Die Lage auf dem Energiemarkt ist angespannt. Die öffentliche Debatte wird erhitzt geführt, denn es um geht um Wärme, Mobilität, Licht und auch manchen um den 82-Zoll-Flatscreen. Für Verkehrsunternehmen, denen Möglichkeiten zur Weitergabe gestiegener Energiepreise an ihre Kunden fehlen, geht es aber dabei schnell ums Ganze. Im Güterverkehr ist die Ampelkoalition mit ihrem zweiten Energie-Hilfspaket jetzt dabei, viel Vertrauen zu zerschlagen in einen langfristigen klimafreundlichen Kurs. Denn die kürzlich vorgestellten Subventionspläne für das Tanken von Benzin und Diesel machen ausgerechnet die klimaneutralen Transportangebote der Bahnen unattraktiv. Das wird für noch stärker steigende CO2-Emissionen sorgen.
Stromtarife stärker gestiegen als Dieselpreise
Während der Dieselpreis noch Anfang 2021 nominal unter dem Niveau von 2012 lag, stieg er seitdem binnen eines Jahres um gut 30 Prozent an. Im längst elektromobilen Eisenbahnsektor – 95 Prozent der Güterverkehrsleistung auf der Schiene werden mit Strom erbracht – waren die Bahnstrompreise zwischen 2012 und Jahresbeginn 2021 kontinuierlich um insgesamt 50 Prozent angestiegen. Die immer wieder geäußerten Mahnungen aus der Branche, dass stetig neu eingeführte Stromabgaben die Wettbewerbsfähigkeit des Schienenverkehrs gegenüber dem dieselangetriebenen Lkw belasteten – und damit die Idee der Verkehrsverlagerung unterlaufen –, beeindruckte die Politik nicht.
Seit gut einem Jahr geht die Kostenschere zwischen Diesel für die Straße und Strom für die Schiene nun richtig weit auf. Im Jahr 2021 sind die Preise an der Strombörse um etwa 100 Prozent gestiegen, was von Expert:innen zunächst als post-pandemischer konjunktureller Effekt bewertet wurde. Seit Herbst 2021 sind die Strompreise aber förmlich explodiert: Ende Februar wurde beispielsweise für Stromlieferungen im Jahr 2024 das Vierfache des Preises von Anfang 2021 verlangt. Der Krieg in der Ukraine und die darauf gestiegenen Gaspreise werden zwar zumeist als Grund dafür genannt, Krisengewinne bei Erzeugung und Handel von Strom dürften dafür aber zumindest mit ein Grund sein.
Klimafreundliche Eisenbahn bleibt außen vor
Ende März wurden die Güterbahnen von der Illusion befreit, die Ampel-Regierung suche nach passenden Hilfsmaßnahmen für den gesamten Transportsektor. Statt ihren eigenen Klimaschutzzielen, den Vereinbarungen des Koalitionsvertrags und den akut in Existenznöten steckenden Menschen und Unternehmen gerecht zu werden, wurde mit der angekündigten dreimonatigen Absenkung der Steuer auf Diesel um 14 Cent pro Liter eine „One Size Fits All“-Lösung für Pkw und Lkw eingetütet, bei der ausgerechnet die klimafreundliche Eisenbahn außen vor bleibt. Die Schiene wird stattdessen mit der Abschaffung der EEG-Umlage abgespeist, was gerade einmal 0,7 Cent pro Kilowattstunde oder 2,5 Prozent des aktuellen Bahnstrompreises ausmacht.
Zwar ist der von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck angekündigte schnellere Ausbau erneuerbarer Energien völlig richtig, aber kein geeigneter Trost für Güterbahnen, die heute ein ums andere Mal aus dem Markt gepreist und damit ruiniert werden.
Eine Befragung des NEE unter den Güterbahnen im Februar 2022 zeigte, dass etwa 80 Prozent der Unternehmen eine problematische bis existentiell bedrohliche Steigerung der Beschaffungskosten beim Bahnstrom erfahren haben. Im Durchschnitt gehen sie von einer Verdoppelung der Kosten für den Bahnstrom im Jahr 2022 gegenüber dem Vorjahr aus – einzelne Unternehmen rechnen sogar mit mehr als einer Verdreifachung. Die grundsätzlich naheliegende Weitergabe der Kosten ist nur äußerst eingeschränkt möglich, da erhöhte Kosten häufig dazu führen, dass die Kunden sich nach einer Alternative umschauen – die Verlagerung der Transporte auf den Lkw ist ein sehr reales Szenario.
Eine Rückkehr zur Diesellokomotive droht
Die Gießkannenlösung der Regierung kostet im schlimmsten Fall einfach nur viel Geld und schafft selbst auf der Empfängerseite keine Entlastung. Stattdessen sollte die Ampel die Chance nutzen und die Entlastung so gestalten, dass sie ihre eigenen Ziele beim Klimaschutz unterstützt. In Not geratenen Unternehmen und Bürger:innen müsste gezielt geholfen werden, und zwar unabhängig vom Verkehrsmittel. Stattdessen fördert die Bundesregierung mit ihrem Entlastungspaket wissentlich und gegen ihr eigenes Ziel im Koalitionsvertrag, bis 2030 für den Schienengüterverkehr 25 Prozent Marktanteil zu erreichen, den dieselgetriebenen Lkw-Verkehr unabhängig von jeder Bedürftigkeit.
Sie signalisiert, dass Energiesparen, etwa durch die Einhaltung des geltenden Lkw-Tempolimits oder den Umstieg auf die Schiene, nicht sein müsse und sie lässt den Klimasündern auf der Straße so viel Steuern nach, wie die mühsam eingeführte CO2-Abgabe erst im Jahr 2024 einbringen soll. Selbst auf der Schiene wird über eine Rückkehr zu Diesellokomotiven spekuliert.
Indirekt unterminiert das Vorgehen auch das Vertrauen darin, dass die Regierung es mit dem Einsatz klimafreundlicherer Lkw-Antriebe wirklich ernst meint. Gegen billigen Diesel haben nämlich auch die neuen Technologien für die Straße keine Chance. Nun soll das alles angeblich nur für drei Monate gelten – warten wir es ab.
Fünf Milliarden Euro jährlich für Steuerprivileg
Das 1991 von der früheren CDU-geführten Regierung Kohl eingeführte Steuerprivileg in Höhe von 18,4 Cent pro Liter Diesel wurde erst kürzlich vom Bundesrechnungshof als kontraproduktive Subvention aufgeführt, die den Staat beziehungsweise die Steuerzahler allein im Güterverkehr rund fünf Milliarden Euro pro Jahr kostet. Im Koalitionsvertrag war nur angedeutet, dass der Abbau dieser Subvention im Zuge der neuen EU-Energiesteuerrichtlinie kommen könnte, bei der die Europäische Kommission für einheitliche Steuersätze sowohl für Benzin als auch Diesel plädiert.
Jetzt aber hat die Ampel das Gegenteil beschlossen: Sie hat dem ungleich stärker von Energiepreissteigerungen betroffenen Schienengüterverkehr eine Entlastung verweigert. Zudem hat die Bundesregierung auch keine weiteren Maßnahmen in Betracht gezogen, die den Gütertransport auf der Schiene eine mehr als überfällige Entlastung bringen würde – wie etwa die Ausdehnung der Lkw-Maut auf alle Straßen unabhängig von der Antriebsart, eine bessere Missbrauchskontrolle der Behörden für die gewerblichen Strommärkte, die schnellere Anhebung der CO2-Abgabe für den Verkehrssektor oder eine Korrektur der Regulierung der Bahnstromnetze, damit endlich „individuelle Netzentgelte“ möglich werden.
Bei der nächsten Krise erneut ins Schlingern
Der Güterverkehr ist für fast ein Drittel der verkehrsbezogenen Treibhausgasemissionen verantwortlich – und 96 Prozent davon entstammen dem Lkw-Verkehr, der immer weiter wächst. Ohne konsequente Minderungsstrategien auch für den Gütertransport sind die Klimaziele im Verkehr nicht erreichbar.
Verlagerung auf die Schiene ist gelebter Klimaschutz, ist das Loslösen von fossilen Energieträgern, ist Unabhängigkeit von weltpolitischen Lagen, wie wir sie derzeit eindringlich in der Ukraine sehen. Diese Chance sollte die Ampelkoalition im Blick haben, statt kurzfristige Entscheidungen zu treffen, die uns nicht voranbringen und uns bei der nächsten Krise nur wieder erneut ins Schlingern bringen werden.