Jedes Gesetz ist nur so gut wie seine Um- und Durchsetzung. Wer möchte dem schon widersprechen? Doch wie sieht gute Um- und Durchsetzung aus? Daran scheiden sich allzu oft die Geister. Fest steht: In einer stetig komplexer werdenden Welt benötigt die digitale Wirtschaft ein handlungsfähiges Gegenüber auf Seiten der Exekutive mit tiefgehendem Know-how und entsprechender Expertise mehr denn je.
Deshalb begrüßen wir als BVDW die angestoßene Debatte durch Vertreterinnen und Vertreter der SPD- und FDP-Bundestagsfraktionen sowie durch die Vorsitzende des Digitalausschusses zu einer Digitalagentur ausdrücklich. Damit sich der Vorstoß, eine zentrale Behörde für die Um- und Durchsetzung bei der Regulierung des Digitalsektors zu etablieren, in der Praxis aber auch bewährt, müssen die zahlreichen Tücken im Detail, die Erfahrungen aus der Vergangenheit und die gesetzliche Ausgangslage hinreichend Beachtung finden. Schließlich hat die Regulierung des digitalen Raumes in den vergangenen zehn Jahren vor allem auf europäischer Ebene erheblich an Fahrt aufgenommen.
Das Resultat ist ein regulatorisches Wimmelbild: von DSGVO, Data Act und Data Governance Act über DMA und DSA bis hin zum AI Act. Die Um- und Durchsetzung wird und soll in vielen Fällen durch eine nationale Aufsicht betreut werden. Die Debatte zur Digitalagentur führen wir – wer hätte es gedacht – daher nicht zum ersten Mal. Damit es dieses Mal aber auch das letzte Mal wird, braucht es ein gemeinsames Verständnis von Politik, Zivilgesellschaft, Wirtschaft und auch Verwaltung. Wir möchten uns an dieser Stelle auf drei Bereiche fokussieren, um ein entsprechendes Zielbild der Digitalagentur zu konturieren:
1. Die Digitalagentur als echtes Kompetenzzentrum denken
Nicht nur als größter deutscher Agenturverband wissen wir: Eine erfolgreiche Digitalagentur ist Dienstleister, Beratung und Kompetenzzentrum in einem. Das sollte auch für die hier skizzierte Behörde gelten. Wer hingegen bestehende Zuständigkeiten und Kompetenzen aus politischem Opportunismus oder Sorge vor verletzten Befindlichkeiten unangetastet lassen will, macht aus der Digitalagentur im Extremfall einen reinen (und im Ergebnis verzichtbaren) Durchleitposten – das Gegenteil von „cut the middleman“. Die Entstehung von Doppel- oder sogar Mehrfachstrukturen wäre unausweichlich und würde die bereits durch den Föderalismus überstrapazierten Strukturen weiter unnötig belasten. Diese Sorgen konnten von den Impulsgebern nicht ausgeräumt werden, ja sie wurden teilweise sogar verstärkt.
Um ein schlagkräftiges Kompetenzzentrum aufzubauen, sollten wir vielmehr konsequent aus der Vergangenheit lernen. Dafür gilt es, die Umsetzung der DSGVO in den Blick zu nehmen. Die von uns oft kritisierte Zerfaserung der Aufsichtsstruktur (18 Datenschutzbehörden allein in Deutschland!) führt aktuell dazu, dass sich jede Behörde parallel gefühlt mit allen Themen beschäftigt. Echte Expertise kann durch die knappe Personallage, die sich in Zukunft weiter verschärfen wird, nicht entstehen. Die Digitalagentur sollte sich genau das Gegenteil zum Leitbild machen. Dafür müssten Kompetenzen gebündelt werden, sodass langfristig eine Behörde entsteht, die über themenübergreifende Digitalkompetenz verfügt. Neben ausreichenden Ressourcen und der nötigen Vision müssten parallel technologische Lösungen entstehen, um effektiv, effizient und zukunftsfähig zu werden.
2. Die Datennutzung als Anker
Wer „digital“ sagt, meint meistens Daten. Denn Daten sind die Grundlage der Digitalisierung. Wenn sich Unternehmen an die Digitalagentur als One-Stop-Shop wenden können, muss das daher ausdrücklich auch datenschutzrechtliche Themen mit einschließen! Die Bundesregierung hat in ihrer Datenstrategie selbst festgehalten: „Datennutzung und Datenschutz sind zwei Seiten derselben Medaille.“ Wieso also trennen? Wer Daten schützen will, muss Datennutzung erst recht beherrschen. Deshalb sollten aus den Datenschutzbeauftragten die „Datennutzungsbeauftragten“ werden. Geben wir ihnen mehr Verantwortung und gliedern sie in die Digitalagentur ein!
Wir sind der festen Überzeugung: Wer beide Seiten zusammenbringt, fördert damit auch ein tiefgreifendes Verständnis für technologische und technologisch-ethische Standards und Prinzipien. Diese sind aus unserer Sicht für eine Digitalagentur elementar und müssen holistisch gedacht werden. Die angesprochene sektorale oder fachliche Expertise – beispielsweise aus dem Gesundheitsbereich – sollte aus unserer Sicht immer nur unterstützen. Denn nur dann kann die Digitalagentur eine echte zentrale Anlaufstelle werden und einerseits Zivilgesellschaft, Wissenschaft und Wirtschaft und andererseits auch Behörden und die Politik bei Digitalisierungsthemen umfassend beraten.
3. Statt Zuständigkeitsstreit ein Weg, der kurz- und langfristig funktioniert
Wenn wir realistisch sind, ist ein Tauziehen bei der Struktur einer neuen Digitalagentur bereits vorprogrammiert. Was aber in jedem Fall vermieden werden muss, ist eine langwierige Diskussion wie bei der Besetzung des Digital Services Coordinator (DSC) und der Einbeziehung der anderen Behörden und der Länder. Deshalb ist es wichtig, bereits jetzt eine anschlussfähige Vision der Digitalagentur über die Parteigrenzen hinaus zu entwickeln.
Schließlich soll die Digitalagentur keine politische Eintagsfliege, sondern eine dauerhafte Lösung werden. Dabei sehen wir die Bundesnetzagentur als geeignetes Konstrukt an, auf das sich weiter aufbauen lässt. Sie vereint wichtige Kernkompetenzen in der Digitallandschaft von Infrastruktur bis Datenökonomie. Voraussetzung dafür ist die schon mehrfach angedachte Aufspaltung der Behörde, insbesondere in die Bereiche „Energie“ und „Digitalisierung“. Damit wäre auch eine in unterschiedlichen EU-Regulierungen geforderte Unabhängigkeit durch Ausgliederung langfristig sichergestellt.
Kurzfristig ließen sich bereits erste relevante Schritte auf den Weg bringen. Dazu gehört ein Fahrplan, über interdisziplinäre Teams einen effektiven Wissenstransfer zu managen, und die Klärung von Zuständigkeiten. Einen echten Lackmustest stellt der AI Act dar. Sollte sich hieran ein erneuter Streit um die Ansiedlung der Aufsicht entfachen, würde das Zielbild einer echten Digitalagentur abermals in weite Ferne rücken. Aus unserer Sicht braucht es ein frühzeitiges Votum für die BNetzA, um eben dies zu vermeiden. Ferner könnten über die Änderungen zum Bundesdatenschutzgesetz die Aufsichtsbehörden der Länder harmonisiert und so die Aufsichtsstrukturen zukunftsfähig gemacht werden. Wie ernst es den bisherigen Diskutanten mit ihrem Vorstoß ist, lässt sich jetzt in einem möglichen ersten Schritt unter Beweis stellen.
Schulterschluss aller Stakeholder notwendig
Die Bereitschaft, bestehende Strukturen neu zu denken, haben wir vernommen. Und es besteht Einigkeit, dass eine Digitalagentur nie in einem Vakuum entsteht. Wir bauen also nicht auf einer grünen Wiese. Aber nur ein wenig neue Farbe auf ein unkoordiniert gebautes Haus aufzutragen, wird nicht ausreichen. Ansonsten sind im Nachhinein nicht nur wir enttäuscht, sondern alle Beteiligten der Digitalisierung. Mit anderen Worten: wir alle. Üben wir also den engen Schulterschluss, um das Bestmögliche für Zivilgesellschaft, Wissenschaft, Politik, Verwaltung und Wirtschaft zu erreichen. Wir sind dazu bereit. Und haben sogar große Lust darauf!
Moritz Holzgraefe ist Vize-Präsident des Bundesverbands Digitale Wirtschaft (BVDW).