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Digitalisierung & KI

Standpunkte Europa verliert bei KI den Anschluss an die Weltspitze

Fabian Westerheide, KI-Investor und Gründer der Rise-of-AI-Konferenz
Fabian Westerheide, KI-Investor und Gründer der Rise-of-AI-Konferenz Foto: Thomas Tiefseetaucher

Deutschland hat bei Künstlicher Intelligenz viele Chancen verpasst und auch die aktuelle Regierung hat offenbar andere Prioritäten als den Technologiestandort zu retten. Dazu kommt nun der AI Act. Die Regulierungswut aus Brüssel wird mehr Schaden anrichten, als dass sie uns fördert, schreibt KI-Investor und Veranstalter Fabian Westerheide.

von Fabian Westerheide

veröffentlicht am 10.05.2023

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Künstliche Intelligenz ist wieder in aller Munde. Nachdem Open AI mit ChatGPT innerhalb von 60 Tagen mehr als 100 Millionen Nutzer gewonnen hat, ist KI erneut ein zentrales Thema der Medien und gesellschaftlichen Diskussionen.

Das ist natürlich kein über Nacht entstandener Erfolg. Die amerikanische Firma Open AI ist ein Beispiel dafür, wie ein KI-Ökosystem funktioniert. Finanziert von prominenten Unternehmern aus dem Silicon Valley, gelang es der Firma, die besten Talente anzuwerben und etwas wirklich Herausragendes zu entwickeln. Gleichzeitig hat sich die US-Industrie, insbesondere Microsoft, früh beteiligt. Das beschleunigt das Ausrollen und die Integration der Technologie exponentiell.

Aus deutscher Sicht ist dies peinlich. Erneut führen uns die Amerikaner vor, wie innovativ, schnell und radikal sie sind. Wir Europäer schauen erstaunt über den Ozean und grübeln, doch es passiert trotzdem nichts.

KI-Strategie? Passiert ist nicht viel.

Bereits 2017 saß ich das erste Mal als Experte im Bundestagsausschuss und bat unsere Politiker, ernsthaft in KI-Technologien zu investieren. Passiert ist nicht viel.

Zwar hatte die Regierung unter Merkel und Altmaier eine KI-Strategie entwickelt, als eines der letzten westlichen Länder überhaupt, doch es blieben viele Worte und wenig Taten.

Jeden Tag verliert Deutschland so den Anschluss zur Technologie-Weltspitze in den USA und China. Die erwünschte Aufholjagd wurde nie begonnen, und auch die aktuelle Regierung hat andere Prioritäten als den Technologiestandort Deutschland zu retten.

Dabei wird erneut übersehen, wie grundlegend eine eigene KI-Industrie ist. Gerade bei den Foundation Models, auf denen ChatGPT, Midjourney und andere KI-Produkte basieren, vereinen sich alle KI-Trends der letzten Jahre: Große Datenmengen werden von den KI-Systemen analysiert und bewertet. Aus ihnen generieren die Systeme unzählige neue Medien, Texte und Bilder.

Hier rollt gerade ein Tsunami durch die Kreativwirtschaft, der nahezu jede Tätigkeit in Büros und an Schreibtischen beeinflussen dürfte. Nicht unberechtigt wird bereits in den USA gewarnt, dass sich über 300 Millionen Jobs aufgrund der KI-Technologie ändern werden.

Doch wir in Deutschland haben keinen Einfluss auf diese Modelle – weder auf die Daten, noch auf die Sicherheit, Vertrauenswürdigkeit und Nachvollziehbarkeit. Wir arbeiten weiterhin mit der Blackbox KI, weil sich die Amerikaner natürlich nicht in die Karten schauen lassen.

Wir haben es verpasst, selbst eine starke KI-Industrie aufzuziehen. Natürlich gibt es auch in Deutschland großartige Unternehmer und deren Firmen, wie zum Beispiel Aleph Alpha, die sich gegen die Übermacht aus Übersee stemmen. Doch durch Mangel an Kapital, Industrieunterstützung und Daten bleibt den deutschen Firmen oftmals nur die Nische, in der sie sich behaupten können.

Der AI Act wird weiteren Schaden anrichten 

Der geplante europäische AI Act könnte vieles noch schlimmer machen. Die Arroganz der EU, alles bestimmen und leiten zu können, halte ich daher für gefährlich. Denn technologisch ist Europa in keiner Führungsposition. Trotzdem maßen wir uns an, festzulegen, nach welchen Spielregeln die KI funktionieren soll.

Doch der AI Act wird unserer Wirtschaft nicht helfen. Stattdessen wird die Regulierungswut aus Brüssel mehr Schaden anrichten, als dass sie uns fördert. Gesellschaftlich ist es natürlich richtig, dass wir Regeln und Normen festlegen, doch nicht in dieser Form.

Schon die Prüfung, ob das eigene Produkt womöglich als Hochrisiko-KI einzustufen ist, wird sehr viel Geld kosten. Wenn man dann eine Hochrisiko-KI gemäß AI Act anmeldet, wird erwartet, dass das gut 500.000 Euro und mehr kosten wird. Zudem werden hunderte Seiten von Dokumenten verlangt. Die großen Techkonzerne haben damit kein Problem, aber für junge Firmen und Start-ups sind so hohe Kosten und die extrem starke Bürokratie enorme Hürden.

Im Gesetzesentwurf fehlen Erleichterungen für kleine Firmen, die noch kein Risiko darstellen. Stattdessen werden Google und Microsoft genauso reguliert, wie ein Start-up, das gerade von der Uni kommt. Das Gesetz wird so die zarten Pflanzen unseres Ökosystems mit einem langen Schatten der Bürokratie erdrücken.

Im Gegensatz dazu schottete China seinen Markt stark von der US-Konkurrenz ab, gleichzeitig baute das Land nationale Player auf. Die EU kann dagegen nur fordern, aber nicht fördern und verbindet so das Schlechteste aus beiden Welten.

Dabei haben wir in Deutschland viel Potenzial und ich habe großes Vertrauen und Zuversicht in unser KI-Ökosystem. Allein der Deutsche KI-Monat 2023 ist ein Erfolg, den es so noch nie gab. Über 70 Institutionen, Firmen und Netzwerke haben eigene Veranstaltungen eingebracht. Von München bis nach Hamburg erfahren Tausende von Teilnehmern mehr über KI und ihre Möglichkeiten.

Hätten wir mehr Zeit, würden wir unseren deutschen Weg schon gehen. Doch die Zukunft passiert jetzt.  Und der Kuchen wird verteilt, ohne dass wir uns ernsthaft darum bemühen.

Um das zu ändern, braucht es drei Dinge:

  1. Deutschland muss in Europa die Technologieführerschaft übernehmen. Die EU braucht Deutschlands Mut und Durchsetzungskraft. Nur wenn Deutschland KI ernst nimmt und selbst beherrschen will, kann auch Europa eine starke KI-Wirtschaft aufbauen.
  2. Unsere Stärke ist die vernetzte Industrie. Wir haben eine der stärksten Industrien der Welt. Alle lieben unsere Autos und Maschinen, doch wenn es um Software geht, wird diese lieber aus den USA gekauft. Dies muss sich ändern. In Zukunft sollte auch die Software „made in Germany“ und dabei sicher, hochwertig sowie vertrauenswürdig sein. Wir können dies noch schaffen, denn die aktuelle Welle der KIs betrifft wiederum viele Endverbraucher, Studenten, Lehrer und Medienschaffende. In der Industrie kommt KI nur sehr langsam an. Das verschafft uns Zeit, es richtig zu machen.
  3. Deutschland muss das heimische KI-Ökosystem besser stärken und aufbauen. Wie ein Garten, der Dünger und Mulch bekommt, braucht auch unsere junge Industrie die Unterstützung der Politik, Medien und Gesellschaft. Wir säen hier die Samen für den Wohlstand der kommenden 30 Jahre. Es wäre tragisch, wenn wir diese Chance weiterhin verpassen.

Fabian Westerheide ist Investor und hat 2014 mit Asgard einen der ersten deutschen auf KI spezialisierten Wagniskapitalfonds aufgelegt. Er hat in Start-ups wie Parlamind, Merantix und Micropsi Industries investiert. Seit 2017 organisiert er zusammen mit seiner Ehefrau, Veronika Westerheide, die Konferenz Rise of AI in Berlin, die in dieser Woche stattfindet. Aktuell arbeitet er an einem Buch, in dem er beschreibt, wie Deutschland wieder zu einer Technologienation werden kann.

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