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Gesundheit & E-Health

Standpunkte Triage und Error

Oliver Tolmein, Prozessvertreter der Triage-Beschwerdeführer
Oliver Tolmein, Prozessvertreter der Triage-Beschwerdeführer Foto: Kanzlei Menschen und Rechte

Auch der dritte Gesetzentwurf aus dem Haus von Gesundheitsminister Lauterbach zur Triage in der Pandemie überzeugt nicht, beklagt der Medizinrechtler Oliver Tolmein. Die Ex-Post-Triage werde zwar explizit ausgeschlossen. Zugleich aber ducke sich der Gesetzgeber weg und lasse offen, was ein – von ihm realistischerweise für denkbar gehaltener – Verstoß gegen seine Regelung strafrechtlich für Konsequenzen haben soll.

von Oliver Tolmein

veröffentlicht am 13.06.2022

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Gut Ding will Weile haben, weiß der Volksmund – und angesichts der kurzen Abfolge von Gesetzentwürfen zum Thema Triage, mit der das Bundesgesundheitsministerium versucht, eine Regelung herbeizuführen, die nicht sofort durchfällt, hätte man erwarten können, dass aller guten Dinge drei sind.

Es machte allerdings schon stutzig, dass der dritte Entwurf aus dem Hause Lauterbach, den der dort als beamteter Staatssekretär seit 2019 tätige Jurist und Finanzexperte Thomas Steffen am Freitag vorab (und ein bisschen stolz) Wohlfahrts- und Fachverbänden sowie Selbstvertretungsorganisationen von Menschen mit Behinderungen präsentierte, nicht in Gänze, sondern nur als knapper Auszug vorgelegt wurde. Wegen der Kurzfristigkeit der Einladung, so soll es der Staatssekretär erläutert haben, habe man es den Eingeladenen nicht zumuten wollen, den vollständigen, 22 Seiten langen Gesetzentwurf lesen zu müssen. Stattdessen gab es eine einzige Seite: den bloßen Wortlaut des § 5c Infektionsschutzgesetz (der künftig dem § 5b „Schutzmasken in der Nationalen Reserve Gesundheitsschutz“ folgen soll).

Für die mit dem Titel „Verfahren im Falle pandemiebedingt nicht ausreichender überlebenswichtiger, intensivmedizinischer Behandlungskapazitäten“ überschriebenen Norm warb Steffen im Einladungsschreiben besonders mit dem Hinweis, dass sie „explizit einen Ausschluss der Ex-post-Triage“ enthalte. Bereits zugeteilte überlebenswichtige intensivmedizinische Maßnahmen sollen „nicht mehr zur Disposition stehen“, erläutert die den am Freitag Eingeladenen vorenthaltene Begründung, „solange eine intensivmedizinische Behandlung noch indiziert ist.“

Sanktionsnormen? Fehlanzeige!

Das klingt eindeutig – ist aber nicht so gemeint, wie sich aus dem nächsten Satz ergibt: „Vorgaben für die strafrechtliche Behandlung dieser Konstellation sind durch die Regelung nicht beabsichtigt.“ Darüber sollen vielmehr die Gerichte „unter Berücksichtigung der allgemeinen strafrechtlichen Grundsätze im konkreten Einzelfall…entscheiden.“ Die Ex-Post-Triage wird also explizit ausgeschlossen, aber der Gesetzgeber duckt sich gleichzeitig weg und lässt wiederum explizit offen, was ein – von ihm realistischerweise für denkbar gehaltener – Verstoß gegen seine Regelung strafrechtlich für Konsequenzen haben soll. Er normiert auch für alle anderen denkbaren Verstöße gegen die Regelungen des geplanten § 5c IfSG keine Sanktionen – sondern verweist insoweit lediglich ins ärztliche Berufsrecht, das, wie auch dem Bundesgesundheitsministerium bekannt sein sollte, ein eher träges, wenig effektives Instrument ist.

Dass gerade, wenn es um die Zuteilung knapper, lebensrettender Ressourcen geht, Ärztinnen und Ärzte bereit sind, für Ihre Patientinnen und Patienten auch Regelungen gezielt zu umzugehen, hat sich dabei in der Transplantationsmedizin bereits gezeigt. In diesen Verfahren ist auch klar geworden, dass die im Entwurf des Triage-Gesetzes beworbenen „allgemeinen strafrechtlichen Regelungen“ hier die Einhaltung der Zuteilungsvorschriften allein nicht sicherstellen können, weil sie zu unspezifisch sind. Deswegen enthält das Transplantationsgesetz mittlerweile spezielle, wenn auch recht milde Strafvorschriften.

Gravierender noch als die Unterlassung, die Einhaltung der vorgesehenen Zuteilungs-Vorschriften durch Sanktionsnormen zu schützen, ist die beharrliche Weigerung des Gesundheitsministeriums, mit den geplanten Regelungen sicherzustellen, was der Auftrag des Bundesverfassungsgerichts an den Gesetzgeber ist: „zur Umsetzung der aus Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG (…) folgenden konkreten Schutzpflicht und im Lichte der Behindertenrechtskonvention dafür Sorge (zu) tragen, dass jede Benachteiligung wegen einer Behinderung bei der Verteilung pandemiebedingt knapper intensivmedizinischer Behandlungsressourcen hinreichend wirksam verhindert wird.“

Losverfahren nicht einmal erwähnt

Im Gesetzentwurf gibt es nicht einmal den Versuch zu begründen, wieso es zur Erfüllung dieses Auftrages zweckmäßig sein soll, ausgerechnet das diskriminierungsnahe, von juristischen und ethischen Expert:innen und Menschen aus der Behindertenbewegung scharf kritisierte Kriterium der „aktuellen und kurzfristigen Überlebenswahrscheinlichkeit“ zum Dreh- und Angelpunkt der Zuteilungsnorm zu machen. Offensichtlich – nachzulesen unter Punkt C, Alternativen des Referentenentwurfes – haben sich Referenten und politische Spitze des BMG nicht einmal mit dem zumindest hinsichtlich der Diskriminierungsgefahr deutlich weniger problematischen Kriterium der Randomisierung  befasst.

Es hat sich im Ministerium auch offensichtlich niemand Gedanken darüber gemacht, von wem bei Zuteilungsentscheidungen die vom Bundesverfassungsgericht für relevant erachtete Gefahr der Benachteiligung von Menschen mit Behinderungen nur ausgehen kann: von den Ärzt:innen (Diese an sich triviale Feststellung zu treffen, bedeutet keineswegs, der Ärzteschaft Böses zu unterstellen; mittelbare Diskriminierung – um die es hier überwiegend geht – setzt keinen Vorsatz, noch nicht einmal Wissen voraus). Anders ist nicht zu erklären, dass die wenigen Verfahrensregelungen zum Schutz vor Benachteiligung alle auf die Selbstkontrolle der Ärzt:innen oder der Krankenhäuser setzen – so wie die Sanktionierung von Verstößen gegen diese Regelungen ja allein dem ärztlichen Berufsrecht überantwortet wird.

Dass für die Patient:innen weder ein angemessener Rechtsschutz geschaffen wird, noch irgendeine Entschädigungsregelung vorgesehen oder gar angedacht ist (wie sie für die Opfer von Impfschäden selbstverständlich im IfSG geregelt ist), und dass auch die Dokumentationspflichten nicht so beschaffen sind, dass im Nachhinein eine – notwendigerweise vergleichende – Überprüfung der Zuteilungsentscheidungen vorstellbar erscheint, signalisiert ebenfalls, dass das BMG das lästige Thema vor allem gerne vom Tisch bekommen und sich dann auch in Zukunft am liebsten nie wieder damit befassen möchte. Und zwar unabhängig davon, ob die Regelung (was hoffentlich nie erforderlich sein wird) Anwendung finden muss oder nicht. Wie heißt es insoweit denkbar klar und abschließend unter VII.: „Das Regelungsvorhaben ist nicht befristet. Eine Evaluierung ist nicht vorgesehen.“

Prof. Dr. Oliver Tolmein ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Medizinrecht. Zudem lehrt er als Honorarprofessor Medizinrecht an der Georg-August-Universität Göttingen. In dem Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht zur Triage war er Prozessvertreter der Beschwerdeführer:innen.

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