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Digitalisierung & KI

Standpunkte Eine starke Plattformaufsicht ist noch möglich

Julian Jaursch, Stiftung Neue Verantwortung
Julian Jaursch, Stiftung Neue Verantwortung Foto: Sebastian Heise

Das Digitalministerium hat seine Pläne zur Umsetzung des Digital Services Act der EU in Deutschland vorgestellt: Die nationale Stelle für Plattformaufsicht soll bei der Bundesnetzagentur angesiedelt werden. Darüber hinaus sind viele Fragen weiter offen. Wie eine starke und verbraucher:innenfreundliche Plattformaufsicht aussehen kann, erläutert Julian Jaursch von der Stiftung Neue Verantwortung.

von Julian Jaursch

veröffentlicht am 21.08.2023

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Die Durchsetzung des „Digital Services Act“ (DSA) wird ein Kraftakt. Das neue EU-Regelwerk für Onlineplattformen ist umfangreich, berührt viele vorher kaum regulierte Bereiche, dreht sich um einige der finanzstärksten Konzerne der Welt und sieht neue Aufsichtsaufgaben für die EU und ihre Mitgliedsländer vor. Zu dieser Plattformaufsicht gehört auch, dass jedes Mitgliedsland eine Behörde als „Digital Services Coordinator“ (DSC) benennen muss. Der DSC dient als nationale Schaltstelle für die Durchsetzung des DSA. Gerade hat das Digitalministerium mit dem Entwurf eines deutschen Digitale-Dienste-Gesetzes vorgestellt, wie die Aufsicht hierzulande aussehen und wer als DSC tätig sein soll. Der deutsche DSC soll als „Koordinierungsstelle für digitale Dienste“ (KDD) bei der Bundesnetzagentur angesiedelt sein. Es geht im Gesetzentwurf auch darum, wie diese Stelle arbeiten soll.

Der Gesetzentwurf lässt hoffen, dass Deutschland bei diesem Kraftakt der DSA-Durchsetzung zumindest eine Rolle spielen kann – wenn der Text nicht verwässert, sondern in wichtigen Fragen verbessert wird. Der „Coordinator“ hat Koordinations-, aber auch Aufsichtsaufgaben, und diese Doppelrolle muss sich im Gesetzestext und in seiner Ausstattung bemerkbar machen. Viele der Vorschläge gehen in die richtige Richtung. Allerdings bleibt der große Wurf für eine starke unabhängige Aufsicht aus, der Digitalminister vergibt die Chance auf eine umfassende Reform. Deshalb muss nun wenigstens dafür gesorgt werden, dass die Koordinierungsstelle den DSA mit Nachdruck durchsetzen kann: mit klaren Zuständigkeiten sowie einer strukturierten Einbindung der Zivilgesellschaft und Wissenschaft.

Konsequente Bündelung von Kompetenzen beim DSC

Lange war darüber diskutiert worden, welche Behörden zuständig sein sollen. Der Gesetzentwurf benennt jetzt neben der Bundesnetzagentur mit ihrer Koordinierungsstelle für digitale Dienste zwei weitere Bundesbehörden (für Datenschutz beziehungsweise Jugendmedienschutz) als zuständig, zudem bindet er die Landesmedienanstalten über eine „qualifizierte Zusammenarbeit“ ein.

Es ist wünschenswert, dass auf diese Weise die Fäden der deutschen DSA-Umsetzung bei der KDD zusammenlaufen. Für Verbraucher:innen, aber auch Unternehmen würde es sich lohnen, eine zentrale Ansprechstelle zum DSA zu haben. Die Gesetzgeber sollten also bei dieser Entscheidung bleiben, nur für wenige, eng begrenzte Themen des DSA andere Behörden mit in die Verantwortung zu nehmen. Ansonsten schmälert eine zu starke Zersplitterung die Aufsichtsaufgaben der KDD.

Denn es ist zu kurz gegriffen, die KDD auf ihre Koordinationsrolle zu reduzieren. Sie hat daneben weitere wichtige Aufgaben. Unter anderem muss sie Verstöße ahnden, etwa bei undurchsichtigen Empfehlungssystemen auf Onlinemarktplätzen, sie muss Beschwerden der Verbraucher:innen aufnehmen sowie Forschende akkreditieren, die Daten von Plattformen anfragen möchten. Damit unterscheidet sich die KDD grundlegend von einem Sekretariat oder einem Forum wie etwa der Datenschutzkonferenz.

Entscheidet sich der Gesetzgeber, Zuständigkeiten stärker zu zerstückeln, wird die KDD möglicherweise eher ein Sekretariat mit hohem Koordinationsaufwand, aber wenig Schlagkraft: Wenn die KDD die meiste Zeit damit beschäftigt wäre, mögliche Fälle von Verstößen hin- und herzuschicken und Zuständigkeiten abzuklären, könnten die anderen Aufgaben leicht unter den Tisch fallen. Das wäre gerade für Nutzer:innen, die von einer zentralen Ansprechstelle profitieren würden, und für Forschende, die mit der KDD zusammenarbeiten müssen, ein riesiger Nachteil. Außerdem wäre es schwierig für die KDD, eigene Erfahrung in der Plattformaufsicht zu sammeln und sich damit auf deutscher und insbesondere auf europäischer Ebene (gegenüber der Kommission und den Koordinatoren anderer Mitgliedstaaten) einzubringen.

Vielversprechende Formate für Austausch mit externen Fachleuten ausweiten

Der DSA setzt stark auf externe Fachleute aus der Wissenschaft und der Zivilgesellschaft, da diese in den vergangenen Jahren viel Wissen zu Plattformen aufgebaut haben. Zum Beispiel gibt es erstmals eine Pflicht für Plattformen, in bestimmten Fällen Daten mit Forschenden zu teilen, damit diese mögliche Risiken der Plattformnutzung erforschen können. Zivilgesellschaftliche Organisationen können die Kommission und die DSCs beraten.

Es ist deshalb vielversprechend, dass der Gesetzentwurf einen Beirat bei der KDD vorsieht. Da ein Beirat aber nur eines von vielen Formaten ist, um zivilgesellschaftliche und wissenschaftliche Expertise in die KDD zu tragen, wäre es besser, diesen Beirat in eine übergeordnete Struktur der Zusammenarbeit mit Externen einzubetten. So wäre die KDD angehalten, weitere Austauschformate mit diversen Fachleuten auszuprobieren und zu etablieren. In jedem Fall sollte klarer werden, dass die KDD auf die Empfehlungen und Fragen des Beirates eingehen muss – das ist bislang recht vage formuliert.

Auch die Benennung der Beiratsmitglieder durch Bundestag und Bundesregierung hat ihre Tücken. Es ist zwar sinnvoll, dass der Digitalausschuss dadurch eine Art Kontrollfunktion und Impulsgeberrolle übernimmt. Jedoch besteht die Gefahr, dass die Besetzung aus (partei)politischen Erwägungen geschieht und nicht basierend auf Fachkenntnissen. Eine gemeinsame Verantwortung von Parlament und KDD für die Benennung könnte dem entgegenwirken. Wenn dadurch ein fachlich starker Beirat mit klaren Aufgaben entsteht, ist das hilfreich, andernfalls handelt es sich beim Beirat um eine Scheinbeteiligung der Zivilgesellschaft, die weder dessen Mitgliedern noch der KDD noch den Verbraucher:innen etwas brächte.

Eine weitere vielversprechende und ausbaufähige Regelung im Gesetzentwurf ist das Forschungsbudget für die KDD. Der DSA sieht zahlreiche Datenbanken, Transparenzberichte, Audits, Verifizierungen und Risikoberichte vor, die in Brüssel und den Mitgliedstaaten analysiert werden müssen. Deshalb ist es sinnvoll, dass nationale Behörden wie die KDD langfristig gut ausgestattete Forschungs- und Dateneinheiten aufbauen. Das (noch etwas kleine) Forschungsbudget sollte als Grundstein für eine solche Forschungseinheit angesehen werden. Das Digitale-Dienste-Gesetz muss das nicht unbedingt so vorgeben, aber es sollte zumindest deutlicher werden, dass die KDD sowohl eigene Forschung und Datenanalysen betreiben als auch externe Forscher:innen unterstützen kann.

Ausschlaggebend für den Erfolg der KDD: Fachpersonal und gute Ausstattung

Der Entwurf zum Digitale-Dienste-Gesetz ist eng auf den DSA zugeschnitten. Das Ministerium wollte offenbar nicht die Chance nutzen, die deutsche Plattformaufsicht umfangreicher zu reformieren. Diese Chance hätte sich gerade jetzt ergeben, da neben dem DSA viele weitere digitalpolitische Vorhaben mit Bezug zu Plattformen diskutiert werden, sowohl auf deutscher als auch auf EU-Ebene.

Ohne diesen großen Wurf kann aber zumindest die DSA-Umsetzung gelingen, wenn das Digitale-Dienste-Gesetz klare Behördenzuständigkeiten und Strukturen für externen Austausch etabliert. Dies muss in der Praxis durch ausreichend Fachpersonal, eine starke Leitung und eine gute Ausstattung untermauert werden. Der tatsächliche Arbeitsaufwand der KDD ist zwar schwierig einzuschätzen, aber die im Entwurf angedachten rund 60 zusätzlichen Stellen scheinen eher eine Unter- als Obergrenze zu sein, wenn die zahlreichen und vielfältigen Aufgaben der KDD berücksichtigt werden. Zumal mehrere tausend Unternehmen in Deutschland den DSA-Regeln unterliegen. Vor diesem Hintergrund sollte in den kommenden Debatten – gerade im Bundestag – die Rolle des heimischen DSC nicht unterschätzt werden. Nur mit einer starken Plattformaufsicht kann Deutschland sich am EU-weiten Kraftakt der DSA-Durchsetzung beteiligen.

Julian Jaursch arbeitet bei der Stiftung Neue Verantwortung (SNV), unter anderem zu Fragen der deutschen und europäischen Plattformaufsicht. Eine ausführliche Stellungnahme zum Referentenentwurf des Digitale-Dienste-Gesetzes erscheint heute.

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