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Digitalisierung & KI

Standpunkte Mit Mobilitätsdaten gegen die Flutkatastrophe

Lutz Heuser, CEO und CTO des Urban Software Institutes
Lutz Heuser, CEO und CTO des Urban Software Institutes Foto: Urban Institute

Weggespülte Straßen und Brücken, großflächige Umleitungen und Geschwindigkeitsbeschränkungen: In den schwer getroffenen Hochwassergebieten ist es nicht einfach den Überblick über die Verkehrslage zu behalten. Das müsste nicht so sein, schreibt der Informatiker und Smart-City-Experte Lutz Heuser. Deutschland müsse aus der Krise lernen und voll auf urbane Datenplattformen setzen.

von Lutz Heuser

veröffentlicht am 02.08.2021

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Klimaschutz, Green Deal, Nachhaltigkeit – viele Fachbegriffe, denen man alltäglich rund um Politik und Medien begegnet, aber was sie wirklich bedeuten können, zeigen uns aktuell die dramatischen Bilder der von dem Hochwasser geschädigten Gebiete in unserer unmittelbaren Nähe, die fast täglich durch neue Katastrophengebiete weltweit erweitert werden.

Wir sehen viele helfende Hände, Spaten und Schaufeln. Und natürlich gilt es zunächst allen Betroffenen schnell und unbürokratisch zu helfen. Auch die zerstörte Infrastruktur in den Kommunen, Landkreisen und Ländern muss wieder aufgebaut werde – das wird Jahre dauern. Eine riesige Herausforderung mitten in der Pandemie und in einer Zeit klammer kommunaler Kassen.

Die digitale Transformation darf das allerdings nicht aufhalten. Ganz im Gegenteil: Immer noch fehlen der Verwaltung oft viele Daten oder sie liegen ungenutzt in Datensilos von Fachabteilungen herum. Das ist im Regelfall nicht optimal, stellt im Krisenfall aber ein echtes Problem dar: Denn wie sollen qualifizierte Entscheidungen getroffen werden, wenn es ein unklares und lückenhaftes Lagebild gibt?

Seit gut zehn Jahren spricht die Fachwelt von der Smart City – und neuerdings auch von den Smart Regions. Es geht dabei um vernetzte Städte und Regionen, die Daten über Mobilität, Energie, Umwelt und Klimaschutz mithilfe von Sensoren und anderen digitalen Technologien sammeln, diese über Plattformen bereitstellen und mithilfe von Algorithmen und Künstlicher Intelligenz analysieren. So können wichtige Vorhersagen getroffen werden – auch im Katstrophenfall.

Mit einer guten Datenbasis die Lage überblicken

Besonders relevant sind dabei Mobilitätsdaten. Es kommt darauf an, schnell auf entstehende Probleme in den Verkehrsnetzen zu reagieren. In der aktuellen Flutkatastrophe sind schlagartig zentrale Verkehrspunkte wie Brücken und wichtige Straßen zerstört worden. Dies führt zu einem Verdrängungsverkehr, der auch das weitere Umland der betroffenen Regionen miteinbezieht.

Welche Straßen muss ich sperren, um ein optimales Ergebnis zu erzeugen? Halten sich die Menschen tatsächlich an die Sperren? Wohin bewegt sich der Verdrängungsverkehr? Wie schnell bewegen sich Verkehrsteilnehmer durch das Krisengebiet? Gefährdet der Verkehr die Hilfsarbeiten? Nur mit einer guten Datenbasis kann man die Lage überblicken und den Verkehr effizient lenken – im optimalen Fall sogar in Echtzeit und nicht nur aufgrund von Prognosen aus Daten der Vergangenheit.

In den meisten Städten und Regionen fehlt eine passende Infrastruktur dafür. Der Schlüssel sind urbane Datenplattformen. Wir starteten deshalb unsere Hilfsaktion #uiHilft. Dabei „spenden“ wir den betroffenen Regionen möglichst viele unserer Daten und Informationen und bereiten sie für die Behörden auf.

Wir brauchen Datenplattformen auf der kommunalen Ebene

Unser Team aus Datenanalysten entwickelte ein speziell für die betroffenen Regionen zugeschnittenes Portal. Die Daten dafür stammen von verschiedenen Anbietern, typischerweise von mobilen Apps, Sensor- und Internetdaten. Microsoft hat uns dabei mit seiner Cloudinfrastruktur Azure unterstützt. So können wir auf diesem Portal vertiefende Analysen aus den Daten berechnen und bereitstellen.

Zu den bisher erstellten Verkehrsanalysen gehören die Gebiete: Rhein-Erft-Kreis, Landkreis Euskirchen, Landkreis Ahrweiler, Stadt Trier, Stadt Hagen, Landkreis Heinsberg, Landkreis Berchtesgadener Land, A1 bei Leverkusen und A61 bei Meckenheim.

Durch den Vergleich des aktuellen Verkehrs, mit dem vor dem Hochwasser lassen sich Auffälligkeiten identifizieren, wie die Reduktion von Verkehrsaufkommen oder die Veränderung der Hauptfahrrouten, der Geschwindigkeiten oder ungewöhnliche Verhaltensweisen. Durch die Visualisierung der Daten können sich die Verantwortlichen direkt ein aktualisiertes Bild der Verkehrslage in ihrer Region machen. Zudem unterstützt uns unser Partner Schréder und stellt den betroffenen Kommunen für nächtliche Arbeiten 100 Flutlichtlampen zur Verfügung, die direkt über das Portal online angefragt werden können.

Es wäre jetzt wichtig aus diesen Ereignissen zu lernen und nicht nur die physische Infrastruktur wieder aufzubauen, sondern auch in digitale Infrastruktur zu investieren. Im Kampf gegen Katastrophen sind nicht nur Schaufel und Spaten wichtig, sondern auch eine gute Datenbasis und offene Plattformen. Hier sind noch einige Hausaufgaben von Kommunen, Landkreisen, Ländern und Bund zu machen, um auf ähnliche Katastrophen zukünftig besser vorbereitet zu sein.

Lutz Heuser ist CEO und CTO des [ui!] Urban Software Institutes, ein international agierender Anbieter von Lösungen im Bereich Smart Cities und Smart Regions. Der Informatiker leitet die Arbeitsgruppe „Nachhaltige urbane Mobilität“ der Europäischen Initiative „Smart Cities Marketplace“ und berät die entsprechenden Gremien der EU. Zudem ist er Sprecher und Gründer des Smart City Forums mit über 400 Mitgliedern. Heuser ist Honorarprofessor an der Technischen Universität Darmstadt und „Adjunct Professor“ an der Queensland University of Technology in Brisbane, Australien.

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