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Standpunkte Glasfaser-Doppelausbau: Förderlich oder schädlich?

Telekommunikationsberater Karl-Heinz Neumann
Telekommunikationsberater Karl-Heinz Neumann Foto: Privat

Fördert der Doppelausbau von Glasfasernetzen den Wettbewerb? Nein, schreibt Telekommunikations-Berater Karl-Heinz Neumann. Zwei konkurrierende Netzwerke bremsen den Ausbau und sind wirtschaftlich unrentabel.

von Karl-Heinz Neumann

veröffentlicht am 03.11.2023

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Seit kurzem ist die bislang nur in Fachkreisen geführte Diskussion über den Doppelausbau von Glasfasernetzen auch in den Medien angelangt. Das ist gut und richtig so. Denn die Möglichkeit, Glasfaseranschlüsse buchen zu können, geht uns alle an. Der Rückstand Deutschlands bei der digitalen Infrastruktur im Vergleich zu den meisten anderen europäischen Ländern ist bekannt. Die Aufholjagd ist in den letzten zwei bis drei Jahren gut vorangegangen. Gleichwohl können derzeit erst knapp 35 Prozent aller Haushalte einen Glasfaseranschluss buchen. In Ländern wie Portugal, Spanien, Frankreich, Norwegen und Schweden sind dies bereits mehr als 75 Prozent.

Doppelausbau: Wirtschaftlich wünschenswert? 

Vor diesem Hintergrund muss es überraschen, dass es in den vergangenen 18 Monaten zunehmend zum Doppelausbau von Glasfasernetzen kommt. Das heißt, in Städten und Gemeinden wird neben einem bereits gebauten Glasfasernetz ein zweites errichtet.

In einem am 27. Oktober im Tagesspiegel Background veröffentlichten Standpunkt von Justus Haucap wird diese Entwicklung als gesamtwirtschaftlich wünschenswerter Infrastrukturwettbewerb begrüßt und als förderlich für die Ausbaugeschwindigkeit und sein Tempo eingeschätzt. Dieser Einschätzung muss entschieden widersprochen werden. Das Gegenteil ist der Fall. Wird der Doppelausbau von Glasfasernetzen nicht gebremst und zurückgedrängt, geht die Dynamik des Ausbaus zurück, die Investitionsneigung der Investoren nimmt ab und das Ziel der Gigabitstrategie der Bundesregierung eines flächendeckenden Glasfasernetzes in ganz Deutschland bis 2030 wird nicht erreicht.

Die Planungs- und Bauressourcen für den Glasfaserausbau sind knapp. Fließen sie in den Doppelausbau von Glasfasernetzen statt in bisher nicht mit Glasfasernetzen versorgte Gebiete, verlangsamt sich gesamtwirtschaftlich betrachtet die Erreichung von Flächendeckung mit Glasfasernetzen. Für diese Erkenntnis bedarf es keiner von Haucap gegeißelten komplexen Kostenmodelle. Diese Einschätzung folgt aus dem gesunden Menschenverstand.

Bremse für den Ausbau

Nach Haucaps zentraler These fördert Infrastrukturwettbewerb, also der Doppelausbau von Glasfasernetzen, das Ausbautempo. An dieser Einschätzung erstaunt die zunächst für einen Wettbewerbsökonomen wie Haucap überraschende (völlige) Fehleinschätzung der Ausgangslage der Marktverhältnisse in Deutschland und die Verwechslung von Ausbauwettbewerb und Infrastrukturwettbewerb. Die Ausbaudynamik der letzten Jahre ist dem Investitions- und Ausbauwettbewerb und nicht dem Infrastrukturwettbewerb geschuldet.

Eine (glücklicherweise) Vielzahl und Vielfalt von Unternehmen erschließt im Wettbewerb zueinander Ausbaugebiete. Dies ist ein Wettbewerb um den Markt und nicht ein Wettbewerb im Markt (= Infrastrukturwettbewerb). In aller Regel setzt sich bei diesem Ausbauwettbewerb ein Unternehmen durch, das dann das Glasfasernetz in diesem Gebiet baut. Das oder die anderen Wettbewerber orientieren sich dann auf andere Ausbaugebiete. Es ist diese Dynamik, die uns in den letzten Jahren vorangebracht hat.

In inzwischen einer Vielzahl von Gebieten und bei rund 300.000 von der Telekom selbst geschätzten Anschlüssen zeigt die Deutsche Telekom ein anderes Ausbauverhalten: Sie überbaut das bereits errichtete Glasfasernetz eines Wettbewerbers mit einem eigenen Glasfasernetz oder droht dies an, anstelle das Netz des Wettbewerbers im Open Access für die Erbringung eigener Glasfaserdienste zu nutzen.

Dieses Marktverhalten verlangsamt nicht nur den gesamtwirtschaftlichen Glasfaserausbau, wie oben argumentiert. Der Überbau und insbesondere schon die Ankündigung und Bewerbung, wird dazu eingesetzt, um Wettbewerber strategisch und wettbewerblich zu behindern und abzuschrecken. Jeder, der sich mit Investitionsrechnungen von Glasfasernetzen befasst hat, weiß, dass langfristig (deutlich) mehr als 50 Prozent aller potenziellen Kunden auch auf ein Glasfasernetz wechseln müssen, damit dieses rentabel betrieben werden kann und sich die Investitionen in ein derartiges Netz auch rechnen.

Zweites Netz oft nicht rentabel

Dies ist speziell in Deutschland der Fall. Hier sind die Ausbaukosten wesentlich höher als in Ländern wie eher Spanien, wo Wettbewerber weiträumig auf die Leerrohrnutzung, Fassadenverkabelung oder die Nutzung von Freilandleitungen zurückgreifen können. Deshalb können dort auch mehrere Netze mit niedrigeren Marktanteilen profitabel und nebeneinander betrieben werden.

Das heißt aber auch vice versa, wird in solchen Gebieten in Deutschland ein zweites Netz gebaut, teilen sich die Kunden auf beide Netze auf, und keines kann den für die Profitabilität erforderlichen Mindestmarktanteil mehr erreichen. Dies zeigen auch die Kostenmodellrechnungen des Wissenschaftlichen Instituts für Infrastruktur und Kommunikationsdienste (WIK). Natürlich ist es in den dicht besiedelten Teilen von Städten möglich, dass zwei Glasfasernetze profitabel nebeneinander betrieben werden können. Dabei handelt es sich jedoch nur um einen kleinen Anteil aller Anschlüsse. Bemerkenswerterweise findet der Überbau durch die Deutsche Telekom eher nicht in diesen Gebieten statt, sondern dort, wo zwei Netze nicht rentabel betreibbar sind.

Hätte sich Haucap mit Investitionsrechnungen auseinandergesetzt, müsste er nicht die Kostenmodelle des WIK geißeln, um zum gleichen Ergebnis zu kommen.

Wettbewerbschreck Doppelausbau 

Sollte man sich nicht über mehr Wettbewerb im Netz freuen? Wettbewerb zwischen Netzen als Infrastrukturwettbewerb ist natürlich wünschenswert, nämlich dort, wo er wirtschaftlich tragfähig ist. Wird er aber eingesetzt, um Wettbewerber abzuschrecken, wird er gesamtwirtschaftlich kontraproduktiv. Der strategische Überbau, wie ihn die Deutsche Telekom betreibt, hat genau diese Effekte.

Müssen Wettbewerber befürchten, dass sie auch dort überbaut werden, wo sich dies nicht rechnet, steigt ihr Risiko erheblich. Sie müssen damit rechnen, dass getätigte Investitionen unrentabel werden. Ein erhöhtes Risiko erhöht aber die Kapitalkosten. Mit steigenden Kapitalkosten geht die Investitionsbereitschaft zurück. Allein die Drohung mit Überbau kann diese abschreckenden Effekte auslösen. Der strategische Überbau hat das Potenzial, eine derartige negative Investitionsdynamik auszulösen.

Das ist das Gegenteil dessen, was in Deutschland gebraucht wird, um den Rückstand bei der digitalen Infrastruktur aufzuholen. Strategischer Überbau zur Abschreckung von Wettbewerbern stellt ein wettbewerbswidriges Verhalten dar. Hier gilt für die Deutsche Telekom gerade kein höherschwelliger Wettbewerbsschutz, wie Haucap behauptet, sondern im Gegenteil, für sie als marktbeherrschendes Unternehmen ein höherer Standard für wettbewerbskonformes Verhalten.

Die Fachleute in der Bundesregierung haben dieses Problem erkannt. Es fehlt aber am politischen Handeln. Wenn die Bundesregierung hier nicht bald (entschlossen) gegensteuert, muss sie sich den Vorwurf gefallen lassen, ihre eigenen Gigabitziele nicht ernst (genug) zu nehmen. In jedem Fall täte sie nicht alles, um unseren Rückstand bei der digitalen Infrastruktur schnell aufzuholen.

Karl-Heinz Neumann ist selbständiger Telekommunikationsberater. Er war bis 2014  Geschäftsführer und Direktor des Wissenschaftlichen Instituts für Infrastruktur und Kommunikationsdienste (WIK) und hat für die Initiative ProGlasfaser eine Studie zum Überbau von Glasfasernetzen erstellt.

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