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Digitalisierung & KI

Standpunkte Warum das Internet einen feministischen Reflex braucht

Josephine Ballon von Hate Aid
Josephine Ballon von Hate Aid Foto: Andrea Heinsohn

Frauenrechte im digitalen Raum sind kein „nice to have“, sondern ein Menschenrecht. Trotzdem klafft in den Leitlinien für feministische Außenpolitik ein großes Digitalloch. Und auch die EU-Regulierung zum Schutz von Frauen hat deutliche Lücken. Es braucht einen „feministischen Reflex“ im Internet, schreibt Josephine Ballon von Hate Aid: Frauenrechte müssen von Anfang an mitgedacht werden.

von Josephine Ballon

veröffentlicht am 08.03.2023

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Wer wissen will, welchen Stellenwert Frauenrechte im digitalen Raum haben, sollte einen Blick in die neuen Leitlinien für feministische Außenpolitik werfen. Auf 89 Seiten finden sich nicht einmal eine Handvoll digitaler Vorhaben. In das Papier geschafft haben es aber zum Beispiel die gleichberechtigte Teilhabe an Technologie für Frauen und ein sicherer digitaler Raum frei von Hass. Verortet sind diese jedoch nicht etwa unter dem Punkt „Menschenrechte“, sondern unter „Außenwirtschaftspolitik“, also bei der wirtschaftlichen Teilhabe.

Das ist nicht falsch, aber zu kurz gedacht. Denn das Internet und die sozialen Medien sind eben nicht mehr nur eine wirtschaftliche Option. Weltweit avancieren sie zum bedeutsamsten gesellschaftlichen Debattenraum: Hier werden Wahlen entschieden, Informationskriege geführt und soziale Bewegungen geboren.

Sicherheit im Netz: Nicht nur ein Wirtschaftsfaktor 

Doch die Teilhabe an diesen Debatten ist für Frauen gefährlich geworden. Denn im Internet findet gerade ein brutaler Backlash statt: Weltweit stehen Frauen im Fokus antifeministischer Bewegungen. Mitunter – wie im Fall der philippinischen Journalistin Maria Ressa – kommt der Angriff sogar von der eigenen Regierung, die sich vom Kampf um demokratische Werte bedroht fühlt. Desinformationskampagnen und digitale Gewalt werden zu Waffen. Selbst wenn Frauen Zugang zu der Technologie haben, bleibt ihnen deshalb die Teilhabe am sozialen und politischen Leben oftmals verwehrt.

Eine feministische Außenpolitik des 21. Jahrhunderts muss anerkennen, dass Sicherheit im Internet nicht nur ein Wirtschaftsfaktor ist, sondern ein Menschenrecht. Sie muss die besondere Vulnerabilität von Frauen im digitalen Raum in den Blick nehmen, die sich in der Natur der Angriffe widerspiegelt. Denn auch digitale Gewalt gegen Frauen ist höchst sexualisiert und deswegen besonders brutal, intim und schambehaftet. Vergewaltigungsandrohungen sind ebenso an der Tagesordnung wie pornographische Deepfakes, die heutzutage kinderleicht per App erstellt werden können. Die in den Leitlinien verwendete Benennung dessen als „Hass“ mutet beinahe wie eine Verniedlichung an.

Prominentes Beispiel ist Außenministerin Annalena Baerbock selbst. Ihre Amtszeit ist von Desinformation, sexualisierten Bedrohungen und gefälschten Nacktbildern geprägt, die bis heute online abrufbar sind. Von ihren männlichen Kollegen sucht man solche vergeblich. Das Signal für junge Frauen könnte abschreckender nicht sein. Viele sehen aus Angst vor Gewalt von einer politischen Karriere ab. Dass Frauen so aus öffentlichen Ämtern und Entscheidungsprozessen gedrängt werden, ist eine weltweite Pandemie. Wer Frauen als Akteur*innen in Friedensprozessen, der Außen- oder Entwicklungspolitik stärken will, muss die Dynamiken des digitalen Raumes mitdenken. Denn ihre digitale Sicherheit wird ein wesentlicher Faktor für ihre gesellschaftliche Teilhabe sein.

Deepfakes und Dick Pics: Wie die EU Frauen im Netz schützen will

In Europa wird das gesehen. Heute vor einem Jahr hat die EU-Kommission den Entwurf der Richtlinie zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt veröffentlicht. Ziel ist ein gemeinsamer europäischer Mindeststandard der Strafbarkeit von Gewalt gegen Frauen. Auch digitale Gewalt ist erfasst, wenn auch mit Lücken. Im Rat der Europäischen Union ist Widerstand zu erwarten, da nicht in allen Mitgliedstaaten die Notwendigkeit einer solchen Richtlinie gesehen wird. In den Kompromissänderungsanträgen des Europäischen Parlaments, die gerade ausgehandelt werden, wird es vor allem um die Reichweite des Schutzes gehen.

Einige Punkte sind aus deutscher Sicht selbstverständlich – zum Beispiel, dass das Versenden sogenannter Dick Pics eine Straftat ist (§ 184 StGB). Andere sind auch hier noch strittig, etwa ob die Herstellung pornographischer Deepfakes strafbar sein sollte oder nicht. Selbst deren Verbreitung ist hierzulande eher im Bereich der Bagatelldelikte angesiedelt und wird kaum verfolgt. Sogenannte Face Swap Apps, die die kinderleichte Montage von Gesichtern in Hardcorepornos möglich machen, sind bisher diesbezüglich nicht reguliert. Mit dem angekündigten Digitalen Gewaltschutzgesetz hat die Bundesregierung die Chance, diese Gesetzeslücke jetzt zu schließen, bevor ein massenhafter Missbrauch Alltag wird.

Ganz im Gegensatz zur EU, die sich im Digital Services Act, der ab 2024 Onlineplattformen europaweit regulieren wird, nicht zu einembesseren Schutz von Frauen auf Pornoplattformen durchringen konnte. Wenigstens werden künftig sehr große Plattformen verpflichtet, im Rahmen sogenannter Risikobewertungen die geschlechtsspezifischen Risiken ihres Angebots einzuschätzen. Prompt suchen ausgerechnet die großen Pornoplattformen Schlupflöcher, um sich davor zu drücken und offenbaren die ersten Durchsetzungsdefizite der Verordnung. Die Bundesregierung wird hier nur zusehen können, denn sie darf keine strengeren nationalen Regeln erlassen.

Die neuen Leitlinien sehen einen „feministischen Reflex“ vor, der bei allen Entscheidungen Frauen und marginalisierte Gruppen mitdenken soll. Der richtige Ansatz, um Frauenrechte langfristig zu stärken. Er könnte allerdings ein digitales Update vertragen.

Josephine Ballon ist als Head of Legal bei Hate Aid zuständig für die Prozesskostenfinanzierung und die rechtlichen Positionen. Die gemeinnützige Organisation mit Sitz in Berlin hilft und berät Opfer von Hassrede und Hasskommentaren. 

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