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Verkehr & Smart Mobility

Standpunkte Der deutsche Bahn-Markt braucht mehr Konkurrenzkampf

Naren Shaam, Gründer und CEO der Buchungsplattform Omio
Naren Shaam, Gründer und CEO der Buchungsplattform Omio Foto: Omio

Der Fernverkehr auf der Schiene ist in Deutschland praktisch ein Monopolmarkt. Das ist schlecht für die Reisenden und das Klima. Den Wettbewerb anheizen könnten Buchungsplattformen. Sie bringen digitale Innovationen wie vereinfachte Buchungsmasken oder die Möglichkeit, Tickets für mehrere Verkehrsmittel zu kombinieren, auf den Markt. Und sie schaffen Sichtbarkeit für konkurrierende Bahn-Unternehmen.

von Naren Shaam

veröffentlicht am 07.11.2023

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Im vergangenen Jahr hat die Deutsche Bahn 132 Millionen Menschen im Fernverkehr transportiert; ein unglaublicher Marktanteil von 95 Prozent. Effektiv übt der Konzern damit ein Monopol in Deutschland – dem größten Schienenmarkt Europas – aus. Nur wenige Unternehmen haben in der europäischen Wirtschaftsordnung eine derart machtvolle Position inne. Seit jeher führen solche Situationen zu einem ähnlichen (systemimmanenten) Problem: Monopole schaffen Prozesse, um eigene Interessen zu begünstigen. Und diese Interessen sind nicht immer deckungsgleich mit denen der Konsumentinnen und Konsumenten sowie anderer Stakeholder. Aktuell werden diese Effekte rund um den Globus branchenübergreifend immer wieder beobachtet und diskutiert.

So nun auch in Deutschlands Bahn-Wirtschaft: Passagierzahlen mögen hierzulande steigen, doch die Servicequalität baut seit Jahren ab. Im August 2023 waren gerade einmal 63,4 Prozent der Fernverkehrszüge pünktlich. Damit unterbietet die Bahn die bereits historisch schlechte Pünktlichkeitsquote aus dem Vorjahr (65 Prozent) abermals. Und trotzdem erhöht die Bahn etwa die Flexticketpreise im Fernverkehr mit der Fahrplanumstellung am 10. Dezember um durchschnittlich 4,9 Prozent. Die Stimmung unter den Reisenden ist dementsprechend schlecht. Der Konzern musste für dieses Jahr bereits die internen Kundenzufriedenheitsziele auf 70 Prozent nach unten korrigieren; das war noch vor den Ticketpreiserhöhungen.

Passagiere wenden sich vom ganzen Verkehrsmittel ab

Problematischer ist allerdings: Aufgrund der schlechten Bahn-Performance wenden sich potenzielle Passagiere nicht nur vom Unternehmen ab – sondern gleich vom ganzen Verkehrsmittel. In einem normalen Marktumfeld könnten (und würden) die Kundinnen und Kunden bei großer Unzufriedenheit einfach den Dienstleister wechseln.

Im hiesigen Fernverkehr ist die Deutsche Bahn in vielen Fällen allerdings alternativlos. Jene, die mit dem Service des Unternehmens unzufrieden sind, können oft nur auf einen anderen Verkehrsträger umsteigen. So ergab eine Umfrage des Statistikportals Statista, dass 28 Prozent der Befragten die Bahn aufgrund ihrer Unzuverlässigkeit meiden. Weitere 23 Prozent nutzen aufgrund teurer Ticketpreise lieber andere Fortbewegungsmittel.

Blick ins europäische Ausland zeigt, was möglich ist

Dabei brauchen wir eine starke und attraktive Bahnbranche aktuell mehr denn je. Zum einen, um die Mobilität von Millionen Menschen in Deutschland zu gewährleisten – andererseits, um die ambitionierten Umweltziele der deutschen Regierung und der Europäischen Union zu erreichen. Im Rahmen des Green Deal will die Europäische Union die eigenen Emissionen im Vergleich zu 1990 bis 2030 um 55 Prozent reduzieren. Bis 2050 plant die EU, die Treibhausgasemissionen des Verkehrswesens gar um 90 Prozent zu senken. Und auch die Bundesregierung muss die Treibhausgasemissionen im Verkehrswesen bis 2030 auf 84 Millionen Tonnen CO2-Äquivalent senken – immer noch eine Halbierung der Emissionen verglichen mit 2019.

Um mehr Menschen von der Bahn zu begeistern – und um unsere Klimaziele zu erfüllen –, muss das Monopol der Deutschen Bahn adressiert werden. Es braucht eine starke Koalition aus Gesetzgebern, (Mobilitäts-)Plattformen und anderen Playern aus der deutschen Schienenwirtschaft, um mehr Wettbewerb im deutschen Bahnmarkt zu schaffen. Mehr Konkurrenz ist der gangbarste und schnellste Weg, um Innovationen, faire Preise und Kundenzufriedenheit zu erreichen.

Ein Blick über den Tellerrand ins europäische Ausland zeigt, was möglich ist: Zahlreiche europäische Länder haben ihren Bahnmarkt bereits geöffnet – und das mit Erfolg. In Italien sanken die Preise in den ersten Jahren nach der Liberalisierung des Marktes um bis zu 30 Prozent. Zeitgleich zogen die Passagierzahlen an: Auf der viel frequentierten Strecke zwischen Rom und Mailand steigerten die Bahn-Unternehmen ihren Anteil am Modal Split auf 65 Prozent. 2014 betrug dieser Anteil nur 34 Prozent.

In Spanien konkurrieren seit der Deregulierung drei verschiedene Anbieter – Iryo, Renfe und Ouigo – auf der Schiene. Folglich fielen die Kosten, die Reisende in Spanien pro zurückgelegtem Kilometer zahlen mussten, im ersten Quartal 2023 um 16 Prozent. Das belegen Daten von Kunden, die ihre Bahnreisen über Omio gebucht haben. In Deutschland hingegen stiegen die Preise im Vergleichszeitraum um 19 Prozent.

Tickets für mehrere Verkehrsmittel

Auch eine Analyse des Londoner Beratungsunternehmens Rail Partners hebt die sofortige Wirkung eines gesteigerten Wettbewerbskampfes hervor: Im deutschen Nahverkehrsmarkt, der bereits mehrere Transportanbieter zulässt, wird die Zugflotte im Vergleich durchschnittlich um zehn Jahre schneller erneuert, und die Passagierzahlen steigen.

Bei 95 Prozent Marktanteil der Bahn im Fernverkehr würde es wohl trotz dieser hoffnungsvollen Beispiele in Deutschland noch einige Zeit dauern, bis ein signifikanter Konkurrenzkampf auf allen Ebenen entsteht. Aber es gibt eben nicht nur einen Weg, um den Wettbewerb, auch abseits der Schiene, anzuheizen. Neben klassischen Bahnanbietern schaffen etwa Mobilitätsplattformen und digitale Marktplätze einen nie dagewesenen Wettbewerb im Ticketing – und dadurch auch eine größere Auswahl für Kundinnen und Kunden.

Zudem bringen Plattformen digitale Innovationen wie vereinfachte Buchungsmasken oder die Möglichkeit, Tickets für mehrere Verkehrsmittel zu kombinieren, auf den Markt. Zusätzlich legen Mobilitätsplattformen auch den Grundstein für Wettbewerb auf der Schiene: Sie schaffen Präsenz und Sichtbarkeit für konkurrierende Bahn-Unternehmen. Omios Ziel ist etwa, durch ein einfach zugängliches und erschwingliches Online-Ticketing-System mehr Menschen von der Bahn zu begeistern; gute Nachrichten für alle Beteiligten.

Europas größter Bahn-Markt muss sich neu erfinden

Derzeit investieren genau diese privaten Mobilitätsunternehmen aufgrund des komplexen und monopolisierten deutschen Schienen-Marktes hierzulande jedoch kaum oder gar nicht. Dabei muss unser aller Ziel eine moderne und offene Bahnbranche sein. Eine Industrie, die gemeinsam ein einfach zugängliches und preiswertes Bahn-System schafft, welches dabei hilft, die hiesige Verkehrswende in die Tat umzusetzen – auch wir arbeiten mit Omio darauf hin.

Und es braucht jenes Bündnis aus Regulatoren, Mobilitätsplattformen und anderen Stakeholdern des Ökosystems. Denn bislang wurde die komplexe Situation dazu genutzt, die Marktmacht der Bahn zu konservieren. Nun müssen alle gemeinsam ein System schaffen, das gerade die Interessen derjenigen stärker in den Mittelpunkt rückt, die bislang nicht ausreichend repräsentiert wurden: die der Reisenden und die der Umwelt.

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