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Digitalisierung & KI

Standpunkte Green Deal und Pflanzenschutz brauchen Technologie

Steffen Gilcher, Produktmanager beim Landmaschinenhersteller John Deere
Steffen Gilcher, Produktmanager beim Landmaschinenhersteller John Deere Foto: John Deere

Der European Green Deal setzt nicht nur Ziele für ein CO2-neutrales Europa im Jahr 2050, sondern vor allem Landwirte unter Druck, meint Steffen Gilcher von John Deere. Diese müssen nicht nur gesetzlichen, sondern auch gesellschaftlichen und nicht zuletzt wirtschaftlichen Regularien entsprechen. Das könne nur mit KI gelingen.

von Steffen Gilcher

veröffentlicht am 23.05.2023

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Landwirte sind die Ernährer unserer Welt und sie stehen unter großem Druck: Sie müssen nicht nur eine stetig ansteigende Bevölkerungszahl mit Nahrungsmitteln versorgen. Die Menschen erwarten auch, dass ihre Nahrungsmittel möglichst nachhaltig und umweltschonend produziert werden. Und auch ökonomisch muss sich Nachhaltigkeit für sie lohnen. Durch die Rahmenbedingungen des European Green Deals sind Landwirte mehr denn je dazu gezwungen, effizient und umweltschonend zu arbeiten. Dies wollen sie auch tun, doch noch fehlen konkrete Anreize im Green Deal.

Im Vordergrund stehen Vorschriften und Auflagen. Hier muss ein Umdenken stattfinden, die Digitalisierung muss als entscheidender Hebel für eine wirtschaftliche und nachhaltige Landwirtschaft begriffen werden. Unterstützt durch modernste Technik können Landwirte die Forderungen des Green Deals erfüllen: „Mehr mit weniger erreichen“, lautet das Motto.

Pflanzenschutzmittel mit KI effizienter ausbringen

Die Zeiten, in denen Landwirte ihre Felder von vorne bis hinten einheitlich bearbeitet haben, sind vorbei. Zu ineffizient ist dieses Vorgehen, stattdessen können Landwirte auf eine teilflächenspezifische Bearbeitung ihrer Felder setzen. Dabei teilen Sie den Acker in individuelle Bearbeitungszonen auf. In diesen Zonen wird dann eine spezifische Menge Pflanzenschutzmittel ausgebracht – so viel wie nötig, so wenig wie möglich.

Die technische Unterstützung findet aus der Luft statt. Mit einer Drohne oder sogar durch Satellitenbilder können Applikationskarten erstellt und an den Landwirt übermittelt werden. Die Vorgänge seines landwirtschaftlichen Betriebes laufen dann auf einer Cloud zusammen, seien es Ertragsdaten, Fahrzeugzustände oder eben Felddaten. Der Landwirt kann dann direkt aus der Traktorkanzel heraus die Pflanzenschutzspritze mit den Felddaten füttern. Das Pflanzenschutzmittel wird präzise und teilflächenspezifisch appliziert.

Hinter dem Begriff „See & Spray“ verbirgt sich die Königsdisziplin der KI-unterstützten Pflanzenschutzmitteleinsparung. Dieser nächste Schritt der in der Teilflächenbearbeitung angewandten Kameratechnik wird bereits in den USA genutzt. In Deutschland arbeiten wir derzeit an der Markteinführung. „See & Spray“ funktioniert in zwei Ausbaustufen: Bei der ersten Stufe „Green on brown“ erfassen Kameras die Pflanzen auf dem Feld, indem sie grüne Pflanzen von braunem Ackerboden unterscheiden.

Mit der Stufe „Green on green“ unterscheiden die Kameras zwischen den verschiedenen Pflanzen und nur auf die unerwünschten wird punktgenau die passende Menge Herbizid ausgegeben, denn Pflanzenschutzmittel sind teuer. In den USA wird „Green on green“ etwa bei der Bearbeitung von Mais- und Sojafeldern genutzt. Bei einer Geschwindigkeit von 19 km/h kann nur eine Kamera stolze 150 Quadratmeter Feldfläche pro Sekunde präzise erfassen. So lässt sich der Pflanzenschutzmittelaufwand je nach Anwendung um bis zu 60 Prozent reduzieren. Auch hierzulande kann die Technologie sinnvoll angewandt werden, etwa bei der Unkrautbekämpfung auf Zuckerrübenfeldern. Dabei können die Kameras sogar Pflanzen erfassen, die so groß sind wie ein Daumennagel.

Und das muss zuverlässig geschehen, beispielsweise müssen die Kameras dazu in der Lage sein, unabhängig von Wetterbedingungen, Tageszeit, Licht und Temperatur, Feldfrüchte zu erkennen und von unerwünschten Pflanzen auf dem Feld zu unterscheiden. Hinzu kommt, dass auch eine abgeknickte oder vertrocknende Pflanze von der KI immer erkannt werden muss.

Es braucht eine klare Marschrichtung

Bei der Digitalisierung der Landtechnik sind Daten der Schlüssel. Das Sammeln, Übertragen und Vergleichen von Daten hat positive Auswirkungen auf die Umwelt. Landwirte entsprechen so den Dokumentationserwartungen der Gesellschaft und den Regularien des Green Deals. Sie können genau berechnen und nachweisen, welche Herbizid-Mengen wann ausgebracht wurden. Echtzeitanpassungen sind zudem während jedes Arbeitsganges möglich.

Durch GPS-Unterstützung konnte auch eine traditionelle, nämlich die mechanische Unkrautbekämpfung, modernisiert werden. Hackmaschinen können präzise zwischen den Pflanzenreihen arbeiten. Diese Renaissance des klassischen Verfahrens schafft dank GPS-gestützter Spurführung eine Bodenbearbeitung bei stolzen 16 km/h, mit minimalem Schadenspotenzial für die Nutzpflanzen. Und vor allem: ganz ohne Chemie zwischen den Pflanzenreihen! Also eine ideale Ergänzung zur chemischen Bekämpfung in den Kulturpflanzenreihen, indem immer kleinere Feldflächen individuell und präziser bearbeiten werden können. Dadurch verändern sich auch die Ansprüche an Landwirtschaftstechnik. Resultierend aus der Teilflächen- beziehungsweise Reihenbearbeitung hat die Landwirtschaft der Zukunft die Einzelpflanzenbearbeitung zum Ziel.

Fest steht: Modernste Technik kann dazu beitragen, Landwirtschaft transparent, effizient und nachhaltig zu machen. Die Branche ist bereit für diese Veränderung. Doch sie braucht nicht immer stärkere Regulierungen und Auflagen, sondern eine klare Marschrichtung. Politik und Gesellschaft müssen erkennen, dass die Digitalisierung ein wichtiges Instrument ist, um die Herausforderungen der Landwirtschaft zu meistern. Die Aufrüstung der teilflächenspezifischen Feldarbeit hilft, dass jeder Tropfen und jedes Korn zählen. Precision Farming hat das Potenzial gesunde Lebensmittel in ausreichender Menge für die wachsende Weltbevölkerung zu produzieren.

Steffen Gilcher ist Produktmanager Innovative Pflanzenschutztechnologie beim Landmaschinenhersteller John Deere.

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