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Digitalisierung & KI

Standpunkte Staatliche IT-Projekte: Nicht ohne die Zivilgesellschaft

Marian Margraf (l.) und Sandra Kostic (Fraunhofer AISEC)
Marian Margraf (l.) und Sandra Kostic (Fraunhofer AISEC) Foto: Fraunhofer AISEC

Bei großen IT-Projekten macht der Staat einen zentralen Fehler: Er bindet Zivilgesellschaft zu wenig ein. Dabei könnten durch mehr Transparenz eine größere Akzeptanz in der Gesellschaft und bessere Ergebnisse erreicht werden, schreiben Marian Margraf und Sandra Kostic vom Fraunhofer AISEC.

von Marian Margraf und Sandra Kostic

veröffentlicht am 23.11.2022

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Die Digitalisierung in Deutschland schreitet nur sehr langsam voran. So befindet sich Deutschland bei der Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung nach dem Digital Economy and Society Index aktuell auf Platz 21 der 27 EU-Mitgliedsstaaten. Auch bei der digitalen Wettbewerbsfähigkeit ist Deutschland im Jahr 2021 weiter zurückgefallen, wie der aktuelle Digital Riser Report des European Center for Digital Competitiveness aufzeigt, und belegt den vorletzten Platz in Europa. Die Gründe hierfür sind sicherlich vielfältig.

Es lässt sich allerdings beobachten, dass große Digitalisierungsprojekte in Deutschland von der Zivilgesellschaft größtenteils skeptisch begleitet werden. Generell wird gerade der öffentlichen Hand nur wenig Kompetenz im Bereich Digitalisierung zugeschrieben. Gleichzeitig geht es dabei fast immer um Themen wie Datenschutz und Datensicherheit, auf die die Zivilgesellschaft zurecht sehr sensibel und hellhörig reagiert. Wenn Bürger:innen bei der Entwicklung von Beginn an eingebunden werden und die handelnden Akteure offen und transparent mit ihnen kommunizieren, erhöht dies das Vertrauen in digitale Angebote und schafft einen offenen Raum, um Fragen oder Bedenken zu besprechen.

Beispiele für große Digitalisierungsprojekte in Deutschland sind die Corona-Warn-App und die Online-Ausweisfunktion. Die Einführung der Online-Ausweisfunktion 2010 wurde insbesondere vom Chaos Computer Club (CCC) kritisch begleitet und diese Sichtweise von den Medien übernommen. Befürchtet wurde vor allem, dass der Staat nicht in der Lage sei, die Lösung sicher und datenschutzfreundlich zu gestalten.

Diese Befürchtungen sind in der prognostizierten Form nicht eingetreten. Mehr noch: Heute, zwölf Jahre nach Einführung, lobt der CCC die Online-Ausweisfunktion als sichere und datenschutzfreundliche Lösung. Auch bei der Corona-Warn-App, die zur Eindämmung der Coronapandemie entwickelt wurde, gab es anfangs Befürchtungen hinsichtlich des Datenschutzes. Die App war vom Gesundheitsministerium zunächst als zentrale Lösung konzipiert, um beispielsweise auch erkennen zu können, in welchen Lebensbereichen Ansteckungen erfolgen.

Nach massiver Kritik von Verbänden, Medien und Forschung lenkte die Politik ein und es kam zu der Lösung, die wir heute haben – mit dem Nachteil, dass die App eben nicht bei der Erkennung sogenannter Hotspots unterstützen kann. Schließungen von Schulen, Kindergärten und sogar Spielplätzen im Freien erfolgten damit nicht auf Basis wissenschaftlicher Erkenntnisse (weil die dafür benötigten Daten nicht vorlagen), sondern vielmehr anhand von Vermutungen.

Eine frühzeitige Einbeziehung der interessierten Parteien hätte dazu beitragen können, ein offenes Forum zu schaffen, in dem Bedenken und offene Fragen hätten angesprochen und diskutiert werden können, wodurch die Entwicklung einer effektiveren Lösung möglich gewesen wäre.

Mitbestimmung liegt im Trend

Die kritische Begleitung von IT-Großprojekten, die alle betreffen, sollte als Chance begriffen werden, Bürger:innen von Beginn an einzubeziehen. Die Vorteile liegen auf der Hand: Transparenz schafft mehr Vertrauen und die gesellschaftliche Akzeptanz steigt. Die Beteiligung Vieler bringt neue Ideen ein und verbessert Lösungen. Darüber hinaus führt eine offene Entwicklung mit Möglichkeiten der Partizipation auch dazu, dass eben nicht nur lauten Einzelstimmen viel Gehör verschafft wird, sondern Lösungen im Sinne des Gemeinwohls entwickelt werden.

Mitbestimmung ist ein Trend unserer Zeit – das zeigen Umfragen. Den Menschen reicht es nicht mehr nur alle vier Jahre zur Wahlurne zu gehen. Sie wollen auch zwischen den Wahlen in Entscheidungsprozesse eingebunden werden. Transparenz und Mitgestaltungsmöglichkeiten sind gerade bei sensiblen Themen wie Datenschutz und Sicherheit essenziell.

Aktuell beschäftigt sich die Bundesregierung mit der Einführung sicherer elektronischer Identitäten, mit denen Bürger:innen zukünftig vom Mehrwert digitaler Angebote von Behörden oder der Privatwirtschaft profitieren sollen. Die Einbindung der Zivilgesellschaft könnte hier wie folgt aussehen: Der gesamte Entwicklungsprozess sowie die Nutzung und Weiterentwicklung ist vollständig transparent gestaltet. Alle Umsetzungskonzepte (zum Beispiel Architektur-, Krypto-, und Sicherheitskonzept sowie Richtlinien zur sicheren Softwareentwicklung) sind schon in der Entstehung öffentlich zugänglich und werden diskutiert. Änderungsvorschläge werden bewertet und Entscheidungen nachvollziehbar begründet.

Die Software-Entwicklung ist offen via Open Source organisiert, so dass alle, die wollen, daran mitwirken können. Alle Informationen und Mitwirkungsmöglichkeiten werden über ein Internetportal oder bestehende Services (zum Beispiel Github oder Gitlab) dargestellt. Änderungsvorschläge an Dokumentation und Software durch interessierte Bürger:innen lassen sich aufbereiten und von Projektleitung und Bürger:innen öffentlich bewerten. Aufnahme und Ablehnung von Vorschlägen sind ausführlich begründet. Alle Prozesse entsprechen den Standards und Best Practices der Open Source Community.

Schlüsselereignis Corona-Warn-App

Auch wenn die Einbindung der Zivilgesellschaft dabei nicht organisiert ablief: Es gibt Indizien, dass der offen ausgetragene Diskurs zur Corona-Warn-App im positiven Sinn zu einem Schlüsselereignis für die Akzeptanz von staatlichen IT-Großprojekten geworden ist. Unsere Fraunhofer-Studien mit kleineren Gruppen zur Benutzbarkeit von Digitalangeboten zeigen, dass das Vertrauen der Menschen in staatliche Lösungen in den vergangenen zwei Jahren deutlich gestiegen ist.

Hier gilt es anzusetzen und die Einbindung der Zivilgesellschaft in Form eines öffentlichen Forums weiterzuentwickeln. Dafür müssen bei großen Digitalisierungsprojekten sowohl finanzielle als auch personelle Ressourcen einkalkuliert werden. Diese Investition lohnt sich: Durch bessere Ergebnisse für die staatlichen Akteure als auch für die Bürger:innen. Auch das Projekt Corona-App hätte die Chance auf ein besseres Ergebnis verdient – etwa eine Lösung, wie oben bereits diskutiert, die Hotspots erkennen kann. Doch die verhärteten Fronten zwischen zentraler und dezentraler Lösung haben das verhindert.

Marian Margraf ist Leiter der Abteilung Secure Systems Engineering am Fraunhofer AISEC und Professor für Informationssicherheit an der Freien Universität Berlin. Sandra Kostic ist wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Abteilung Secure Systems Engineering am Fraunhofer AISEC und leitet die Forschungsgruppe „Usable Security and Privacy“.

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