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Sustainable Finance

Standpunkte Wie Finanzinstitute klimafreundlich werden

Leonie Ederli Fickinger, Projektmanagerin Sustainable Finance beim WWF Deutschland
Leonie Ederli Fickinger, Projektmanagerin Sustainable Finance beim WWF Deutschland Foto: WWF

Nach dem Ob geht es nun um das Wie: 130.000 Milliarden US-Dollar wollen 450 Finanzinstitutionen so anlegen, dass 2050 Treibhausgasneutralität erreicht wird. Dafür benötigen sie klare wissenschaftlich fundierte Kennziffern und Methoden für die Kompatibilität ihrer Portfolios mit den Klimaschutzzielen. Einen ersten Aufschlag hat die Finanzwirtschaft selbst vorgelegt – doch es drohen drei große Fallstricke, warnt Leonie Ederli Fickinger, Projektmanagerin Sustainable Finance beim WWF Deutschland.

von Leonie Ederli Fickinger

veröffentlicht am 03.03.2022

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Auf der COP26 haben sich 450 Finanzinstitutionen im Rahmen der Glasgow Financial Alliance for Net Zero (GFANZ) zu Netto-Null-Zielen verpflichtet. Zusammen verwalten sie ein Vermögen von über 130 Billionen US-Dollar. Um sicherzustellen, dass dieses Vermögen auch tatsächlich für eine treibhausgasneutrale Zukunft eingesetzt wird, müssen Finanzunternehmen die Ausrichtung ihrer Portfolios an den Pariser Klimaschutzzielen mithilfe robuster und wissenschaftsbasierter Methoden messen. Aus gutem Grund dominieren inzwischen also technische Fragen die Debatte.

Vielzahl von Erwärmungspfaden erforderlich

Einen ersten technischen Leitfaden hat das Portfolio Alignment Team (PAT), eine Gruppe von Finanzinstitutionen, im Auftrag der Task Force on Climate-related Financial Disclosures (TCFD) veröffentlicht. Der PAT Technical Report nimmt die derzeit genutzten Praktiken unter die Lupe mit dem Ziel, eine möglichst einheitliche Grundlage für die Bewertung der Finanzportfolios und das entsprechende Berichtswesen zu schaffen. Der PAT-Leitfaden enthält aber einige fragwürdige Empfehlungen, die den wissenschaftlichfundierten Weg zu Netto-Null verlassen könnten.

Drei Punkte müssen besonders beachtet und vertieft werden, bevor die Leitlinien durch die GFANZ übernommen werden: erstens die Frage, wie viele Klimaszenarien zur Erstellung von Benchmarks verwendet werden sollen; zweitens die Rolle, die Finanzinstitutionen bei der Schließung von Emissionsdatenlücken spielen; und drittens die begrenzte Aussagekraft von ökonomischen Intensitätskennzahlen.

Wer wissen möchte, ob eine Portfolio-Ausrichtung mit den Pariser Temperaturzielen vereinbar ist, sollte möglichst eine Vielzahl an potenziellen Erderwärmungspfaden berücksichtigen (Multi-Szenario-Ansatz). Der Abgleich mit multiplen Szenarien und einem entsprechend breiteren Datensatz lässt nicht nur robustere Unternehmens- und Portfoliobewertungen zu, sondern fördert auch deren Vergleichbarkeit.

Kapitalempfänger müssen Emissionen offenlegen

Zugegeben, die Modellierung mehrerer Szenarien ist komplex. Doch droht ein vereinfachter Bewertungsansatz mit nur einem Szenario bestenfalls eine stark vereinfachte und schlimmstenfalls eine völlig falsche Einschätzung zu vermitteln – und alle Bemühungen der Finanzwirtschaft in Richtung Netto-Null zu untergraben.

Freilich kommt es nicht allein auf die Anzahl der Szenarien, sondern auch auf deren Güte an. Methodenentwickler sollten sich daher bei der Szenario-Auswahl von den Klimavorgaben des Pariser Abkommens leiten lassen – die Science Based Targets Initiative (SBTI) gibt hier Orientierung.

Insbesondere bei Finanzinstituten liegt der Großteil der Klimaauswirkungen im Bereich der Kapitalvergabe. Gerade deshalb ist es wichtig, dass die Institute – trotz der noch vorhandenen Schwierigkeiten – auf all ihre Kapitalempfänger einwirken, damit auch diese ihre Emissionen offenlegen. Eine Beschränkung zunächst auf einzelne Kernsektoren würde die Verfügbarkeit und Qualität umfassender Emissionsdaten zumindest kurz- und mittelfristig limitieren. Eine valide Abschätzung der aggregierten (finanzierten) Emissionen und ihrer Folgen wäre dann kaum oder nur verzerrt möglich – doch genau eine solche Abschätzung ist Grundlage vieler nachhaltiger Investmentstrategien.

Absolute Emissionsverringerung entscheidend

Bei der Benchmark-Konstruktion und der Portfolio-Analyse sollten Messkennzahlen verwendet werden, die tatsächliche (das heißt absolute) Emissionsverringerungen nachweisen und dadurch wirksame Steuerungsmöglichkeiten bieten. Um weiterhin externes Wachstum zu ermöglichen, plädieren einige zwar für den Rückgriff auf relative Kennzahlen, die zum Beispiel die ökonomische Emissionsintensität messen. Die Verwendung ausschließlich solcher Messgrößen würde aber die tatsächliche Treibhausgassteigerung aus dem Blick verlieren und klimaschädliche Investitionen weiter zulassen.

Der Weg zur Klimaneutralität ist herausfordernd; umso wichtiger ist es, dass die begonnenen Bemühungen intensiviert und dem Netto-Null-Ziel gerecht werden. Bei aller Freude über die bisher entstandene Dynamik darf nicht übersehen werden, dass nach einer hoffentlich baldigen Einigung auf ambitionierte und möglichst einheitliche Bewertungsmethoden ein zweites und ebenso wichtiges „Wie“ geklärt werden muss – nämlich wie auch auf Basis dieser Methoden eine konkrete Netto-Null-Strategie konzipiert und realisiert werden kann.

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