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Standpunkte „Demokratische Chips-Lieferkette“ oder „Silikon-Schild“ – Halbleiter-Industrie soll Taiwan sichern

Antonia Hmaidi, Analystin beim Mercator Institute for China Studies (Merics)
Antonia Hmaidi, Analystin beim Mercator Institute for China Studies (Merics) Foto: Merics

Taiwans Chipindustrie macht das Land auch für China so wichtig, dass eine harte Eskalation nach den morgigen taiwanesischen Parlamentswahlen unwahrscheinlich erscheint. Die Republik wird dennoch daran festhalten, die modernsten Chips nur in Taiwan herzustellen. Darauf muss sich der Westen einstellen.

von Antonia Hmaidi

veröffentlicht am 12.01.2024

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In Taiwan wird am 13. Januar gewählt. Der Wahlausgang ist noch unklar, Umfragen zufolge liegt der Kandidat der regierenden Demokratischen Fortschrittspartei (DPP) nur knapp vor seinem Konkurrenten der Kuomintang (KMT). Eines steht bei allen Unsicherheiten – etwa wie es danach mit den Beziehungen zu China weitergeht – fest: Jede künftige Regierung wird sich dafür einsetzen, die fortschrittliche Halbleiter-Produktion in Taiwan zu halten.

Deutschland und Europa sind schon heute stark von Halbleitern aus Taiwan abhängig, eine breite Palette von Chips – geschätzt etwa 12.000 verschiedene Produkte – des Marktführers TSMC (Taiwan Semiconductor Manufacturing Company) wird für Handys, Computer, Industriemaschinen, Autos und mehr weltweit gebraucht. Insbesondere die Umsetzung der grünen und digitalen Wende benötigt Halbleiter, von denen einige nur in Taiwan hergestellt werden.

In Magdeburg und Dresden sind nun neue Fabriken geplant, mit denen Deutschland Chip-Produktion auf das eigene Territorium verlegen will – auch mit Blick auf geopolitische Risiken, in deren Zentrum Taiwan nach den Wahlen weiter stehen wird. Denn ganz gleich, wer am Samstag gewinnt – Chinas Präsident Xi Jinping wird an seinem Plan festhalten, eines Tages Taiwan mit der Volksrepublik zu vereinigen.

Viele in zentralen Anwendungsbereichen wie zum Beispiel der Autobranche benötigte Chips können schon jetzt in Europa hergestellt werden. Die Fabrik, die TSMC mit Milliardeninvestitionen mit Partnern in Dresden bauen möchte, soll künftig die Versorgung besser sicherstellen. Der Aufbau eigener Halbleiter-Kapazitäten wird Europas Abhängigkeit von Taiwan aber nur teilweise verringern. Denn die modernsten Chips, wie die im 3-Nanometer-Format, stellt TSMC nur in der Heimat her, und solche Chips sind für künstliche Intelligenz und moderne Handys nicht ersetzbar.  

Eine Blockade ist unwahrscheinlich

Eine Eskalation in den Beziehungen zu China nach den Wahlen, etwa im Falle eines Siegs von William Lai, dem Kandidaten der regierenden, die taiwanische Identität der Inselrepublik betonenden DPP, könnte Taiwans Halbleiterbranche hart treffen. Ein Extremszenario wäre eine chinesische Blockade der Taiwan-Straße, durch die etwa die Hälfte des weltweiten Containerschiff-Verkehrs verläuft. Ein solches Szenario wäre derzeit angesichts der Angriffe von Huthi-Rebellen auf Container-Schiffe im Roten Meer noch folgenschwerer.  

Obwohl die USA eine Blockade in der Taiwan-Straße durch ein militärisches Eingreifen auf See aufheben könnten, würde der Welthandel kurzfristig stark einbrechen. Taiwans Chipfabriken benötigen Maschinen und Rohstoffe aus dem Ausland. Bei einer Blockade von mehr als zwei Wochen müssten sie ihre Produktion einstellen, was ganze Chargen von noch unfertigen Chips unbrauchbar machen würde.

Insgesamt allerdings erscheint ein solches Blockade-Szenario unwahrscheinlich, da China eine Konfrontation mit den USA und mögliche westliche Sanktionen in einer Phase, in der die eigene Wirtschaft angeschlagen ist und andere innenpolitische Probleme Xi und die Kommunistische Partei beschäftigen, vermutlich nicht riskieren würde.

Wirtschaftlicher Druck durch Im- und Exportbeschränkungen wäre ein anderes mögliches Szenario chinesischer Druckausübung auf Taiwan. Wegen der intensiven und vielschichtigen Handelsbeziehungen könnte dies die Inselrepublik stark treffen (35,2 Prozent von Taiwans Exporten gehen nach China, während nur acht Prozent der chinesischen Importe aus Taiwan kommen).

Im Dezember 2023 zum Beispiel beschloss China das Ende von Zollsenkungen für zwölf Chemikalien aus Taiwan. Andere Maßnahmen trafen bislang vor allem den Agrarsektor, zum Beispiel Ananas-Importe. Ausgespart werden bislang strategisch wichtige Bereiche wie die Chip-Industrie, deren Produkte China selbst benötigt. Insbesondere da China aktuell wirtschaftliche Probleme hat, ist eine Eskalation auf wichtigere Produkte unwahrscheinlich.

Keine Fabriken mehr im Ausland?

Sollte Hou Yu-ih von der Kuomintang die Präsidentschaftswahl gewinnen, wäre kurzfristig mit einer Entspannung der Beziehungen zwischen China und Taiwan zu rechnen – obwohl nicht einmal diese Partei an einer „Wiedervereinigung“ nach Xis Vorstellung interessiert ist. Möglicherweise würde China die offizielle Kommunikation wieder aufnehmen, Risiken einer unbeabsichtigten Eskalation würden zumindest zeitweise sinken. Denkbar wären sogar weitere beiderseitige Wirtschaftsabkommen. Das Konfliktpotential im High-Tech-Bereich bliebe aber bestehen: China würde drängen, bestehende Lieferbeschränkungen aufzuheben, um Zugang zu dringend benötigten Hightech-Chips zu bekommen.

Derzeit investieren taiwanische Chip-Firmen nicht in moderne Produktionsstätten in China und exportieren die modernsten Chips nicht nach China. Das dürfte unter anderem wegen der US-Exportkontrollen auch so bleiben. Denn TSMC und andere taiwanische Firmen können sich nicht erlauben, ihre in den USA sitzenden Hauptkunden zu verlieren.

Das Konzept „Taiwan+1”, nach dem TSMC immer eine Fabrik in Taiwan und eine im Ausland baut, schlug im Wahlkampf einige Wellen. KMT-Vizepräsidentschaftskandidat Jaw Shau-kong kritisierte es als Schwächung der heimischen Chipwirtschaft, des „Silikon-Schilds“, der nach Ansicht so mancher in Taiwan vor einer Invasion schützen könnte.

Dass die KMT allerdings so weit gehen würde, Auslandsinvestitionen von TSMC wie die in Dresden noch vor dem ersten Spatenstich zu stoppen und damit die Beziehungen zu den USA und Europa zu beschädigen, ist nicht wahrscheinlich. Für die DPP indes ist die Ansiedlung von TSMC-Produktionsstätten im Ausland Teil einer Strategie, Taiwan an die demokratische Welt anzubinden. Die scheidende Präsidentin Tsai Ing-wen sprach nicht ohne Pathos von einer „demokratischen Chips-Lieferkette“.

Auf die Versorgung Europas mit den begehrten Halbleiter-Produkten werden die Wahl und ihr Ergebnis am Ende keinen großen Einfluss haben. Entscheidend ist, wie es im Hightech-Konflikt zwischen den USA und China weitergeht. In den vergangenen Jahren hat China auch als Reaktion auf immer neue US-Auflagen die inländische Chip-Produktion hochgefahren. Der Fokus liegt auf älteren Chip-Generationen, denn die sind für den Einsatz in Elektroautos oder Strom-Infrastruktur notwendig.

Europa, das solche älteren Chip-Varianten erfolgreich selbst produziert, droht hier mächtige Konkurrenz von in China subventionierten Produzenten. Wege, seine Abhängigkeit von Taiwan bei den fortschrittlichsten Chips aufzulösen, gibt es derzeit für Europa nicht. Ein Grund mehr, gegenüber China mit Nachdruck auf Stabilität und Frieden in der Region zu drängen und Kanäle nach Taiwan zu verstärken. Auch um mit dem Wahlsieger in Taiwan darüber ins Gespräch zu kommen, wie die Handelsbeziehungen in Zukunft gefestigt und intensiviert werden können. 

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