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Gesundheit & E-Health

Standpunkte EU greift zunehmend ein

Wieland Schinnenburg ist FDP-Abgeordneter, Zahnarzt und Rechtsanwalt
Wieland Schinnenburg ist FDP-Abgeordneter, Zahnarzt und Rechtsanwalt Foto: Christian Wehry

Eigentlich ist die EU für den Bereich der Gesundheitspolitik nicht zuständig, schreibt der FDP-Bundestagsabgeordnete Wieland Schinnenburg in seinem Standpunkt. Doch das Beispiel des „Health Technology Assessment“ zeige, dass das in der Praxis anders aussieht.

von Wieland Schinnenburg

veröffentlicht am 08.07.2020

aktualisiert am 19.07.2022

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Eigentlich ist es ganz einfach: Nach Art. 168 Abs. 7 AEUV (Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union) haben die Mitgliedstaaten die Verantwortung „für die Festlegung ihrer Gesundheitspolitik sowie für die Organisation des Gesundheitswesens und die medizinische Versorgung“. Die EU scheint also im Bereich der Gesundheitspolitik nicht zuständig zu sein. Bestenfalls kann sie für einen Austausch von Informationen sorgen oder sonst unterstützend tätig werden. Eine solche Kompetenzverteilung ist auch sinnvoll, da das Volkseinkommen in den einzelnen Mitgliedstaaten immer noch sehr unterschiedlich ist. So betrug das BIP in Deutschland pro Kopf 40.852 Euro, in Bulgarien nur 7.800 Euro. Das bedeutet: Bulgarien und einige andere Mitgliedstaaten können sich solche Gesundheitsausgaben pro Kopf wie Deutschland sie tätigt (2018: 4.544 Euro pro Kopf) nicht leisten (2018 waren es 630 Euro pro Kopf). Umgekehrt würde es kein Deutscher akzeptieren, wenn für ihn nur die bulgarischen Leistungen zur Verfügung stehen würden. 

In der Praxis geht der Einfluss der EU über den beschriebenen Grundsatz hinaus. Dies ist teilweise naheliegend: Wer außer der EU kann regeln, wie grenzüberschreitende Gesundheitsversorgung funktionieren soll? In einem zusammenwachsenden Europa muss es möglich sein, sich in einem anderen Mitgliedstaat behandeln zu lassen, zum Beispiel wenn man dort erlaubterweise dort arbeitet. Hierzu kann dann nicht nur die Regelung des Zahlungsflusses gehören, es muss meines Erachtens auch ein Mindeststandard an Patientenrechten gehören. Solche Überlegungen rechtfertigen allerdings nicht Eingriffe der EU in die Behandlung von Deutschen in Deutschland.  

Die EU hat allerdings auch insofern schon Regelungen erlassen. An erster Stelle ist die Europäische Arzneimittel-Agentur EMA zu nennen. Diese ist zuständig für die Zulassung und die Überwachung von Arzneimitteln in der EU. Unternehmen beantragen dort eine einzige Genehmigung für das Inverkehrbringen, diese erlaubt dann den Vertrieb in der gesamten EU. Diese Kompetenz der EMA wird aus dem europäischen Binnenmarkt abgeleitet, schließlich handelt es sich bei Arzneimitteln um Waren – wenn auch besonders sensible. Eine solche Zuständigkeit der EU ist auch sinnvoll, schließlich ist ein Arzneimittel entweder unbedenklich oder nicht. Und deutsche Körper sind genauso empfindlich gegen mögliche gefährliche Arzneimittel wie bulgarische… 

Nutzenbewertung im Kostenverhältnis

Spannend wird es nun, wenn es nicht mehr nur um die (Un-) Gefährlichkeit eines Arzneimittels geht, sondern um deren medizinischen Nutzen – auch im Verhältnis zu seinen Kosten. Kommt man zum Ergebnis, dass der Nutzen die Kosten weit überwiegt, liegt es nahe, den betreffenden Patienten einen Anspruch auf Erstattung der entstehenden Kosten einzuräumen. Diese belasten dann die nationalen Gesundheitsbudgets – die eben in den einzelnen Ländern sehr unterschiedlich sind. Genau diese Gefahr besteht durch eine Initiative der EU-Kommission: Sie den Entwurf für eine Verordnung zur umfassenden Nutzenbewertung „Health Technology Assessment“ (HTA) vorgelegt. Deren Ergebnisse sollen für die Mitgliedstaaten verpflichtend sein. Auf Antrag von CDU/CSU, SPD, FDP und Bündnis90/Grüne hat der Bundestag eine so genannte Subsidiaritätsrüge erhoben; also gerügt, dass die EU damit ihre Kompetenzen überschreite. Leider fand sich in den anderen EU-Ländern keine ausreichende Unterstützung, sodass der Erlass einer solchen Verordnung weiter droht. 

Spätestens seit diesem Vorstoß ist es dringend erforderlich, dass die Bundesregierung ein Konzept entwickelt und mit den europäischen Partnern abstimmt, wie die Kompetenzen zwischen der EU und den Mitgliedstaaten im Bereich Gesundheitspolitik abgestimmt werden. Hierzu habe ich eine Kleine Anfrage an die Bundesregierung gestellt, deren Antwort vorliegt und leider völlig unbefriedigend ist. 

Es gibt kein solches Konzept und es gab keine entsprechenden Beratungen und wird auch keine geben. Vielmehr gebe es nur „einzelfallbezogene Gespräche“ sowie Regelungen innerhalb der Gemeinsamen Geschäftsordnung der Bundesministerien (GGO), wie Vorhaben der EU auf Verstöße gegen das Subsidiaritätsprinzip geprüft werden. Eine solche Prüfung ist natürlich in jedem Einzelfall nötig. Dies reicht jedoch nicht aus. Wir brauchen ein mit den anderen Mitgliedstaaten abgestimmtes Konzept, das auch eine gegenseitige Abstimmung – besser Alarmierung – vorsieht, denn die Subsidiaritätsrüge muss innerhalb von zwei Monaten erhoben werden. Wenn man andere Mitgliedstaaten ins Boot holen will, damit diese innerhalb der Frist ebenfalls eine Subsidiaritätsrüge erheben, müssen diese frühzeitig aufgrund eines vereinbarten Bewertungsmaßstabes informiert werden. 

Natürlich kann die EU auch in der Gesundheitspolitik Hilfe leisten. Die Bundesregierung muss aber viel mehr tun, um Kompetenzüberschreitungen der EU zu verhindern.

Wieland Schinnenburg ist Mitglied im Deutschen Bundestag und Sprecher der FDP-Fraktion für Sucht- und Drogenpolitik. Der Zahnarzt und Rechtsanwalt gehörte von 2011 bis 2017 der Hamburgischen Bürgerschaft an.

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