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Digitalisierung & KI

Standpunkte Kritische Rohstoffe: Mehr Chancen durch KI

Cep-Experten Anselm Küsters und André Wolf
Cep-Experten Anselm Küsters und André Wolf Foto: Cep

Für nachhaltige Digitalisierung braucht es seltene Metalle wie Lithium und Kobalt. Informationen über neue Rohstoffvorkommen sind jedoch zufallsgetrieben und lückenhaft. KI könnte Europa bei seinem Rohstoffglück auf die Sprünge helfen, schreiben Anselm Küsters und André Wolf vom Centrum für Europäische Politik. Die Politik sollte den Einsatz deshalb fördern.

von Anselm Küsters und André Wolf

veröffentlicht am 23.02.2023

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Unter der Erdoberfläche befinden sich vielfältige mineralische Ressourcen, die für Europas Transformation zu einer digitalisierten und klimaneutralen Wirtschaft unverzichtbar sind. Dazu gehören die für die Fertigung von Batterien (Lithium, Kobalt), Windkraftturbinen (Seltene Erden) und elektronischen Displays (Indium) benötigten seltenen Metalle.

Gegenwärtig konzentrieren sich Förderung und Verhüttung aber auf einige wenige Nicht-EU Länder wie China, Australien und Südafrika. Diese Angebotsstruktur verstärkt die geostrategische Abhängigkeit Europas und erzeugt vielfältige Risiken im Hinblick auf Preisentwicklung, Versorgungssicherheit und Umwelteffekte. Zwar gab es in jüngster Zeit in Europa vereinzelte Großfunde wie beispielsweise in Schweden und Norwegen, dahinter steckt jedoch noch keine systematische Erkundungsstrategie.

Einen Ausweg bieten sogenannte „greenfield“-Explorationen, also die Erkundung bislang unerforschten Terrains. Die hohe Ergebnisunsicherheit und die beträchtlichen Kosten konventioneller Erkundungsmethoden stellen jedoch ein deutliches Anreizhemmnis dar.

Vorteile von KI im Bergbau

Der Einsatz von Künstlicher Intelligenz in der Rohstofferkundung kann die Kosteneffizienz und Suchgeschwindigkeit deutlich erhöhen. Einige außereuropäische Start-ups haben bereits Datenbanken aufgebaut, die Informationen über die Erdkruste aus geologischen Berichten, Bodenproben, Satellitenbildern und akademischen Forschungsarbeiten zusammenführen. Dies ermöglicht den Einsatz von KI, um Merkmale von Orten zu erkennen, an denen in der Vergangenheit Metalle gefunden wurden.

Die auf diese Weise trainierten Algorithmen können unerforschte, aber vielversprechende Orte mit ähnlichen Mustern finden und virtuelle Karten produzieren, auf denen wahrscheinlich vorhandene Zielmetalle markiert sind. Mithilfe KI-getriebener Software können zudem luftgestützte Vermessungspläne täglich angepasst werden, um schneller vielversprechende Stellen für Bohrungen zu finden. Ersten Praxistests zufolge erhöht KI die Trefferquote um etwa den Faktor 25.

Aus Sicht von Investoren ist die Entscheidung über die Erkundung neuer Ressourcenvorkommen Gegenstand eines langfristigen Renditekalküls. KI-generierte Indikatoren können dazu beitragen, Unsicherheiten zu reduzieren oder bestehende Risiken transparenter zu machen. Aufgrund der mangelnden Möglichkeit, den Informationsgewinn aus der Erkundung komplett zu privatisieren und den hohen Fixkosten in der Bereitstellung der KI-Dienste sind für den Aufbau entsprechender Dienstleistungsmärkte in Europa aber ein politischer Anschub und abgestimmte Rahmenbedingungen erforderlich.

Herausforderungen für die europäische Anwendung

Die Häufung der Daten um bekannte Lagerstätten herum stellt KI-getriebene Software im Bergbausektor vor große Herausforderungen, da positive Beispiele notwendig sind, um Algorithmen zu trainieren. Geologische Daten sind zudem sowohl räumlich als auch zeitlich häufig sehr lückenhaft. Diese Lückenhaftigkeit kann zusammen mit der uneinheitlichen Datenqualität und dem Clustering positiver Beispiele dazu führen, dass KI-Systeme falsche Signale erkennen oder falsche Prognosen machen – was dramatische Konsequenzen für die Umweltwirkung nach sich ziehen könnte.

Beim Marktaufbau muss also sichergestellt werden, dass die zugrundeliegenden Systeme auf hochwertigen Daten trainiert und Interdependenzeffekte durch „humans in the loop“ überwacht werden – ähnlich wie das aktuelle Pläne der EU für ein KI-Gesetz in Bezug auf Hochrisikosysteme vorsehen. Selbst wenn ausreichend granulare und qualitativ hochwertige Trainingsdaten für Europa generiert und zum Beispiel über das Copernicus-Programm geteilt werden können, sind zusätzliche Forschungsarbeiten über die robustesten Algorithmen sowie eine sorgfältige Validierung der Vorhersagen notwendig.

Da die Zielmetalle nach erfolgter Lokalisierung nach wie vor physisch abzubauen sind, muss ein KI-getriebenes Explorationstool auch die Umweltauswirkungen minimieren. Im Interesse der Nachhaltigkeit sollten Algorithmen dafür Informationen über zu erwartende Umwelteffekte einer kommerziellen Ausbeutung auswerten. Soziale Indikatoren zur ethischen Vertretbarkeit und Akzeptanz, wie sie bereits in Umfragen gesammelt werden, können als übergreifende externe Parameter in den Datensatz integriert werden.

KI im Critical Raw Materials Act?

Für März 2023 hat die Kommission den Entwurf einer umfangreichen Gesetzgebung zum verbesserten Umgang mit kritischen Rohstoffen angekündigt, den Critical Raw Materials Act. Die „Verbesserung der Überwachung, des Risikomanagements und der Governance“ wird eine Hauptsäule darstellen. Als mögliche Monitoring-Instrumente werden neben Kartierungstools auch Frühwarnsysteme und Stresstests für Lieferketten genannt, also Bereiche, deren Komplexität KI erforderlich machen könnte. Die Vorteile KI-basierter Erkundungstechnologien legen nahe, dass diese im Critical Raw Materials Act und weiteren Initiativen der EU eine wichtige Rolle spielen sollten.

Die EU sollte zunächst sicherstellen, dass verlässliche und granulare Geo-Daten im ausreichenden Maße öffentlich zugänglich sind. Sie sollte anfänglich KI-Start-ups finanziell und durch Innovationswettbewerbe fördern. Standards und Transparenzregeln für den Einsatz von KI im Bergbausektor können Rechtsunsicherheit abbauen und Vertrauen schaffen. Relevant wären zudem gezielte Aus- und Weiterbildungsangebote an der Schnittstelle zwischen KI und Geowissenschaften, da Europa einen beträchtlichen Teil seiner KI-Expertise regelmäßig an die USA verliert. Schließlich ist der Einsatz von KI in öffentlichen Genehmigungsverfahren zur Vergabe von Explorations- und Abbaulizenzen vorstellbar, um diese zu verkürzen und administrative Kosten zu senken.

Um Europas Versorgungssicherheit im Bereich kritischer Rohstoffe zu stärken, ist KI-basierte Erkundung allein nicht ausreichend. Zur ökologischen und wettbewerbsfähigen Nutzung identifizierter Ressourcen bedarf es einer Vielzahl weiterer Hebel mit Blick auf Kreislaufwirtschaft, administrative Prozesse und Ressourcendiplomatie. Auch hierbei kann KI nützlich sein, etwa bei der Identifizierung und Kategorisierung der in Konsumprodukten schlummernden Rohstoffressourcen. Die anstehende EU-Gesetzgebung zu kritischen Rohstoffen muss einen ersten wichtigen Schritt in Richtung einer resilienten Rohstoffversorgung in Europa machen – und dazu zählt, das Potenzial von KI als digitale Wünschelrute zu verwirklichen.

Anselm Küsters leitet den Fachbereich Digitalisierung und Neue Technologien am Centrum für Europäische Politik (Cep) in Berlin. André Wolf ist Fachbereichsleiter für Technologische Innovation, Infrastruktur und industrielle Entwicklung, ebenfalls am Cep in Berlin. Ihr Gastkommentar basiert auf dem gemeinsam erstellten Cep-Input Nr. 3 (2023).

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