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Sustainable Finance

Standpunkte Berichtspflicht ist Chance, nicht Schikane

Nicolette Behncke, Partnerin, PwC Deutschland
Nicolette Behncke, Partnerin, PwC Deutschland

Unternehmen sollten die geplante jährliche Sustainability-Berichtspflicht als Chance begreifen und das Thema positiv angehen, empfiehlt Nicolette Behncke, Partnerin der Wirtschaftsprüfer PwC Deutschland, in ihrem Standpunkt. Mehr Transparenz steigere das Vertrauen und 80 Prozent des Marktwerts eines Unternehmens würden schon heute von Nachhaltigkeitsfaktoren beeinflusst.

von Nicolette Behncke

veröffentlicht am 27.05.2021

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Mitte April legte die EU-Kommission einen Vorschlag zur Änderung der Corporate-Sustainability-Reporting-Richtlinie (CSRD) vor. Die EU will damit für mehr Transparenz im Hinblick auf nachhaltiges Wirtschaften der Unternehmen sorgen. Grundsätzlich ist das ein Schritt in die richtige Richtung.

Denn das gesellschaftliche Interesse am Thema Nachhaltigkeit ist stark angestiegen. Zudem bekäme die Nachhaltigkeitsberichterstattung durch die neue Richtlinie einen höheren Stellenwert, indem sie auf Augenhöhe mit der Finanzberichterstattung rückt. Die Unternehmen müssten zukünftig alle nachhaltigkeitsbezogenen Fakten veröffentlichen, die für eine fundierte Einschätzung von Geschäftsverlauf, Lage und Ergebnis erforderlich sind. Dazu gehören zudem auch Informationen, die zeigen, wie sich ihr Wirtschaften auf die Gesellschaft auswirkt.

Kritik rief jedoch die Ausweitung der Berichtspflicht auf kleinere Unternehmen hervor. Bisher beschränkte sie sich auf große, kapitalmarktorientierte Unternehmen, Kreditinstitute und Versicherungen. Künftig sollen – erstmals für das Geschäftsjahr 2023 – auch Firmen ab 250 Mitarbeiter:innen, mit Umsatzerlösen ab 40 Millionen Euro oder 20 Millionen Bilanzsumme sowie kapitalmarktorientierte Unternehmen jeder Größe ihre umweltbezogenen, sozialen und Governance-Aktivitäten offenlegen. Das würde die Zahl der berichtspflichtigen Firmen von rund 11.000 auf knapp 50.000 in der EU nahezu verfünffachen.

Bisherige Berichterstattung ist nicht optimal

Investoren und Stakeholder sehen Mängel in den Nachhaltigkeitsberichten, die viele Unternehmen schon heute veröffentlichen müssen: Sie seien zu wenig relevant, häufig nicht verlässlich, in den seltensten Fällen vergleichbar und somit nicht geeignet, um nachhaltigkeitsbezogene Risiken bei Investitionen zu berücksichtigen.

Außerdem müsse die EU das Reporting mit weiteren Regulierungen im Rahmen des EU Action Plan on Sustainable Finance und  des Green Deals angleichen, um unter anderem die Anforderungen an Taxonomie-Angaben zu harmonisieren. Eine umfassende Ausweitung und Präzisierung der Berichte soll hier in Verbindung mit neuen, verbindlichen Standards für das Sustainability-Reporting Abhilfe schaffen – und die Berichterstattung vereinheitlichen.

Ist die Kritik an den neuen Vorgaben gerechtfertigt? Fest steht: Vor allem für die neu in den Anwendungsbereich fallenden Unternehmen ist die geplante Einführung der Berichts- und Prüfungspflicht eine große Herausforderung. Auf sie kämen umfangreiche neue Aufgaben zu. Zumal der Zeitplan der EU ambitioniert ist. Nach einer schnellen Verabschiedung und Umsetzung in das jeweilige nationale Recht der Mitgliedsstaaten sollen die Änderungen wie erwähnt bereits für die Berichtsperiode 2023 gelten. Mit dem aktuell vorliegenden Vorschlag wird all das, was für die klassische Finanzberichterstattung gilt, in wenigen Jahren auch für das Sustainability-Reporting verbindlich sein.

Was viele Unternehmen zusätzlich unter Druck setzt: Ihre Berichte sollen Informationen über eine breite Palette von Nachhaltigkeitsthemen enthalten, die die meisten Betriebe kaum oder wenig präzise und nachvollziehbar erfassen. Welche Sozialstandards werden entlang der Lieferkette eingehalten und wie verfolge ich das? Für wie viele CO2-Emissionen ist das Unternehmen verantwortlich – und wo genau entstehen sie? Aus welchen Quellen stammt die Energie, die bei der Produktion zum Einsatz kommt? Welchen Beitrag leiste ich zur Verlangsamung des Klimawandels?

Solche Fragen müssten hundertfach beantwortet werden und sind meist nicht auf Knopfdruck verfügbar. Zudem sollten Firmen sie idealerweise nicht nur beantworten, sondern etwaige Probleme vielmehr bis zum Erscheinen des ersten Sustainability-Berichts auch beseitigen.

Positiv angehen, sofort loslegen und Roadmap erstellen

Und wie sollten sich Unternehmen jetzt verhalten? Abwarten und darauf hoffen, dass die EU die Frist bis zum ersten fälligen Bericht nochmal verschiebt? Darauf würde ich nicht vertrauen. Wenn wir davon ausgehen, dass der Zeitplan der EU wie geplant bestehen bleibt, haben Unternehmen nicht mehr viel Zeit für die Vorbereitung. Besonders dann, wenn sie quasi auf der grünen Wiese und bei null anfangen müssen.

Daher empfehle ich: Unternehmen sollten sich dem Thema mit Schwung annähern und die Chancen nutzen, die die Reporting-Pflicht mit sich bringt. Und sie sollten möglichst bald loslegen, sich Stück für Stück an das Thema herantasten und einen Fahrplan aufstellen. Denn es wird sich nicht alles auf Anhieb perfekt umsetzen lassen.

Das Positive: Mit hoher Wahrscheinlichkeit ergeben sich durch den Blick auf das eigene Unternehmen durch eine andere Brille neue Ansatzpunkte und Verbesserungspotenziale – hinsichtlich der strategischen Ausrichtung, neuer Märkte und Zulieferer, neuer Produkte und Kundensegmente. Auch Möglichkeiten, Prozesse zu verschlanken, Kosten zu senken und das eigene Image zu verbessern, könnten sich auftun.

Denn eins ist sicher: Sustainability entwickelt sich sowohl für Kunden – ob im B2B- oder B2C-Geschäft – als auch für Investoren und Kreditgeber zunehmend zu einem zentralen Entscheidungskriterium für die Wahl einer Dienstleistung, eines Produkts oder eines Invests.

Wünschenswert wären allerdings klare, praxistaugliche Anwendungskriterien, die den Unternehmen und den Investoren das Leben erleichtern. Zumal Vermögensverwalter und Investoren laut einer erst im März verabschiedeten Verordnung zukünftig transparent darstellen müssen, inwieweit sie das Thema Nachhaltigkeit bei der Bewertung von Investments ihrer Kunden berücksichtigen.

Ein Ziel der EU ist es, dass Kapitalanleger nicht mehr in die Aktien oder Anleihen der Unternehmen und Staaten investieren, die es nicht so genau mit den Nachhaltigkeitskriterien nehmen. Parallel gibt es einen Trend bei den Investoren, die gezielt dort investieren wollen, wo nachhaltig, ressourcenschonend, sozial korrekt und nachvollziehbar gewirtschaftet wird. Für Betriebe, die dies nicht transparent nachweisen können, könnten damit die Kreditkosten steigen und Unternehmenswerte sinken.

Nachhaltigkeit als unternehmerischer Erfolgsfaktor

Der Erfolg und die Zukunftsfähigkeit eines Unternehmens werden immer stärker davon abhängen, wie gut es die Sustainability-Themen steuern sowie in die eigene Unternehmens-DNA integrieren – und transparent Auskunft darüber geben kann. Dafür sollten diese Themen in der eigenen Strategie verankert sein. Wer dies nicht tut, läuft Gefahr, auf lange Sicht aus dem Markt gedrängt zu werden.

Nicolette Behncke ist Partnerin und Expertin für Sustainability-Reporting und -Prüfung bei PwC Deutschland.

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