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Digitalisierung & KI

Standpunkte Das Digitale-Dienste-Gesetz – was lange währt, wird immerhin besser

Svea Windwehr, Expertin für Plattformregulierung bei der Gesellschaft für Freiheitsrechte.
Svea Windwehr, Expertin für Plattformregulierung bei der Gesellschaft für Freiheitsrechte. Foto: Bernhard Leitner

Nach dem langen Warten auf eine zeitgemäße Plattformregulierung in der EU war auch das Digitale-Dienste-Gesetz (DDG) der Bundesregierung für manche eine Geduldsprobe. Obwohl die Deadline für die nationale Umsetzung des Digital Services Act im Februar 2024 von Deutschland wohl verfehlt wird, sieht Svea Windwehr von der Gesellschaft für Freiheitsrechte einige positive Änderungen im aktuellen Entwurf. Welche Punkte das sind und was sie nach wie vor kritisch sieht, schreibt sie im Standpunkt.

von Svea Windwehr

veröffentlicht am 20.12.2023

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Einst hat das Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) Deutschland zum internationalen Trendsetter in Sachen Plattform-Regulierung gemacht, heute hinkt die Bundesrepublik hinterher. Ob verflucht oder gefeiert, das NetzDG war vor sechs Jahren weltweit das erste Gesetz, das sozialen Netzwerken detaillierte Pflichten im Umgang mit Inhalten und zur Schaffung von Transparenz über ihre Abläufe auferlegt hat. Es hat das deutsche Selbstbewusstsein begründet, Tech-Giganten die Stirn bieten zu können. Ob an diese Erfolgsgeschichte angeknüpft werden kann, hängt auch vom Digitale-Dienste-Gesetz (DDG) ab, das den europäischen Digital Services Act (DSA) in Deutschland durchführen soll. Verschobene Zeitpläne und bürokratische Hürden lassen jedoch schon jetzt wenig Hoffnung auf eine schnelle Lösung.

Der DSA führt unter anderem europaweit einheitliche Regeln ein, nach denen Online-Plattformen Inhalte entfernen, einschränken oder auch wieder freischalten müssen. Damit läutet das Gesetz eine neue Ära für den Schutz von Nutzer*innen in der EU ein, und verspricht, in das Machtungleichgewicht zwischen Plattformen und Nutzer*innen einzugreifen. Inwieweit der DSA in der Praxis dieses Versprechen einhalten kann, hängt wie immer von der Umsetzung ab: Nur eine starke Aufsicht, unterstützt, ergänzt und überwacht durch Zivilgesellschaft und Wissenschaft, kann dieser Aufgabe gerecht werden.

Hier kommt das DDG ins Spiel: Auf Grundlage dieses Gesetzes wird unter anderem die deutsche Aufsichtsbehörde benannt, die Koordinierungsstelle für digitale Dienste (Digital Services Coordinator, DSC). Diese Koordinierungsstelle soll eigentlich schon zum 17. Februar 2024 ihre Arbeit aufnehmen, wenn der DSA in Gänze in Kraft tritt – eine Deadline, die nicht mehr zu halten ist. Die Verantwortung, die sehr großen Plattformen zu beaufsichtigen, liegt zwar bei der Europäischen Kommission. Nationale Aufsichtsbehörden spielen aber trotzdem eine zentrale Rolle, um Nutzer*innen und Forscher*innen zu ihren Rechten unter dem DSA zu verhelfen. Wenn das Bundeskabinett nach monatelangem Ringen den Entwurf für ein DDG heute endlich beschließt, ist die Bundesregierung zwar einen Schritt weiter, die neuen Nutzer*innenrechte durchzusetzen, die der DSA einführt. Trotzdem ist Deutschland schmählich spät dran.

Sinnvolle Aufsichtsstruktur

Was das Kabinett heute beschließen soll, scheint in vielerlei Hinsicht vielversprechend. Mit der Bundesnetzagentur (BNetzA) benennt das DDG eine erfahrene und unabhängige Behörde als DSC. Wie viele andere zivilgesellschaftliche Organisationen hat die Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) gefordert, dass die Kompetenzen der Koordinierungsstelle möglichst gebündelt werden sollten – um zu vermeiden, dass Kompetenzen in der eh schon komplexen deutschen Behördenlandschaft zerfasern.

Diese Forderung scheint weitgehend erfolgreich gewesen zu sein: So wurde eine noch im Entwurf des Bundesministeriums für Digitales und Verkehr erwogenen Option, die Aufsicht über soziale Netzwerke dem Bundesamt für Justiz (BfJ) zu übertragen, abgelehnt. Eine zentrale, gut organisierte und gut ausgestattete Koordinierungsstelle ist eine essenzielle Grundlage, um Nutzer*innen zu schützen und ihren Interessen Gehör zu verschaffen. Genauso zu begrüßen ist es, dass der deutsche DSC mit einem Forschungsbudget ausgestattet ist. Dies bildet eine wichtige finanzielle Basis, um die Stelle zu befähigen, externe Expertise einzuholen und eigene Nachforschungen betreiben zu können. Das dafür angesetzte Budget von jährlich 300.000 € ist zwar klein, aber immerhin ein Anfang.

Eine gestärkte Rolle für die Zivilgesellschaft

Zudem positiv zu bewerten ist die gestärkte Rolle, die der Zivilgesellschaft im Beirat des Digitale-Dienste-Koordinators zukommt: Von 16 Sitzen sollen immerhin acht auf ihre Vertreter*innen entfallen, weitere vier auf die Wissenschaft. Das macht Mut, denn um den DSA erfolgreich durchzusetzen, ist die Expertise und Erfahrung der Zivilgesellschaft unersetzlich.

Durch den Beirat wird die regelmäßige Konsultation von Forschung und Zivilgesellschaft und ein transparenter und langfristiger Austausch mit der BNetzA sichergestellt. Stichwort Transparenz: Die GFF fordert, dass nicht nur die Sitzungen des Beirats online übertragen werden, sondern auch, dass die Empfehlungen, Gutachten und Positionspapiere des Beirats veröffentlicht werden. Denn der Beirat wird als alleiniges Format nicht ausreichen, um die Diversität der Zivilgesellschaft in ihrer Breite abzubilden, und sollte deswegen so transparent wie möglich arbeiten. Zusätzlich muss die Geschäftsstelle des Beirats angemessen ausgestattet werden, um sicherzustellen, dass seine ehrenamtlichen Mitglieder ihren Aufgaben auch gerecht werden können.

Rückschritte beim Zustellungsbevollmächtigten

Zu begrüßen ist auch die Entscheidung, das Konzept des inländischen Zustellungsbevollmächtigten für Plattformen grundsätzlich zu erhalten. Gerade für Betroffene von digitaler Gewalt, die den wichtigen Schritt gehen, sich gegen Plattformen zu wehren, ist es zentral, dass Dokumente schnell, praktikabel und sicher zugestellt werden können.

Dass diese Verpflichtung nur gegenüber Plattformen ohne Sitz in der EU gilt, muss dagegen als Rückschritt gewertet werden. Mit Instagram, Facebook, X, YouTube und Google sind die allermeisten der sehr großen Online-Plattformen und Suchmaschinen in Irland ansässig, was die grenzübergreifende Zustellung von Dokumenten in einem Rechtsstreit langwierig, kompliziert und mitunter teuer gestaltet. Hier verpasst Deutschland auszuloten, inwieweit ein bewährtes Instrument auch unter dem DSA und im Kontext aktueller Rechtsprechung noch auf Plattformen mit Sitz in anderen Mitgliedsstaaten anwendbar sein kann. Es wird sich zeigen, ob das für das kommende Jahr zu erwartende Gesetz gegen digitale Gewalt hier andere Akzente setzt.

Drohende massenhafte Datenausleitungen

Besorgniserregend ist dagegen, dass der Entwurf keinen Versuch unternimmt, zu konkretisieren, welche Inhalte Anbieter nach dem DSA proaktiv an Strafverfolgungsbehörden ausleiten müssen – in diesem Fall das Bundeskriminalamt (BKA). Dessen Artikel 18 verpflichtet Anbieter von Hosting-Diensten bei Verdacht auf Straftaten, die eine Gefahr für „das Leben oder die Sicherheit“ darstellen, proaktiv Nutzer*innendaten an Strafverfolgungsbehörden weiterzugeben.

Der DSA grenzt schon nicht ein, um welche Inhalte es sich dabei handeln soll, das DDG behebt diesen Fehler nicht. Das BKA rechnet hier jedenfalls mit einer erheblichen Zahl an Meldungen und hat einen Mehrbedarf von über 400 Stellen allein für ihre Bearbeitung angemeldet. Für Nutzer*innen könnte diese erzwungene Zusammenarbeit von Plattformen und BKA massive Freiheitseingriffe bedeuten. Es bleibt zu hoffen, dass hier im parlamentarischen Prozess nachgebessert werden kann.

Im parlamentarischen Verfahren wird sich auch die GFF weiter einbringen, denn der Entwurf, der heute vom Kabinett verabschiedet werden soll, zeigt: Zivilgesellschaftliches Engagement und konstruktive Kritik lohnen sich. Wir werden auch in Zukunft die Umsetzung des DSA und seine Durchsetzung eng verfolgen, um sicherzustellen, dass Nutzer*innen zu ihren Rechten kommen, und Forscher*innen von ihren neuen Möglichkeiten, Zugang zu Plattformdaten zubekommen, Gebrauch machen können. Auch wenn die deutsche Koordinierungsstelle am 17. Februar noch nicht bereit sein wird, ihre Arbeit aufzunehmen – wir sind es!

Svea Windwehr leitet seit November 2023 die Arbeit der Gesellschaft für Freiheitsrechte zu Plattformregulierung und der Durchsetzung von Nutzer*innenrechten. Sie arbeitet seit 2016 zu Fragen rund um die Regulierung von Online-Plattformen und Inhaltemoderation, zuletzt als Teil des Public Policy Teams von Google.

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