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Sustainable Finance

Standpunkte Investieren für Nachhaltigkeit – Trend oder Pflicht?

Juliane Hilf, Partnerin der Kanzlei Freshfields Bruckhaus Deringer
Juliane Hilf, Partnerin der Kanzlei Freshfields Bruckhaus Deringer Foto: Freshfields Bruckhaus Deringer

Wenn die Politik will, dass Investoren Nachhaltigkeitsziele über eine bloße Risikovorsorge hinaus verfolgen, muss sie handeln, meint Juliane Hilf. Auch in der Praxis besteht Nachholbedarf.

von Juliane Hilf

veröffentlicht am 07.10.2021

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Die Zahl der Investoren, die eine nachhaltige Unternehmensstrategie von den Gesellschaften in ihren Portfolios fordern, wächst. Climate Action 100+, ein Netzwerk von 615 Großanlegern, die über 55 Billionen Dollar verantworten, verlangen die konsequente Ausrichtung an den Nachhaltigkeitszielen des Pariser Klimaschutzabkommens; in der Net Zero Asset Managers Initiative und der Net Zero Asset Owner Alliance haben sich jeweils mehr als 40 institutionelle Investoren sowie Vermögensverwalter verpflichtet, bis 2050 ihr Portfolio klimaneutral auszurichten; zuletzt hat dies auch der kalifornische Pensionsfonds für Lehrer (California State Teachers Retirement System) angekündigt, der allein 310 Milliarden US-Dollar verwaltet.

Noch vor zehn Jahren spielte Nachhaltigkeit im Finanzsektor praktisch keine Rolle; heute ist sie Teil der Unternehmenswirklichkeit. ESG-Kriterien sind bei Investitionsentscheidungen zu berücksichtigen. Im Zentrum steht hier zunächst die Risikovorsorge. Aber wenn der Finanzmarkt den Strukturwandel der Realwirtschaft unterstützen soll – wie es der Abschlussbericht des Sustainable-Finance-Beirats der Bundesregierung mit dem Titel „Shifting the trillions – ein nachhaltiges Finanzsystem für die große Transformation“ vom Frühjahr deutlich macht – dann wären über eine reine Risikovorsorge hinaus Investitionsstrategien ganz grundsätzlich an Nachhaltigkeitszielen auszurichten. Man spricht von „investing for sustainability impact“ (Ifsi).

Aber gibt es dafür überhaupt eine rechtliche Grundlage? Beschränkt sich diese auf Produkte, die konkret zum Beispiel als „grüne“ Fonds aufgelegt werden, oder bestehen weitergehende Handlungsmöglichkeiten und -pflichten? Welche Hindernisse bestehen für Ifsi?

Unsere Analyse für die Finanzinitiative des Umweltprogramms der Vereinten Nationen, Principles for Responsible Investment und The Generation Foundation zu den rechtlichen Rahmenbedingungen in elf Ländern zeigt ein gemischtes Bild. Selbstverständlich ist nach wie vor das Erwirtschaften einer Rendite als primäres Ziel eines jeden Investors rechtlich verankert. Grundsätzlich gilt: Dient die Investition in nachhaltige Unternehmen letztlich im Sinne einer klassischen Risikovorsorge dem Ziel, für die Anleger eine Rendite zu erzielen, also als Mittel zum Zweck, ist dies in allen untersuchten Jurisdiktionen vom geltenden Recht gedeckt („Instrumental Ifsi“).

Je deutlicher ökologische und gesellschaftliche Entwicklungen negative Auswirkungen auf die Rendite haben (können), umso eher sind institutionelle Investoren und Vermögensverwalter sogar rechtlich verpflichtet zu handeln. Am deutlichsten – und durch wissenschaftliche Studien unterlegt – ist dies beim Klimawandel. In bestimmten Konstellationen ist die Investitionsstrategie als solche auf entsprechende Nachhaltigkeitsziele auszurichten – und muss sich nicht auf das Entwickeln spezifisch grüner Produkte beschränken. Hier besteht in der Praxis Nachholbedarf.

Verfolgt ein Anleger Nachhaltigkeit als eigenes selbständiges Ziel neben dem Erwirtschaften einer Rendite („ultimate ends Ifsi“), ist das Bild nicht so klar. In den meisten Jurisdiktionen dürfte dies möglich sein; jedenfalls dann, wenn sich das Verfolgen des Nachhaltigkeitsziels nicht negativ auf die Rendite auswirkt. Grundsätzlich gilt: Je transparenter das Nachhaltigkeitsziel gegenüber den Anlegern gemacht ist und/oder je deutlicher diese ihre diesbezüglichen Anlagepräferenzen geäußert haben, desto eher ist eine solche Strategie heute rechtlich möglich oder gar erforderlich.

Nachhaltigkeitsrisiken sind regelmäßig systemische Risiken, in denen Handlungen Einzelner weniger effektiv sein dürften als kollektives Handeln. Bei einem gemeinsamen Vorgehen von Investoren sind die Grenzen des Wettbewerbsrechts relevant; hier könnten rechtliche Klarstellungen kollektives Handeln erleichtern. Sogenanntes Greenwashing kann nur dann vermieden werden, wenn der Beitrag zu den Nachhaltigkeitszielen auch nachvollziehbar – idealerweise messbar – ist. Die Initiativen der EU-Kommission für die Taxonomie und Offenlegungspflichten sowie der Finanzaufsicht Bafin zur Entwicklung einer Richtlinie für nachhaltige Investmentvermögen sind hier sicher Schritte in die richtige Richtung.

Europa ist zwar Vorreiter bei der Einbindung von Nachhaltigkeit in den Finanzsektor. Aber der Finanzsektor kann nur dann umfassender als bisher zum gewünschten Strukturwandel beitragen, wenn er einen soliden Rahmen erhält, um Nachhaltigkeitsstrategien rechtssicher verfolgen zu können. Detaillierte Vorschriften zu Finanzprodukten, Offenlegungspflichten und Taxonomie leisten hierzu einen wertvollen Beitrag. Sie sind jedoch kein Selbstzweck. Vielmehr setzen diese Regelungen voraus, dass Investitionsstrategien rechtssicher an Nachhaltigkeitszielen ausgerichtet werden können oder müssen. Hier fehlt es derzeit noch an klaren Vorgaben. Wenn politische Anreize gesetzt werden sollen, im Finanzsektor Nachhaltigkeitsziele auch über eine bloße Risikovorsorge hinaus zu verfolgen, besteht Handlungsbedarf.

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