Joe Bidens Wahlsieg in den USA ist ein
Zeichen dafür, dass das Land zum Multilateralismus, zum gemeinschaftlichen Handeln und zur Verteidigung der demokratischen Werte
zurückkehren wird. Das tut es zu einer Zeit, in der sich das geotechnologische Zentrum – wie auch
das geopolitische Zentrum der Welt allgemein – in den asiatisch-pazifischen
Raum verlagert. Mit der geo-technologiepolitischen Brille betrachtet bedeutet
das: Macht gilt es mit regulatorischen Mitteln einzuschränken.
Die in den Startlöchern stehende Biden-Administration hat bereits signalisiert, dass sie zweierlei Ziele verfolgt: den aus dem Silicon Valley herausgewachsenen Überwachungskapitalismus und den Tech-Autoritarismus, speziell aus China, einzudämmen. Dazu sucht das Team um Biden nach Verbündeten in Europa. Damit eine solche Allianz entstehen kann, müssen allerdings auch die schwierigen Themen auf den Tisch kommen, bei denen es grundverschiedene Ansichten und unterschiedliche Interessen gibt – vom Datenschutz über die Besteuerung von Digitalunternehmen bis hin zur Industriepolitik.
Dann wird es umso leichter fallen, an den Punkten anzusetzen, bei denen ohnehin Einigkeit herrschen dürfte zwischen den transatlantischen Partnern: bei der Einschränkung von autoritären Überwachungsmethoden und der Gesichtserkennungstechnologie, bei der Bekämpfung von Wirtschaftsspionage und dem Diebstahl von geistigem Eigentum, bei Standards für Zukunftstechnologien oder Strategien für den Ausbau der digitalen Infrastruktur in weniger entwickelten Ländern. Um sich für diese Herausforderungen zu rüsten, muss Europa sich so aufstellen, dass es in der Lage ist, seine Interessen in der digitalen Welt zu vertreten – ohne sich einzig auf das Instrument der Regulierung zu verlassen.
Was Europa jetzt tun muss
Es gibt drei Initiativen, die dabei hilfreich sein könnten:
Zuallererst braucht Europa eine „Digital Grand Strategy“, eine ehrliche und integrale Analyse der vorhandenen Kapazitäten und Ziele, ähnlich der Globalen Strategie der Europäischen Union. Darin müsste die Union ihre vorhandenen industriellen Ressourcen, digitalpolitischen Ziele und globalen Ansprüche zusammenbringen. Das würde dem riesigen Apparat von internationalen Vertretungen der EU, seiner Institutionen und der der Mitgliedstaaten eine gemeinsame Vision geben, die von allen gemeinsam umgesetzt werden muss.
Zweitens sollte die EU das Vorhaben der deutschen Ratspräsidentschaft, ein gemeinsames europäisches „Digital Diplomacy Network“ aufzubauen, vollenden. Damit würden die militärische Nutzung von KI-Technologien, der Aufbau von technologischer Souveränität und Resilienz in Bezug auf Hardware-Lieferketten sowie Standardisierungs- und Normierungsprozesse endlich in den Rang aufgenommen, in den sie gehören: Sie sind nichts weniger als europäische Außenpolitik. In einem solchen Netzwerk würde jeder EU-Staat einen Tech-Botschafter benennen, so wie etwa Dänemark oder Deutschland es schon getan haben. Dieses Gremium könnte sich als besonders nützlich erweisen, wenn es darum geht, mit der künftigen Biden-Regierung zusammen Technologie-Standards oder ein gemeinsames Vorgehen bei der Vergabe von IT-Aufträgen auszuhandeln – sodass Abhängigkeiten von vornherein vermieden werden, die später mal ausgenutzt werden könnten, um geopolitische Bestrebungen durchzusetzen.
Die Europäische Union braucht zudem selbst einen Tech-Botschafter – möglicherweise mit einem Dienstsitz im Silicon Valley – der die Mitgliedstaaten und Generaldirektionen der Europäischen Kommission koordiniert und ihre Interessen über Washington hinaus, gegenüber großen Tech-Konzernen und Digitalmächten wie China oder Regionalregierungen wie der von Kalifornien vertritt. Das Ziel soll nicht sein, Washington zu übergehen, sondern die europäische Diplomatie diverser aufzustellen und mit allen Ebenen – von staatlichen Akteuren, über den Privatsektor bis zur Zivilgesellschaft – zu vernetzen. Die EU-Tech-Botschafterin oder der -Botschafter könnte gleichsam das Diplomatie-Netzwerk so einsetzen, dass die Ziele gemeinsam erreicht werden.
Ein solcher Paradigmenwechsel zu einer gemeinsamen europäischen Tech-Außenpolitik ist kein leichtes Unterfangen. Die Mitgliedstaaten behandeln neue Technologien immer noch als nationalstaatliche Angelegenheit. Obwohl sie gerne auf europäischer Ebene zusammenkommen, um eine schlagkräftige Regulierung durchzusetzen, kämpfen sie gegen europäische Kontrolle, wenn sie die eigene industrielle Basis angegriffen sehen. Doch die Coronakrise hat dieser industriepolitischen Kleingeistigkeit zumindest einen Dämpfer verpasst. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat durchgesetzt, dass 20 Prozent des 750 Milliarden schweren europäischen Wiederaufbaufonds für Europas Weg hin zu einer Digitalmacht eingesetzt werden sollen. Es wäre nur folgerichtig, wenn dieser Weg auch mit einer digitalen europäischen Außenpolitik bestritten wird.
Wie der Faktor China eingepreist werden muss
Eine neue gemeinsame europäische Tech-Außenpolitik muss mit der Gestaltung der China-Beziehungen zusammengedacht werden. Denn China ist schon für einen Kampf in der digitalen Arena gerüstet. Seine Desinformationskampagnen und Datenklau- beziehungsweise Cyberangriffe haben in der Covid-19-Krise zugenommen. Die Einschränkung von Freiheitsrechten im Digitalen sowie die Massenüberwachung werden zur Unterdrückung der Bevölkerung von Hongkong bis Xinjiang eingesetzt. China hat außerdem gezeigt, dass es mit harten Bandagen kämpft, wenn es darum geht, die Europäer dazu zu bringen, Huawei-Technik zum Aufbau des 5G-Netzes zu benutzen.
Wenn es gelänge, die Möglichkeiten der digitalen Diplomatie, der Entwicklungs- und Industriepolitik, der Regulierung sowie gemeinsame Werte zusammenzudenken, wäre die die EU in einer besseren Ausgangslage, um demokratische Technologiepolitik zu betreiben und Tech-Autoritarismus in die Schranken zu weisen. Ich bin mir sicher, dass der designierte US-Präsident Joe Biden – der ein Transatlantiker und Europa-Freund ist – einen solchen Schritt begrüßen würde.
Tyson Barker ist seit Oktober bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) als Programmleiter Technologie & Außenpolitik tätig. Zuvor war er beim Aspen-Institut Deutschland für die Digital- und Transatlantik-Programme verantwortlich. Davor war Barker in zahlreichen Positionen tätig, u.a. als Senior Advisor im Büro für Europäische und Eurasische Beziehungen im US-Außenministerium und als Direktor für transatlantische Beziehungen bei der Bertelsmann-Stiftung.