Deutschland brauch wir die E-Mobilitätswende dringend, um die Treibhausgasemissionen des Verkehrssektors zügig zu senken. Diese sind durch den Anstieg des Verkehrsaufkommens zwischen 1990 und 2019 nahezu konstant geblieben. Zum anderen ist mehr Tempo geboten, wenn die deutsche Automobilindustrie in der international stattfinden Transformation der Branche nicht abgehängt werden soll. Deren bisherige Spitzenposition wird durch Wettbewerber aus Asien und den USA schon heute in Frage gestellt. Dass die deutschen Autobauer die Wende eingeleitet und sich zum Ziel gesetzt haben, bis 2030 deutlich mehr Elektrofahrzeuge zu verkaufen, ist daher ein Schritt in die richtige Richtung.

Die bisherigen Beschlüsse reichen nicht aus

Es muss aber mehr geschehen, damit der Verkehrssektor seine Klimaziele erreicht. Agora Energiewende prognostiziert, dass der Sektor in diesem Jahr mit 155 Millionen Tonnen CO2 Äquivalent rund 10 Millionen Tonnen mehr emittieren wird als nach dem Bundes-Klimaschutzgesetz zulässig. Darüber hinaus muss die nächste Bundesregierung möglichst schnell darlegen, mit welchen Maßnahmen sie die neuen deutschen Klimaziele für 2030 und 2045 im Verkehrssektor erreichen will. Die versprochenen Gelder aus dem „Sofortprogramm für mehr Klimaschutz“ allein werden nicht genügen.

Aus Sicht von EV100 und unseren Partnerunternehmen sind für eine E-Mobilitätswende in dieser Dekade Planungs- und Investitionssicherheit für die Automobilindustrie und die Fahrzeugkäufer*innen entscheidend. Daher plädieren wir dafür, die Förderung der E-Mobilität, um ein Zieldatum für den Ausstieg aus dem Verbrennungsmotor zu ergänzen. Daneben müssen wir beim Ausbau der Ladeinfrastruktur ambitionierter vorgehen und Geschwindigkeit aufnehmen.

Verbrenner-Ausstieg bis spätestens 2032

Gemäß der Agora-Studie „Klimaneutrales Deutschland 2045“ brauchen wir bis 2030 rund 14 statt den von der Bundesregierung bisher avisierten sieben bis zehn Millionen E-Fahrzeugen auf Deutschlands Straßen, um die neuen Klimaziele zu erreichen. Daneben wird davon ausgegangen, dass 30 Prozent des Lkw-Verkehrs elektrifiziert sein müssen. Im Juli haben wir die Marke von einer Million elektrisch betriebener Fahrzeuge geknackt – davon sind 46 Prozent Plug-In-Hybride. Trotz erfreulich gestiegener Zulassungszahlen – in den ersten sieben Monaten dieses Jahres wurden etwa 350.000 E-Fahrzeuge zugelassen – bleibt das Ziel von 14 Millionen eine Herausforderung.

Neben der fortgesetzten Förderung für E-Fahrzeuge sollten wir den Mut aufbringen, ein Ausstiegsdatum für Verbrenner-Pkw und Hybrid-Fahrzeuge zu definieren. Ein solches Datum gibt den privaten Autokäufer*innen, den Flottenbetreibern und der Autoindustrie Orientierung und Planungssicherheit und hilft uns den erforderlichen Zulassungspfad für E-Fahrzeuge abzusichern. Wir plädieren dabei spätestens für das Jahr 2032. Dieses Datum gibt der Automobilbranche Zeit, sich umzustellen und lässt nach den Agora-Berechnungen zum anderen ausreichend Spielraum, um bis 2045 nahezu alle Bestandsfahrzeuge mit Verbrennungsmotor durch E-Pkw zu ersetzen.

Ausreichender Zugang zu Ladeinfrastruktur

Um die genannten Zulassungsziele bei den E-Fahrzeugen zu erreichen, müssen wir parallel beim Ausbau der Ladeinfrastruktur vorankommen. Zum 1. August gab es in Deutschland 39.424 Normal- und 6.750 Schnellladepunkte. Für über 14 Millionen E-Fahrzeuge taxiert die Nationale Leitstelle Ladeinfrastruktur den Bedarf auf 440.000 bis 843.000. Zwischen Juli und August wurden jedoch gerade mal 450 Ladepunkte zugebaut. Das heißt, das Ausbautempo muss dringend steigen.

Wichtig ist jedoch nicht nur wie viele, sondern auch wo Ladepunkte errichtet werden. Die Möglichkeit ein E-Fahrzeug zu laden, darf nicht vom Wohnort oder von der Wallbox am eignen Stellplatz abhängen. Darüber hinaus muss die Interoperabilität gewährleistet sein, damit das Laden und das Bezahlen so einfach wie möglich sind – und das unabhängig davon, von welchem Anbieter ein Ladepunkt betrieben wird.

Eine Chance für Wirtschaft und Gesellschaft

Die E-Mobilitätswende ist also definitiv kein Selbstläufer. Aber mit klaren Zielen und den richtigen Rahmenbedingungen kann sie zum Erfolg für die deutsche Automobilindustrie werden. Dabei ist es richtig und wichtig, dass die Zulieferindustrie, wie auf dem jüngsten Autogipfel im Kanzleramt bestätigt, durch die Bundesregierung bei Ihrer Transformation unterstützt wird. Wir können es uns vor allem nicht leisten, auf qualifizierte Arbeitnehmer*innen zu verzichten. Umschulungen und Weiterbildungsangebote für Mitarbeiter*innen, die aktuell in der Fertigung von Verbrennungsmotoren arbeiten, sind daher essenziell.

Am Ende kann Deutschland nicht nur wirtschaftlich und in Bezug auf die Klimaziele von der Elektromobilität profitieren. Durch die E-Mobilitätswende verringern wir auch die Lärm- und Schadstoffbelastung durch den Verkehrssektor, wodurch insbesondere die Lebensqualität von Städten und Orten mit Durchgangsverkehren profitieren wird.

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