Städte sind ein idealer Experimentierraum für demokratische und nachhaltige Innovation: Sie haben lokale Regelsetzungskompetenz, betreiben kommunale Infrastruktur und stehen in engem Austausch mit Bürger:innen. Sie gestalten den öffentlichen Raum, in dem Bürger:innen sich bewegen und begegnen. Dieser Raum wird zunehmend digital, beispielsweise durch vernetzte Beleuchtungssteuerung oder Autosensoren.
Durch die Digitalisierung des öffentlichen Raums entsteht eine neue Form von Infrastruktur: urbane Daten, also Daten, die im öffentlichen Raum oder im Rahmen der Erbringung von Diensten anfallen, die Städte finanzieren. Diese Daten müssen der Gesellschaft zugutekommen, denn sie haben ein großes Potenzial dafür, den öffentlichen Raum so zu gestalten, dass er dem Gemeinwohl dient. Das heißt zum Beispiel, dem Klimawandel mit einer effektiven Verkehrswende zu begegnen oder der steigenden sozialen Ungleichheit mit dem Ausbau öffentlicher Infrastruktur gerade in benachteiligten Stadtteilen.
Für ein neues Paradigma des urbanen Datenteilens
Aktuell liegen urbane Daten zunächst bei denen, die sie erheben und sie damit faktisch kontrollieren: Teilweise sind das die Stadtverwaltungen, doch zu einem großen Teil sind es Unternehmen, die im öffentlichen Raum ihre Dienste bereitstellen. Verwaltungen müssen ihre Daten üblicherweise offen bereitstellen, doch bei anderen Daten greift zunächst die Annahme, dass Unternehmen sie exklusiv nutzen dürfen. Zunächst einmal wissen zum Beispiel nur die Anbieter von Car-, Fahrrad- oder E-Scooter-Sharing, in welchem Umfang, wann und wo ihre Dienste genutzt werden. Dieses Paradigma verkennt das große Potenzial von urbanen Daten für die Gesellschaft.
Stattdessen müssen Städte ihre Kompetenzen und ihren Einfluss nutzen, um das Potenzial von urbanen Daten zu heben: Unternehmen sollten nur in dem Umfang Daten exklusiv nutzen dürfen, soweit ihr Interesse an Geheimhaltung schwerer wiegt als das öffentliche Interesse. Der Ausgangspunkt muss werden, dass diejenigen, die die Daten kontrollieren, Zugang gewähren müssen, und dass die Daten auf eine demokratische Weise gesteuert werden. Der Schutz von Geschäftsgeheimnissen oder der Datenschutz kann durch technische Maßnahmen wie Datenaggregierung, Anonymisierung und Verschlüsselung ermöglicht werden. Dafür müssen Städte bestehende rechtliche Spielräume beispielsweise in der Vergabe besser nutzen, benötigen teilweise aber auch neue Rechtsgrundlagen für mehr Datenzugang und Rechtssicherheit über gemeinwohlorientierte Datennutzung, wie sie im Data Act leider zu zögerlich angelegt wurden. Zudem brauchen sie Datenkompetenzen und den Willen, Neues auszuprobieren.
Neues ausprobieren, gerade weil es schmerzt
Hamburg hat sich bereits getraut, neue Wege für mehr Datenteilen im öffentlichen Interesse zu gehen. In der Urban Data Challenge sind viele Beteiligte zusammengekommen: die Verwaltung, die Datenschutzbehörde, Unternehmen mit urbanen Daten und Organisationen mit Ideen und Kompetenzen für Datennutzung im öffentlichen Interesse. Dazu war ein intensiver Lernprozess nötig, bei dem vieles eine aufwändigere Abstimmung erforderte und länger dauerte als ursprünglich gedacht. Doch dieser Lernprozess ist nötig, um Innovation voranzubringen, für die bestehende Prozesse nicht ausgelegt sind.
Städte müssen es wagen, neue Wege für das Teilen und Steuern von urbanen Daten für das öffentliche Interesse zu beschreiten, auch wenn das Endergebnis nicht immer vollständig absehbar ist. Die Hamburger Challenge ist ein Experiment auf zwei Ebenen: Unternehmen haben zum ersten Mal Daten in großem Umfang für gemeinwohlorientierte Zwecke geteilt und die Stadt Hamburg hat zum ersten Mal das Challenge-Format ausprobiert. Viele Erkenntnisse können nun dabei helfen, zukünftige Innovation besser zu gestalten. Beispielsweise wurde klar, dass nach aktuellen Datenschutzregeln die Stadt nur eine begrenzte Rolle im Austausch von Daten zwischen Dritten spielen kann und, dass freiwilliges Datenteilen vor allem dann erfolgt, wenn Unternehmen ein Interesse an stärkerer evidenzbasierter Stadtplanung und Regulierung haben.
Erfahrungen systematisch festhalten und im Austausch lernen
Denn nicht nur die Daten, sondern auch die Erkenntnisse über das Datenteilen werden momentan zu wenig geteilt. Neben Hamburg experimentieren einige weitere europäische Städte mit innovativen Ansätzen zum Datenteilen, unter anderem Barcelona, Bologna oder Amsterdam. Um die so gewonnenen Erfahrungen breit zu nutzen, müssen Städte sie in einer geteilten Sprache systematisch festhalten und mit anderen teilen. Das erleichtert es, neue Anwendungsfälle zu finden und auf bestehenden Erkenntnissen aufzubauen.
Zudem kann ein Datenintermediär dabei helfen, Expertise rund um das Teilen von urbanen Daten aufzubauen und rechtliches, technisches und organisatorisches Wissen zu teilen. In Hamburg gibt es die Urban Data Platform, die schon einen Teil der benötigten Expertise vorweist, doch noch nicht in die Richtung eines Intermediärs entwickelt wird. Ein solcher Intermediär senkt die Hürden für alle Beteiligten erheblich, um Daten zugänglich zu machen beziehungsweise Zugang zu Daten zu erhalten. Intermediäre müssen dabei dem öffentlichen Interesse verpflichtet sein und verschiedene weitere Anforderungen erfüllen. Das ist prinzipiell einfacher, wenn Städte selbst Intermediäre aufbauen, da der langfristig zu erwartende gesellschaftliche Nutzen die Kosten des Kompetenzaufbaus deutlich übersteigt.
Wir können morgen damit beginnen
Hamburg hat gezeigt, dass Städte mit dem Willen zum Experiment neue Wege beschreiten können. Damit urbane Daten als Infrastruktur für das Gemeinwohl nutzbar werden, ist ein langfristig angelegter Prozess notwendig, in dem Städte voneinander lernen und iterativ ihre Ansätze verbessern. Darin besteht eine riesige Chance, um die Digitalisierung des öffentlichen Raums umfassend für das Gemeinwohl zu nutzen. Die Superblocks in Barcelona sind ein mögliches Vorbild für eine Umgestaltung von Städten. Damit eine solche Gestaltung erfolgreich ist und auf Akzeptanz stößt, muss sie auf Daten basieren und mit Daten ausgewertet werden.
Dieser Prozess sollte am besten morgen beginnen. Neben dem Aufbau von Datenexpertise und Klärung von offenen Rechtsfragen gibt es verschiedene Hebel, die Städte nutzen können. Dazu gehören die systematische Verwendung von Datennutzungsklauseln in kommunalen Verträgen und das Einfordern von Datennutzung in der kommunalen Vergabe. Die Elektrifizierung des Autoverkehrs und der Ausbau des städtischen Nahverkehrs sind anstehende Entwicklungen, die teils in Zusammenarbeit mit privaten Dienstleistern erfolgen und bei denen Städte sicherstellen müssen, dass sie umfassenden Zugang zu Daten zum Beispiel über das Nutzungsverhalten von Ladesäulen und Mobilitätsdiensten haben. Das sind sinnvolle erste Schritte, um den Paradigmenwechsel hin zu urbanen Daten für das Gemeinwohl zu beginnen.
Der Beitrag basiert auf dem Abschlussbericht des „New Hanse Project“ zur Frage „How can cities use data to become more democratic and sustainable?“, der heute hier veröffentlicht wird.
Francesca Bria ist die Präsidentin des italienischen Nationalen Innovationsfonds und ist Projektdirektorin von „The New Hanse“ des The New Institute. Zudem ist sie Vorstandsmitglied des italienischen Rundfunkunternehmens RAI und hält eine Ehrenprofessur am Institute for Innovation and Public Policy am University College London. Sie war Chief Digital Technology and Innovation Officer in Barcelona, Spanien.
Aline Blankertz ist angewandte Ökonomin und hat das New Institute zum Projekt „The New Hanse“ beraten. Sie beschäftigt sich seit vielen Jahren mit daten- und wettbewerbspolitischen Fragen, unter anderem als Referentin bei Wikimedia, bei der Stiftung Neue Verantwortung und als wirtschaftswissenschaftliche Beraterin.