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Sustainable Finance

Standpunkte Wie ein Abschied vom Wachstum gelingen kann

Klaus Willemsen, Initiative für Natürliche Wirtschaftsordnung (Inwo), ist Autor des Fairconomy-Blogs
Klaus Willemsen, Initiative für Natürliche Wirtschaftsordnung (Inwo), ist Autor des Fairconomy-Blogs Foto: privat

Zinsen und damit verknüpfte Renditeerwartungen bestimmen maßgeblich darüber, ob es gelingt, den Klimawandel einzudämmen. Das schreibt Klaus Willemsen von der Initiative für Natürliche Wirtschaftsordnung (Inwo) und Autor des Fairconomy-Blogs der Organisation in seinem Standpunkt-Gastbeitrag. Er fordert eine Negativzinspolitik der Notenbanken, um Refinanzierungsbedingungen nachhaltiger Investitionen zu verbessern und ein sozial ausgewogenes Schrumpfen von Volkswirtschaften möglich zu machen.

von Klaus Willemsen

veröffentlicht am 24.08.2023

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In Diskussionen über nachhaltiges Wirtschaften wird nur selten über einen „Abschied vom Wachstum“ gesprochen. Faktisch gibt es kaum Untersuchungen, wie ein volkswirtschaftlicher Schrumpfungsprozess funktionieren könnte. Viele Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler fordern zwar mittlerweile tiefe strukturelle Veränderungen, um den fortschreitenden Klimawandel wenigstens zu bremsen. Doch trotz gravierendster Konsequenzen stellen wir fest, politisch und ökonomisch gibt es keine durchschlagenden Veränderungen und keine Abkehr vom Wachstum.

Dabei gibt es ausreichend ökonomische Argumente dafür, dass ein Handeln heute bei weitem günstiger ist, als die Folgen des Nicht-Handelns in einigen Jahren tragen zu müssen. Dennoch scheint Wirtschaftswachstum weiterhin wichtiger zu sein als ein konsequenter Schutz der Umwelt und damit der natürlichen Grundlagen des Lebens auf der Erde.

Renditeerwartungen als Problem

An einem wesentlichen Punkt der Argumentationskette für verantwortliches Handeln brechen Umweltverbände, Wissenschaftler:innen, Politiker:innen und Journalist:innen ab. Nämlich bei der Frage: Warum investieren wir weiter weltweit Billionen von Euro oder US-Dollar in destruktive Industrien, wohl wissend, dass diese unseren Planeten nachhaltig zerstören? Dabei ist die Antwort offensichtlich: Für Investitionsentscheidungen zählen in erster Linie eine positive Rendite für das zu investierende Kapital. Andere Kriterien sind für Investoren nachrangig. Zudem müssen die Renditen für billionenschwere Geldvermögen in der Regel relativ kurzfristig fällig werden. Einsparungen in der Zukunft sind für die meisten Investoren nachrangig.

Eine maßgebliche und wirkmächtige Orientierungsgröße für die Renditeerwartungen der Investoren sind dabei die Zinssätze an den Kapitalmärkten. Das Finanzkapital und dessen Spielregeln entscheiden darüber, ob und wie sich der Globus verändern wird.

Die Investitionsentscheidungen der Vermögensverwalter sind dabei viel wirkmächtiger als individuelle Abwägungen von Millionen Konsumentinnen und Konsumenten, ob sie zum Beispiel ein Auto kaufen oder ob die Lebensmittel im Supermarkt aus ökologisch nachhaltigen Betrieben stammen oder nicht. Neben den oft als Beispiel für Politikbeeinflussung genannten Automobillobbyisten spielen Vertreter der Finanzbranche eine entscheidende Rolle. Sie haben durchaus einen guten Grund: Tatsächlich bietet die Ökonomie derzeit kein plausibles Modell, wie etwa ein börsennotierter Automobilkonzern mit geringerer Stückzahl und kleineren Autos – sprich bei sinkendem Umsatz und mit geringer werdenden Gewinnen – auf Dauer existieren kann.

Wurzel der Wachstumsdynamik

Seit Jahrzehnten wachsen die privaten Geldvermögen und damit die Assets under Management (parallel dazu die öffentlichen Schulden) mit durchschnittlich deutlich mehr als drei Prozent pro Jahr an, wie die Zahlen zeigen. Alle 25 Jahre hat sich die Summe, die Vermögensverwalter in lukrative Projekte investieren, mehr als verdoppelt. Mit jedem Anwachsen dieses Kapitals nehmen auch Macht und Einfluss seiner Besitzer:innen und Verwalter:innen auf Politik und Gesellschaft zu. Jeder Mensch aber, der sich einmal mit exponentiellen Wachstumsverläufen – zu denen auch positive Zinssätze gehören – beschäftigt hat, weiß um die Dynamik solcher Entwicklungen. Dennoch gibt es so gut wie keine öffentliche Kritik oder Diskussion über alternative Ansätze für die Geldpolitik. Kritik an der traditionellen Zinspolitik, wie sie aktuell auch wieder von der Europäischen Zentralbank betrieben wird, findet in den Medien allenfalls im Feuilleton statt. Wenn überhaupt.

Bis 2014 wurde die Möglichkeit, Geldvermögen und Schulden negativ zu verzinsen, weitgehend geleugnet. Dank des mutigen Agierens einiger Zentralbankerinnen und Zentralbanker, auch in der EZB, ist mittlerweile nicht nur erwiesen, dass selbst internationales Kapital bei Nullwachstum oder wirtschaftlichen Schrumpfungsprozessen auch negativ verzinst werden kann. Die Nullzinspolitik der EZB hat darüber hinaus auch gezeigt, dass damit viele Arbeitsplätze neu entstehen können und Geschäftsmodelle lukrativ werden, die für die Energie- und Klimawende entscheidend sind.

Negative Zinsen ausschlaggebend für Systemwechsel

Der Schlüssel zu einem nachhaltigen Gesellschaftssystem liegt in der Umkehr des exponentiellen Wachstums der Geldvermögen. Und diese Umkehr kann nur mit einer im Schnitt dauerhaft negativen Verzinsung von Geldvermögen und Schulden gelingen. Nur eine Negativzins-Geldpolitik kann den Druck auf das globale Ökosystem nachhaltig und entscheidend verringern und Spielraum für alle weiteren notwendigen Schritte schaffen. Statt aber den über viele Jahre bereits beschrittenen Pfad der Minuszins- oder Nullzins-Politik konsequent fortzuführen, heben die Notenbanken aktuell, unter dem Mantra der Inflationsbekämpfung, weltweit die Leitzinsen massiv an.

Die gesellschaftlichen Effekte einer im Sinne der Bewahrung des Planeten konstruktiven Geldpolitik lassen sich wie folgt zusammenfassen: Mit sinkenden Zinsen

  • kann das übersteigerte Volumen der Geldvermögen zurückgehen und damit auch die Überschuldung insbesondere der öffentlichen Haushalte;
  • verringern sich die Diskrepanzen zwischen Arbeit und Besitz, Arm und Reich und damit auch soziale Spannungen, weil eine Umverteilung von Kaufkraft zumindest über das Geldsystem nicht oder kaum mehr stattfindet;
  • werden tendenziell alle Schulden trag- und rückzahlbar, was nicht nur für die Entwicklungs- und Schwellenländer von Bedeutung ist;
  • geht der in Marktwirtschaften bisher verankerte Zwang zum Wirtschaftswachstum zurück, mit dem sich heute allein die Verarmung der Arbeit leistenden Menschen verhindern lässt;
  • wird die Entwicklung der Wirtschaft zunehmend von den Interessen der nachfragenden und arbeitenden Menschen bestimmt, zugleich immer weniger von den (Zins-)Interessen der Vermögenden;
  • wird – und das ist ganz entscheidend – ein Wirtschaften ohne Wachstum überhaupt erst möglich.

Für das Gelingen der Klimawende und für den Einstieg in eine wachstumsneutrale Weltwirtschaft ist es  entscheidend, das Wachstum der Finanzvermögen umzukehren. Nur so wird man den Spielraum für soziale Gerechtigkeit und ökologische Notwendigkeiten dauerhaft vergrößern können. Es gilt, den finanziellen Rahmen unserer ansonsten agilen und anpassungsfähigen Marktwirtschaft zu verändern. Sie ist der Schlüssel für die dringend notwendige Trendumkehr hin zur Bewahrung der Natur und damit unserer Lebensgrundlagen.

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