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Verkehr & Smart Mobility

Standpunkte Mit dem elektrischen Flottenfahrzeug zum 15-Millionen-Ziel

Matthias Runkel, wissenschaftlicher Referent für Verkehrspolitik beim Forum Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft
Matthias Runkel, wissenschaftlicher Referent für Verkehrspolitik beim Forum Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft Foto: promo

Wenn Deutschland sein Ziel von 15 Millionen E-Pkw 2030 erreichen will, muss die Regierung das Dienstwagenprivileg deutlich verändern. Es kostet den Staat heute drei bis fünf Milliarden Euro pro Jahr und bringt bei der Umstellung nichts. Die Belastung von Verbrennern muss steigen. Die Niederlande, Norwegen und Großbritannien haben es vorgemacht.

von Matthias Runkel

veröffentlicht am 26.06.2023

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Rund zwei Drittel aller Neuwagen werden in Deutschland gewerblich zugelassen. Dienst- und Firmenwagen bestimmen also maßgeblich die zukünftige Zusammensetzung der deutschen Pkw-Flotte und damit auch das Tempo der Elektrifizierung.

Aktuell stehen sie aber auf der Klimaschutzbremse: In den ersten Monaten des Jahres 2023 waren lediglich zwölf Prozent der gewerblichen Neuzulassungen batterieelektrisch (BEV). Bei privaten Neuwagenkäufen lag der Anteil mit 20 Prozent fast doppelt so hoch. Um das Ziel der Bundesregierung von 15 Millionen BEV bis 2030 zu erreichen (aktuell sind es etwas mehr als eine Million), müssen also vor allem die Unternehmen auf das Strompedal treten.

So käme die Elektrifizierung auch schneller in die Breite der Gesellschaft. Die wenigsten Haushalte kaufen ihr Auto neu. Der Gebrauchtwagenmarkt für E-Autos aber ist noch dünn. Besonders schnell füllen ließe er sich mit Dienst- und Firmenwagen, denn die werden in der Regel nicht länger als zwei bis drei Jahre gehalten. Der Durchlauf bei privaten Pkw ist mit einer durchschnittlichen Haltedauer von sechs bis sieben Jahren sehr viel langsamer. Wer also will, dass nicht nur Gutverdienende in naher Zukunft die Vorzüge der Elektromobilität genießen können (inklusiver aller Steuerbefreiungen und Fördermaßnahmen, die bislang eine unschöne Verteilungswirkung aufweisen), muss dafür sorgen, dass sich Unternehmen diese Autos heute kaufen.

88 Prozent der neuesten Firmen- und Dienstwagen haben aber weiterhin einen Verbrennungsmotor. Um das zu ändern, könnte die Bundesregierung die steuerlichen Rahmenbedingungen in Einklang mit ihren Zielen bringen. Laut Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) „verabschiedet sich gerade die ganze Welt vom Verbrennungsmotor“.

Wissing will Absatz von Autos auf dem Heimatmarkt erleichtern

Das deutsche Steuersystem sollte das auch tun. Und gemäß FDP-Verkehrsminister Volker Wissing (auf dem Tagesspiegel Future Mobility Summit 2022) ist es unter anderem Funktion der Dienstwagenbesteuerung, „den Absatz von Fahrzeugen im Heimatmarkt zu erleichtern“. Machen wir uns diese Absatzerleichterung also zunutze und richten sie konsequent auf das 15-Millionen-Ziel aus.

Dazu müssen wir unter anderem an die Ein-Prozent-Regel ran, die die Privatnutzung von Dienstwagen regelt und die Wahl des Fahrzeugs stark beeinflusst. Privat genutzt werden in Deutschland schätzungsweise zwei bis drei Millionen Dienstwagen. Mit Blick auf 2030 sind das – unter der Annahme, dass sie alle zwei bis drei Jahre ausgetauscht werden – potenziell fünf bis neun Millionen Neuzulassungen, die demnach ganz erheblich zur Zielerreichung beitragen könnten. Die private Nutzung muss zusätzlich zum Gehalt als sogenannter geldwerter Vorteil versteuert werden. Dieser geldwerte Vorteil wird pauschal mit monatlich ein Prozent des Neuwagenpreises berechnet – egal, wie viel privat gefahren wird oder wie alt das Auto ist.

Solche Steuer-Vereinfachungen haben es an sich, dass sie Gewinner und Verlierer hervorbringen. Ein Prozent ist eher zu hoch für Personen, die zum Beispiel ihren Dienstwagen privat kaum nutzen, den Wagen lange halten oder gar einen Gebrauchten fahren. Da sich das kaum lohnt, kommt es aber auch kaum vor. In dem Fall könnte die Person ohnehin auf die Fahrtenbuchmethode zurückgreifen und die tatsächlichen Kosten ansetzen. Verlierer sollte die Steuer-Vereinfachung also kaum hervorbringen und wir können davon ausgehen, dass all diejenigen, die die Ein-Prozent-Regel anwenden, eher profitieren – zum Teil in sehr großem Ausmaß.

Eine etwas vereinfachende Einordnung: Ein Neuwagen verliert im ersten Jahr rund 25 Prozent an Wert; mit der monatlichen Ein-Prozent-Regel sind aber nur zwölf Prozent zu versteuern. Gegenüber einer Privatanschaffung kommt man also – je nach Fahrzeugpreis – mehrere tausend Euro günstiger weg. Dieses Privileg des Dienstwagens ist eine ziemlich großzügige Absatzerleichterung, die den Staat schätzungsweise drei bis fünf Milliarden Euro pro Jahr kostet.

Niederlande, Norwegen und Großbritannien als Vorbilder

Umbauen ließe sich dieser klimaschädliche Steueranreiz recht pragmatisch, indem die Ein-Prozent-Regel für Verbrenner zum Beispiel verdoppelt oder verdreifacht wird. So in etwa machen es die Niederlande: Ein Prozent (zwölf Prozent pro Jahr) auf Nullemissionsfahrzeuge bis 40.000 Euro Anschaffungspreis, 22 Prozent pro Jahr auf alles darüber hinaus. Im BEV-Vorreiterland Norwegen liegt der Höchstsatz gar bei 30 Prozent pro Jahr. Bei E-Autos und Autos, die drei Jahre oder älter sind, wird der Listenpreis in der Berechnung um 20 Prozent beziehungsweise 25 Prozent reduziert.

Etwas komplexer, aber immer noch einfach ist das System in Großbritannien: Mit dem CO2-Wert des Autos und in Abhängigkeit von der Antriebsart steigt die Besteuerung: von 0 bis 37 Prozent pro Jahr. Die Subventionierung von Verbrenner-Dienstwagen wird in den drei Ländern damit weitestgehend abgeschafft und auf BEV begrenzt. Ein Fahrtenbuch ist für all dies nicht notwendig, und damit bleibt es bei der Steuer-Vereinfachung, die Finanzminister Christian Lindner (FDP) so wichtig ist.

Der Ländervergleich macht dann auch deutlich, warum der ermäßigte Steuersatz für E-Dienstwagen in Deutschland (0,25 Prozent pro Monat) kaum wirkt: Ein Prozent für die Berechnung des geldwerten Vorteils bei Verbrennern ist so gering, dass für zusätzliche Ermäßigungen wenig Luft nach unten ist. Die Elektrifizierung lässt sich schwer herbeisubventionieren, solange die großzügige Behandlung von Verbrennern fortbesteht. Subventionen mit Subventionen zu bekämpfen ist nur bedingt wirksam und zudem unnötig teuer.

Mit einer Reform der Dienstwagenbesteuerung ließe sich dann hoffentlich auch ein Verbot von Verbrenner-Dienstwagen vermeiden, das sonst in den nächsten Jahren notwendig werden könnte. Ein solches Verbot ab 2030 hatten zuletzt 30 Unternehmen, darunter Coca-Cola, Ikea, SAP, Tesco, Unilever und Vattenfall in einem offenen Brief an die EU-Kommission gefordert.

Eine sozial gerechte Lösung

Was diese Unternehmen richtig verstanden haben, ist, dass ihre Firmenflotten und ihre Angestellten mit Dienstwagen der Weg zu einer schnelleren Elektrifizierung sind. Es wäre auch ein besonders gerechter Weg, da sie diese Verantwortung auch finanziell tragen können. Der typische Dienstwagenfahrer ist männlich, verdient 80.000 Euro brutto oder mehr im Jahr und gehört damit zu den einkommensstärksten zehn Prozent in Deutschland. Laut Firmenwagenmonitor liegt die Dienstwagenverbreitung in dieser Gehaltsklasse bei 30 bis 60 Prozent. In der gesamten unteren Einkommenshälfte hingegen sind Dienstwagen – und Neuwagen generell – eine Rarität.

Die 15 Millionen BEV bis 2030 werden also von den oberen Gehaltsschichten gekauft werden müssen. Statt das mit Verboten oder Kaufprämien zu befeuern, sollten zuallererst die finanziellen Anreize richtig gesetzt werden. Die Dienstwagenbesteuerung sollte sich wohlwollend vom Verbrenner verabschieden.

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