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Digitalisierung & KI

Standpunkte Den digitalen Eisernen Vorhang überwinden

Sanjay Brahmawar, CEO der Software AG
Sanjay Brahmawar, CEO der Software AG Foto: Software AG

Der CEO der Software AG warnt vor einer immer stärkeren Dominanz Chinas und einer Spaltung der Technologie in Ost und West. Es liege jetzt auch in der Hand der Unternehmen, ein Auseinanderdriften der Standards zu verhindern.

von Sanjay Brahmawar

veröffentlicht am 09.12.2020

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Die Weltwirtschaft steht am Scheideweg. Der Einbruch in der Corona-Pandemie war dramatisch. Es wird es große Anstrengungen kosten, damit wir uns nachhaltig aus diesem Tief herausarbeiten können. Auch wenn dieser Winter noch lange nicht vorbei ist: Zwei Entwicklungen zeigen sich schon jetzt überaus deutlich.

Erstens, China wird ein Gewinner der Neuordnung der Wirtschaftswelt nach Corona sein. Während in nahezu allen Industrieländern die Wirtschaftsleistung deutlich zurückging, erwartet China in diesem Jahr trotz der Pandemie ein Wachstum. Zweitens, Technologie wird eine entscheidende Rolle dabei spielen, aus dem Tief herauszukommen. Während der Shutdown-Phasen hat Technologie – im Berufsleben genauso wie im Privaten – mit ihrer verbindenden Kraft die sozialen, wirtschaftlichen und persönlichen Folgen der Pandemie abgefedert. Und auch hier sind die Fortschritte Chinas bemerkenswert.

Spaltung der Technologiestandards in Ost und West

China hat in zentralen, ja strategischen Technologiefeldern wie 5G und Künstlicher Intelligenz eine führende Rolle gewonnen und wird sich bewusst, dass es dieses Wissen auch machtpolitisch einsetzen kann. Im Oktober hat China ein neues Gesetz zur Exportkontrolle verabschiedet, mit dem die Ausfuhr von Technologien unterbunden werden kann, die die Behörden als sicherheitsrelevant einstufen. Dies kann als direkte Reaktion auf die Technologiesanktionen der USA gegen chinesische Unternehmen wie Huawei gewertet werden. Der gewählte und zukünftige US-Präsident Joe Biden dürfte bei der zunehmenden Rivalität zwischen den USA und China zwar im Ton weniger aggressiv, aber in der Sache kaum weniger konsequent agieren.

Wir sehen eine Spaltung der Technologiestandards zwischen Ost und West. Ein digitaler Eiserner Vorhang“ senkt sich über der Technologiewelt. In einer Zeit, in der wir uns eigentlich darauf konzentrieren sollten, wie wir besser zusammenarbeiten können, wird dieser Vorhang zur Barriere für Kooperation. Meine Hoffnung ist, dass Digitalunternehmen mit ihren Technologien Brücken schlagen können, um den Eisernen Vorhang zu überwinden. Das wird elementar sein, um internationale Unternehmen aus dem schwierigen aktuellen Umfeld heraus zu steuern und neues Wachstum zu erzielen.

Abschottung durch Abhängigkeiten

Der Graben zwischen Ost und West wächst. Chinas „Belt and Road Initiative” – auch bekannt als „Neue Seidenstraße“ durch Asien, den Nahen Osten und Afrika – bindet Regionen an China, die für das künftige Wachstum der Weltwirtschaft stehen. Sie fördert ein abgeschottetes Ökosystem, in dem Alibaba, Tencent, WeChat und TikTok florieren und zu den größten Tech-Unternehmen der Welt vorstoßen. 

In Ländern wie Kasachstan, Usbekistan, Kenia, Sri Lanka, Vietnam, Indonesien oder auch Pakistan entstehen gerade langfristige Abhängigkeiten. Sie leihen sich chinesisches Geld, um ihre Infrastrukturprojekte zu finanzieren, die dann von chinesischen Firmen gebaut werden. Dadurch werden sie an chinesische Arbeitsweisen und Technologien gebunden. Viele der involvierten Länder haben sich verpflichtet, mit China im Telekommunikationssektor zusammenzuarbeiten und bei Zukunftstechnologien wie 5G chinesische Technologie zu nutzen.

Teilweise sind die Auswirkungen dieser Konflikte bereits bis nach Europa geschwappt. Die intensiven Debatten um einen möglichen Ausschluss des chinesischen Anbieters Huawei beim Aufbau der 5G-Netze sind nur das bekannteste Beispiel. Schon jetzt hat dies großen Einfluss auf das genutzte Telekommunikationsequipment in Europa und China. Und Europäische Telekommunikationsunternehmen haben noch eine ganze Reihe anderer komplizierter Entscheidungen vor sich, genauso wie ihre Regierungen.

Wie halten wir die Tech-Welt offen?

Es gab eine Reihe von Versuchen, die Kluft zwischen Ost und West zu überwinden. Eine Notierung an Börsen in Ost und West zählt zu den Instrumenten im Werkzeugkasten. Diesen Weg hat etwa Alibaba gewählt und seine Aktien an die Börsen in New York und Hongkong gebracht. Doch das zugrundeliegende Problem der auseinanderdriftenden Standards hat bisher niemand angepackt.

Unternehmen müssen in der Lage sein, mit anderen zu handeln – über Grenzen hinweg. Das gilt aktuell mehr denn je: Wir werden nicht mehr Resilienz in unsere Geschäftsmodelle und Lieferketten bekommen, wenn die Zahl unserer möglichen Partner kleiner wird. Ich spreche nicht über ein Risiko, dass genau dies passieren könnte. Es passiert bereits.

Als Mitglieder der globalen Tech-Community müssen Digitalunternehmen wie wir dazu beitragen, diese Probleme zu lösen. Während die Debatte unter politischen Entscheidern zunehmend geopolitisch geprägt ist, müssen wir in der Technologiebranche dafür sorgen, dass die verschiedenen Standards technisch miteinander kommunizieren können. Intelligente, zielgerichtete und unabhängige Integrationslösungen für Systeme auf beiden Seiten des Vorhangs halten globale Unternehmen in Bewegung.

Wenn wir Unternehmen dabei helfen können, digitale Wege zu finden, um konkurrierende Standards, komplexe Migrationen, Multi-Cloud- und hybride Umgebungen zu überwinden, dann wird die Technologiebranche sagen können, dass sie Teil der weltweiten Post-Covid-Lösung war – und nicht Teil des Problems. 

Sanjay Brahmawar ist seit 2018 CEO der Software AG. Nach einem Abschluss als Bauingenieur an der Universität Delhi ging er nach Europa und arbeitete zunächst für den Autobauer Honda. Vor seinem Wechsel zur Software AG war Brahmawar 14 Jahre bei IBM, zuletzt als Geschäftsführer für IBM Watson. Dort war er für das globale Geschäft mit Data Analytics und Künstlicher Intelligenz verantwortlich.

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