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Sustainable Finance

Standpunkte Greenbashing anstatt Greenwashing ist keine Lösung

Roland Kölsch, Geschäftsführer des FNG-Nachhaltigkeitssiegel-Anbieters Qualitätssicherungsgesellschaft Nachhaltiger Geldanlagen (QNG)
Roland Kölsch, Geschäftsführer des FNG-Nachhaltigkeitssiegel-Anbieters Qualitätssicherungsgesellschaft Nachhaltiger Geldanlagen (QNG) Foto: QNG / Roland Kölsch

Roland Kölsch, Geschäftsführer der Qualitätssicherungsgesellschaft Nachhaltiger Geldanlagen (QNG), warnt davor, durch übertriebene Anforderungen ökosozialen Finanzanlagen keine Chance auf den Kapitalmärkten zu geben – und damit dem Fortschritt bei Klima- und Umweltschutz sowie anderen Nachhaltigkeitszielen einen Rückschlag zu versetzen.

von Roland Kölsch

veröffentlicht am 23.12.2021

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Seit einigen Monaten häufen sich Schlagzeilen wie „Grüne Finanzprodukte helfen Klima nicht“, „Bisher fehlt ein Beweis für die Wirkung nachhaltiger Geldanlagen“, „Nur was mindestens mit den Klimazielen von Paris kompatibel ist, verdient die Bezeichnung nachhaltig“, „Etikettenschwindel des Finanzplatzes“, „Anlagen sollten nur als nachhaltig bezeichnet werden, wenn sie einen messbaren Beitrag zu Nachhaltigkeitszielen leisten“.

Dahinter stehen Kampagnen von Nichtregierungsorganisationen (NGOs), Aussagen von Verbraucherschützern oder Angebote von Informationsportalen. Sie tun dies, um Endverbraucher aufzuklären. Dies ist eine berechtigte und gute Funktion dieser Akteursgruppen, sofern sie sachlich fundiert und orientierungsgebend ist. Aber die Veröffentlichungen sind oft rückwärtsgewandte oder einseitige Sichtweisen auf die Nachhaltigkeit in der Kapitalanlage.

Wie Bill Murray beim täglichen Murmeltiergruß

Die Komplexität von Nachhaltigkeit wird ausgeblendet und oft wissenschaftliche Erkenntnisse ignoriert, teilweise mit falschen Behauptungen – einige Male sogar wider besseren Wissens. Fragwürdig ist umso mehr, wenn Akteure, die noch nie ein Beratungsgespräch mit Erika und Max Mustermann geführt oder einen Fonds gemanagt haben, realitätsferne Forderungen postulieren. Kommt dann noch hinzu, dass individuelle Überzeugungen und subjektives Empfinden dazu führt, mit Allgemeingültigkeitsanspruch vorgeben zu wollen, was in einen Nachhaltigkeitsfonds gehört und was nicht, sind derartige Berichte und Scheinanalysen sogar schädlich, sowohl für die Entwicklung professioneller Standards wie auch für Anlegende selbst, die oftmals in die Irre geführt werden.

Viele Protagonisten, die das Mainstreaming nachhaltigen Investierens mitprägten, fühlen sich aktuell in alte Zeiten zurückgeworfen, da wieder Grundlagen diskutiert werden, ein alleiniger Fokus auf Ausschlusskriterien herrscht oder mit Kontroversen höchst subjektiv umgegangen wird. Man fühlt sich wie Bill Murray beim täglichen Murmeltiergruß. So, wie manche NGO Greenwashing-Vorwürfe schnell zur Hand hat, drängt sich mir die Frage auf, welches „Washing“ manche NGO gerade betreibt.

Beispielsweise setzen eine Studie und ein Bericht einer NGO – verkürzt gesagt – Klimaverträglichkeit mit den sehr anspruchsvollen Zielen des Pariser Klimaabkommens gleich und folgern aus nicht mit damit konformen Investments in Fonds, die allgemein als nachhaltig beworben werden, dass diese Mogelpackungen seien – völlig undifferenziert, ob es sich explizit um Klimafonds oder um weit gefasste Nachhaltigkeitsfonds handelt. Infolgedessen wird ein kompletter Finanzplatz mit Etikettenschwindel-Vorwürfen überzogen. Aber: Klima ist nicht gleich Nachhaltigkeit, und Nachhaltigkeitsfonds sind nicht gleich Klimafonds!

Es gilt, die Vorreiter der Transformation zu unterstützen

Ein massiver Strukturwandel kann nicht von heute auf morgen geschehen, große Bereiche der Realwirtschaft sind weit vom 1,5-Grad-Ziel entfernt. Es gilt, die Vorreiter der Transformation mit deren zukunftsgerichteten Aktivitäten zu unterstützen. Diese Unternehmensaktivitäten und passende Fondskriterien lässt diese Studie allerdings außer Acht – das ist unfair.

Eine andere NGO zielte kürzlich rein auf Portfolio-Holdings ab. Diese wurden bewertet anhand von in Zeitungsartikeln publik gewordenen Kontroversen. Dies ist ein höchst subjektives Vorgehen und sehr selektiv, denn es entspricht nicht der Definition dessen, was einen Nachhaltigkeitsfonds ausmacht. Subjektive Einschätzungen helfen nicht weiter.

Eine allgemein akzeptierte Vorgehensweise kann, um objektivierbar zu sein, nicht auf vereinzelten individuellen Einschätzungen zu „Schweregraden“ von Umwelt- oder Menschenrechtsverstößen basieren oder auf Unternehmensbeispielen mit gemutmaßten oder minimal relevanten Umsatzanteilen, sondern muss möglichst validierte und abgestützte Analysen zur Einschätzung und Bewertung heranziehen. Dafür verarbeiten Nachhaltigkeitsagenturen täglich Hunderte bekannt werdende Kontroversen. Der Unterschied ist, dass diese spezialisierten Expertenorganisationen eine Vielzahl an Analysten, Informationsquellen aus der Zivilgesellschaft, Rohdaten-Lieferanten, Zugänge zu Bilanzen und vor allem eine eigene, konsistente Methodik haben, um zu ihren Schlussfolgerungen zu kommen. 

Informationsportale mit scheinobjektiven Einschätzungen

Anlegende dürfen sich gleichwohl nicht der Illusion hingeben, mit einem Nachhaltigkeitsfonds seien jegliche Verdachtsmomente zu Menschen- und Arbeitsrechtsverstößen kategorisch vermeidbar. Dies muss wegen oft zu hoher Erwartungen an nachhaltige Geldanlagen hier einmal klar gesagt werden. Ganz abwegig wird es, wenn NGO-Vertreter pauschal fordern, dass zum Beispiel Automobilbauer grundsätzlich nichts in Nachhaltigkeitsfonds zu suchen hätten. Oder wenn sie die übliche „Fünf-Prozent-Umsatztoleranz“ als Hintertürchen für ein „Weiter so“ der Fondsmanager:innen darstellen. Diese schon sehr niedrige Schwelle ist meist aus rechtlichen Gründen geboten, da eine Null-Toleranz mangels detaillierter Unternehmensreportings gar nicht verifizierbar wäre und daraus Prospekthaftungsklagen resultieren könnten.

Auch verschiedene Informationsportale zum Vergleich nachhaltiger Fonds sind eher scheinobjektiv. Sie zeigen meist die Quoten kontroverser Unternehmensbeteiligungen an einem bestimmten Stichtag. Das scheint gerade für Privatanlegende ein willkommener Service zu sein und trägt grundsätzlich zu granularer Transparenz bei. Die Krux daran sind aber die Teufel in vielen Details.

So hängt das Ergebnis dieser Portale davon ab, wie die dahinterstehende NGO oder deren ESG-Service-Provider mit Kontroversen umgehen und welche Daten sie auswählen. Es geht nicht nur darum, ab wann von einer Kontroverse gesprochen wird und inwieweit diese validierbar ist, sondern vielmehr um die Breite der Definition, also wie tief Wertschöpfungsketten erfasst sind. Zudem gibt es die Debatte zum „Dual-use“, also der Mehrfachnutzung von Produkten. Beispielsweise werden Unternehmen als „Waffen-Involvement“ kategorisiert, deren Produkte eigentlich anderen Zwecken dienen, aber vom Militär genutzt werden, etwa Logistik, Ausrüstung (samt Kleidung und Nahrung) und IT.

Veraltete Idee nachhaltiger Geldanlagen

Da dieselben Aspekte unterschiedlich bewertet werden, kommt es häufig zu sehr gegenläufigen Darstellungen von „Schmutzquoten“ oder „verbotenen Titeln“ in ein und demselben Fonds. Sicherlich ist jedes Resultat von Fachleuten nachvollziehbar und bei manchen Portalen ist die Methodik irgendwo beschrieben. Aber Erika und Max Mustermann bleiben beim optisch schönen Tool der Portale hängen, um einfach nur Fonds zu screenen, und machen sich wohl kaum die Mühe, die Unterseiten zu konsultieren. Ergo hängt das Urteil über einen Nachhaltigkeitsfonds erheblich von den Ergebnissen einer Onlinesuche ab und an welchem Stichtag man auf das eine oder andere Portal geleitet wird.

Gemeinsam ist allen Beispielen, dass sie an einer veralteten, einseitigen Idee nachhaltiger Geldanlagen festhalten. Meist zeichnen sie ein Bild in Schwarz-Weiß-Logik: etwas ist nachhaltig oder nicht-nachhaltig. Es fehlen die in der Realität existierenden Graustufen. Es gibt viele zivilgesellschaftliche Akteure, die sich mit der Dynamik des Markts für Sustainable Finance mitentwickeln. Andere tun dies nicht. Damit tun sie den Anlegenden kein Gefallen, da sie mit öffentlichkeitswirksamen Auftritten Halbwissen und Fehlinformationen, teils in Kampagnenmanier, verbreiten. Das schadet dem von der EU gewünschten stärkeren Mittelzufluss in nachhaltigkeitsorientierte Kapitalanlagen.

Eine zu enge grüne Auslegung befördert Blasenbildung

Missachtet wird, dass die Vorstellungen der Anlegenden zur Nachhaltigkeit in der Kapitalanlage genauso unterschiedlich und vielfältig sind, wie es das Angebot solcher Finanzprodukte ist. Das wird sich ab Sommer 2022 manifestieren, sobald Finanzberater:innen deren Nachhaltigkeitspräferenzen erfragen müssen. Im Vorfeld schon so zu tun, als wisse man, was das Beste für die Schar der an Nachhaltigkeit interessierten Kleinanlegenden ist, die nicht selten ihren kompletten Spargroschen nachhaltig anlegen möchten und deren Vermögen dann auf einen Schlag den neuen Regeln des um Nachhaltigkeit erweiterten magischen Vierecks entsprechen sollte, wäre eine Bevormundung.

Schlimmer noch: Träfe die laut Studien absehbar starke Nachfrage nach nachhaltigen Geldanlagen auf ein zu restriktives Angebot, ginge es ans Eingemachte des Ersparten. Denn eine zu enge grüne Auslegung, die auf den Status Quo abzielt, würde zu Blasenbildungen führen, vor Verwerfungen sei hier gewarnt. Vor allem aber kann es nur mit dem Blick in den Rückspiegel (Vergangenheit) nicht gelingen, zum nächsten Ziel zu steuern. Das Gros der Szene nachhaltiger Kapitalanlagen ist in der Debatte viel weiter. Anhaltspunkt für Anlegende kann die Typologie wirkungsorientierten Investierens sein, die praxisorientierte Sustainable-Finance-Wissenschaftler 2021 entwickelt haben.

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