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Verkehr & Smart Mobility

Standpunkte Zwei Prozent der Autos reichen

Valerie von der Tann, General Manager Berlin, ViaVan
Valerie von der Tann, General Manager Berlin, ViaVan

Die Debatte um eine Änderung der gesetzlichen Grundlage für Fahrdienste verläuft einseitig, kritisiert Valerie von der Tann. Sie fordert, geteilte Mobilität in den Mittelpunkt einer Reform zu stellen: Ridepooling-Angebote müssten regulär genehmigungsfähig und – sofern sie Teil des ÖPNV sind – auch mit Rechten ausgestattet werden. Drei Thesen.

von Valerie van der Tann

veröffentlicht am 07.11.2019

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1. Zielgerichtete Innovation statt planloser Deregulierung

Unsere Herausforderungen in Deutschland sind real und drängend: Staus und Emissionen in den Städten, Mobilitätsarmut auf dem Land. So unterschiedlich die Probleme, so einfach die Lösung: geteilte Mobilität im Sinne der Allgemeinheit. Das ist seit jeher Kernaufgabe des ÖPNV. Mit intelligenten Technologien kommen wir diesem Ziel so nah wie nie: Durch ÖPNV-Pooling-Dienste gehört zwischen öffentliche Interessen und flexible und komfortable Mobilität kein oder“.

Das Personenbeförderungsgesetz (PBefG) bietet die Chance, jetzt die richtigen Anreize für diese Lösung zu setzen. Bis jetzt drehte sich die Diskussion vor allem um Mietwagendienste wie Uber und Co. Es ist Zeit, dies zu ändern, und sich auf Ride-Pooling-Dienste als bessere Lösung für Deutschland zu konzentrieren. 

Insbesondere im ÖPNV ist das Innovationspotenzial durch digitale Technologien riesig. Aktuell besteht allerdings die Gefahr, dass Kommunen bei der Bestellung geteilter Ride-Pooling-Dienste durch Auflagen so benachteiligt werden, dass sie diese Möglichkeiten nicht annähernd ausschöpfen können.

Die Diskussion zur Rückkehrpflicht für Mietwagen geht zudem am Kern des Problems völlig vorbei. Die Rückkehrpflicht ist nur ein Feigenblatt, das mühsam den Anschein eines „Abstandes“ zwischen Taxis und Mietwagen, die mithilfe von Vermittlungsplattformen eine Taxi-ähnliche Funktion einnehmen, aber weniger Pflichten haben, wahren soll. Diese rechtliche Schieflage ist nicht innovativ, obwohl das manche gerne glauben wollen. Tatsächlich ist das einzig „Innovative“ an Vermittlungsplattformen von Mietwagen ihre kreative Auslegung geltender Gesetze. 

2. Die Fehler haben andere Länder bereits gemacht. Wir müssen daraus lernen.

Die gute Nachricht ist: Andere Länder standen vor ähnlichen Herausforderungen – und haben daraus gelernt. Die Erfahrungen in den USA und anderswo zeigen: Planlose Liberalisierung des Mietwagengewerbes führt zu mehr Verkehr auf den Straßen und zu sinkenden Nutzerzahlen im ÖPNV. 

Studie um Studie hat bewiesen, dass ein ungezügeltes Mietwagengewerbe die Staubelastung in den Städten verschlimmert, indem es nur noch mehr Fahrzeuge auf die Straßen bringt. Bis zu zwei Drittel der Zeit kurven diese nutzlos im Verkehr herum. In Deutschland umgehen sie geltende Regeln, wie auch das Landgericht in Köln jüngst festgestellt hat. In einer vielzitierten Studie hat Verkehrsexperte Bruce Schaller herausgefunden, dass Uber und Lyft im Jahr 2017 in neun großen Städten der USA 1,6 Milliarden zusätzliche Straßenkilometer zurückgelegt haben – ein Anstieg der Gesamtfahrleistung um 160 Prozent. Zahlreiche Gerichtsverfahren und politische Verwerfungen sind die Folge. Erste Anzeichen für ähnlich problematische Entwicklungen sehen wir bereits in deutschen Städten – trotz Rückkehrpflicht. 

Nach anfänglicher Deregulierungseuphorie hat man in den USA deswegen längst begonnen, auf die Probleme mit ungeteilten Mietwagen zu reagieren und stattdessen auf geteilte Mobilität zu setzen:

  • New York City hat die Zahl der Mietwagen begrenzt, eine City Maut eingeführt und eine Mindestauslastung der eingesetzten Mietwagen vorgeschrieben.
  • Chicago hat zum zweiten Mal in zwei Jahren zusätzliche Steuern für ungeteilte Mietwagenfahrten erlassen und eine City Maut eingeführt. Boston, San Francisco und Seattle sind ebenfalls dabei, neue Steuern für Mietwagen zu erheben.

Was können wir also daraus lernen? Mietwagen, die wie Pkw in der Regel vor allem einzelne Fahrgäste befördern, verschlimmern die Verkehrs- und Umweltprobleme, statt sie zu lösen. Die Lösung: Geteilte Mobilität über die Bündelung von Fahrtanfragen. In Dublin beispielsweise könnte laut der OECD die Mobilitätsnachfrage mit nur zwei Prozent der heutigen Fahrzeuganzahl abgedeckt werden – und Staus durch eine Kombination von Pooling-Diensten mit traditionellem ÖPNV um 37 Prozent reduziert werden. Gerade angesichts zunehmender Stickoxidbelastung und drohender Fahrverbote in deutschen Städten ist die aktive Förderung umweltfreundlicher Pooling-Dienste zwingend. 

3. Geteilte Mobilität als Teil des ÖPNV für eine effektive Verkehrswende

Die PBefG-Novelle kann nachhaltige Lenkungswirkung entfalten. Diese Chance sollten wir nutzen und die Verkehrswende aktiv gestalten: Ride-Pooling-Dienste sind am stärksten, wenn sie sich in den bestehenden ÖPNV integrieren. Denn der ÖPNV ist das Rückgrat eines sozial- und umweltverträglichen Verkehrssystems in Deutschland. Innovation sollte innerhalb dieses Systems gefördert werden und nicht losgelöst davon. Das bedeutet auch, zu vermeiden, ein System zu schaffen, in dem der ÖPNV sich auf Ride-Pooling in unterversorgten Gebieten beschränkt, während private Anbieter außerhalb des ÖPNV die Innenstädte bedienen. Ein wirklich attraktives, sowie wirtschaftlich und verkehrlich effizientes Angebot ist ein flächendeckendes. 

Ein Beispiel für ein solches Konzept ist der Berlkönig in Berlin, der als gemeinsames Projekt von BVG und ViaVan gezeigt hat, wie eine erfolgreiche Umsetzung aussehen kann: 

  • Teil des ÖPNV: Bedien- und Beförderungspflicht, mit fairem Tarifsystem
  • Attraktiv: eine Million Fahrten im ersten Jahr und mehr als 97 Prozent Kundenzufriedenheit 
  • Nachhaltig: Im September 2019 waren 81 Prozent der Fahrten geteilt und 54 Prozent gebündelt, in Stoßzeiten sogar weit mehr
  • Barrierefrei: einfache Nutzung für Menschen mit Behinderung
  • Inklusiv: besonders geeignet für ältere Menschen und Familien 
  • Flächendeckend: Erste-/letzte-Meile-Verkehre ebenso wie Direktverbindungen

Das alles Hand in Hand mit einem öffentlichen Verkehrsunternehmen: aus unserer Sicht ein Erfolgsrezept. Was muss passieren, damit die PBefG-Novelle eine echte Verkehrswende ermöglicht?  

  • Mietwagen, die Taxi-ähnliche Funktionen wahrnehmen, müssen auch regulatorisch wie Taxis behandelt werden.
  • Ride-Pooling-Dienste müssen regulär genehmigungsfähig sein und jenseits der Experimentierklausel verstetigt werden.  
  • Ride-Pooling Dienste, die als Teil des ÖPNV besondere Pflichten erfüllen, müssen im Sinne eines fairen Wettbewerbs auch besondere Rechte erhalten.

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