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Verkehr & Smart Mobility

Standpunkte Zwei Prozent für Verbrenner

Baro Vicenta Ra Gabbert, Klimaexpertin bei German Zero
Baro Vicenta Ra Gabbert, Klimaexpertin bei German Zero Foto: German Zero

Die im Wachstumschancengesetz geplante Neuregelung der Dienstwagenbesteuerung geht unter sozialen, ökologischen und haushaltspolitischen Gesichtspunkten exakt in die falsche Richtung. Deutschland sollte sich vielmehr ein Beispiel an anderen Ländern wie Großbritannien und Niederlande nehmen.

von Baro Vicenta Ra Gabbert

veröffentlicht am 15.11.2023

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Ob Kürzungen im Bereich Kinder- und Jugendarbeit, Sparmaßnahmen bei Freiwilligendiensten, der Finanzierung des 49-Euro-Tickets oder des Klimageldes: In den aktuellen Haushaltsverhandlungen wird zurzeit erbittert um Geld gerungen. Auch Finanzminister Christian Lindner (FDP) betont immer wieder die Sparzwänge für den Bundeshaushalt.

In diesem Zuge sei an das im Koalitionsvertrag festgeschriebene Vorhaben der Bundesregierung erinnert, „zusätzliche Haushaltsspielräume“ dadurch zu gewinnen, „im Haushalt überflüssige, unwirksame und umwelt- und klimaschädliche Subventionen und Ausgaben [abzubauen]“. 

Eine durch das Umweltbundesamt definierte und medial wie politisch viel besprochene klimaschädliche Subvention ist die Pauschalbesteuerung der Privatnutzung von Dienstwagen. Anders als der Firmenwagen, den beispielsweise mobile Pflegekräfte dringend für ihre Arbeit benötigen, wird der Dienstwagen auch privat genutzt. Die private Nutzung ist als sogenannter geldwerter Vorteil zusätzlich zum Gehalt als Einkommen zu versteuern. Bei Verbrennern sind es ein Prozent des Bruttolistenpreises monatlich, bei E-Autos bis 60.000 Euro 0,25 Prozent. Durch diese Regelung sind die jährlichen Kosten für den Dienstwagen in vielen Fällen deutlich geringer als bei einem privaten Pkw.

Obergrenze für Steuererleichterung soll sogar steigen

Mindestens verwunderlich ist in diesem Zuge ein Vorstoß aus dem Wachstumschancengesetz, das heute im Bundestagsausschuss verhandelt wird: Dieser sieht vor, die Obergrenze für eine Steuererleichterung bei elektrischen Dienstwagen von 60.000 auf 80.000 Euro anzuheben, also die Nutzung besonders teurer elektrischer Dienstwagen zu begünstigen. Verbrenner-Dienstwagen sollen dagegen weiterhin unverändert gefördert werden.

Dabei böte eine Neuregelung zur Besteuerung von Dienstwagen eine ideale Möglichkeit, Mobilität nachhaltig sozialer und ökologischer auszugestalten und nebenbei die für sonstige Haushaltsposten so dringend benötigten Mittel freiwerden zu lassen.

Der Dienstwagen von heute ist das Privatfahrzeug von morgen

Für die meisten Haushalte sind Neuwagen und teurere E-Autos oft nicht finanzierbar, sie greifen vielmehr auf die im Gebrauchtwagenmarkt verfügbaren Fahrzeuge zurück. Da zwei Drittel der neu zugelassenen Fahrzeuge gewerblicher Nutzung sind und nach einer Haltedauer von einigen Jahren zumeist in den Gebrauchtwagenmarkt übergehen, ist es gerade vor diesem Hintergrund wichtig, jetzt die Weichen für einen Gebrauchtwagenmarkt zu stellen, in dem die Nachfrage nach ökologischen Alternative in einigen Jahren gedeckt wird. Nicht zuletzt werden die heute verhandelten Regelungen maßgeblich mit definieren, welche Fahrzeuge für Käufer:innen erschwinglich sind und in den kommenden Jahrzehnten auf unseren Straßen fahren.

Von der aktuellen Regelung profitieren wenige 

Die aktuellen Regelungen zur Besteuerung von Dienstwagen kommen maßgeblich den Einkommensstärksten zugute: Fast die Hälfte aller Dienstwagen ist bei den oberen zehn Prozent der Einkommensverteilung zu finden. Die gesamte untere Hälfte der Einkommensverteilung hält dagegen lediglich fünf Prozent, wie eine aktuelle Kurzstudie von Caritas, FÖS und Klima-Allianz zeigt. 

Zusätzlich lohnt es sich aufgrund der aktuellen Regelung besonders, teure Fahrzeuge kurz zu halten. Kommt jetzt noch hinzu, dass besonders teure E-Autos begünstigt werden, wird das den Fahrzeugmarkt weiter zugunsten einkommensschwacher Haushalte verzerren.

Laut FÖS und UBA kosten die Steuerregelungen den Staat – und damit die Steuerzahler:innen – etwa 3,5 bis 5,5 Milliarden Euro pro Jahr. Wenn man bedenkt, dass davon maßgeblich einkommensstarke Autofahrer:innen profitieren, stellt sich die Frage, warum die breite gesellschaftliche Masse für den Vorteil, den einige wenige aus den Regelungen beziehen, bezahlen soll.

Ökologische Fehlanreize beseitigen

Der Verkehrsbereich schafft es derzeit nicht, seinen Beitrag zur Einhaltung der Klimaziele zu leisten. Die Sektorziele wurden auch dieses Jahr wieder massiv verfehlt. Die Ein-Prozent-Regelung für Verbrennerdienstwagen trägt zum Verfehlen gleich auf mehreren Ebenen bei: Einerseits sind über 80 Prozent der Dienstwagen Verbrenner, die nach einer kurzen Haltedauer besonders oft ausgetauscht werden. Andererseits führen in der Praxis zusätzliche Anreize wie Tankkarten dazu, dass Menschen auch außerhalb der dienstlichen Nutzung lieber das Auto nutzen, als auf ökologischere Alternativen auszuweichen.

Eine angepasste Steuer könnte derartige ökologische Fehlanreize beseitigen und nebenbei das Einhalten der Klimaziele im Verkehrsbereich fördern: Zum einen würden mehr CO2-ärmere E-Autos gekauft, was die Bundesregierung ihrem Ziel, bis 2030 15 Millionen E-Autos auf deutschen Straßen fahren zu haben, ein Stück näher bringt. Zum anderen würde vermutlich insgesamt weniger Auto gefahren. In Kombination geht Agora Verkehrswende davon aus, dass durch eine Reform bis zu 5,8 Millionen Tonnen CO2 eingespart werden könnten. 

Eine Frage der Priorisierung 

Selbst wenn man bei einer Steuerumgestaltung nicht den vollen Rahmen des möglichen Abbaus staatlich getragener Verluste ausschöpft, würden durch eine geringfügige Anpassung der Steuer signifikante Beträge frei werden. 

Vor dem Hintergrund der offenen Streitpunkte in den laufenden Haushaltsverhandlungen drängt sich die Frage auf, ob es noch angemessen ist, auf dieses potenzielle Geld zu verzichten. Oder ob es nicht lieber verwendet werden sollte, um massive Finanzierungslücken im Bereich Kinder, Jugend und Soziales oder dem Klimageld zu schließen oder einen Großteil dessen, womit sich der Bund jährlich am 49-Euro-Ticket beteiligt, gesichert zu wissen.

Zeit für eine nachhaltige Mobilität für die Breite der Bevölkerung 

Mit einer progressiven Neuregelung des steuerlichen Dienstwagenprivilegs würde Deutschland sich einreihen in die Bestrebungen anderer Länder, schnelle und für die Breite erschwingliche E-Mobilität zu ermöglichen. So ist die Kopplung der Steuer an den CO2-Ausstoß des Fahrzeugs in anderen Ländern, wie etwa Großbritannien, schon Standard. Die Niederlande fördert durch ihre Steuerregelungen explizit die Anschaffung günstiger E-Autos

Die im Wachstumschancengesetz bisher geplante Neuregelung hingegen würde soziale Ungleichgewichte noch verschärfen. Es wäre zu wünschen, dass man die Gelegenheit einer Neuregelung nutzt, die die Versteuerung für Verbrenner, wie auch von der Klima-Allianz gefordert, auf zwei Prozent des Bruttolistenpreises erhöht, sodass größere und klimaschädlichere Fahrzeuge unattraktiver und klimafreundliche Fahrzeuge auch für die breite Masse erschwinglich werden. Nicht zuletzt werden sich die Ergebnisse der Haushaltsverhandlungen und das Thema Dienstwagenbesteuerung auch als Entscheidung für oder gegen die nachhaltige, effiziente und bezahlbare Mobilität messen lassen müssen.

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