In der heutigen Digitalwelt sind Cookie- und Einwilligungsbanner allgegenwärtig. Die EU-Kommission hat dies im vergangenen Jahr als „Problem“ identifiziert und will sie loswerden. Sie spricht von Cookie-Müdigkeit und möchte Verbraucherinnen und Verbraucher in den Mittelpunkt stellen. Das soll mit der freiwilligen „Cookie Pledge“ erreicht werden, einer Art Selbstverpflichtung. Sie umfasst acht, teils sinnvolle, teils realitätsferne Prinzipien, die sogenannten „Principles“. Wer sich anschließt, unterwirft sich allen. Statt jedoch die Ursache zu beheben, will die Pledge ausschließlich Symptome der Cookie-Müdigkeit heilen.
Nutzerinnen und Nutzer werden schließlich nicht auf Wunsch der Unternehmen, sondern aufgrund der regulatorischen Vorgaben immer wieder vor eine Entscheidung gestellt. Einfach darauf zu verzichten, so wie es sich die Europäische Kommission aktuell wünscht, wäre höchstwahrscheinlich das Ende des Internets als Ort für alle. Auch wenn es sich um digitale Angebote handelt, können diese nicht durch Luft und Liebe finanziert werden. Im gesamten Prozess war für diese Realität nur wenig Platz. Vielmehr trafen die Beteiligten mit ihren Mahnungen sowie technischen und rechtlichen Hinweisen auf taube Ohren in Brüssel.
Wunsch, Ziel und Wirklichkeit
Die Hoffnung in Brüssel sei es, dass nach einer Selbstverpflichtung der Internetriesen zum Cookie-Verzicht auch kleinere Anbieter nachziehen würden, sagte der verantwortliche EU-Kommissar, Didier Reynders im Interview mit der Zeitung „Welt am Sonntag“. Ob es sich dabei um Unwissenheit oder Wunschdenken handelt, ist nicht bekannt. Jedoch wird hier ein kausaler Zusammenhang hergestellt, den es nicht gibt. In der Praxis verfügen diese Unternehmen in ihren eigenen Ökosystemen über Lösungen wie First-Party-Daten abseits der klassischen Cookie-Banner. Das hehre Ziel der Kommission, Europäerinnen und Europäer zu schützen, wird somit zum Boomerang für europäische mittelständische Unternehmen. Diese sind auf ein arbeitsteiliges Ökosystem angewiesen, um mithilfe von Werbung ihren Nutzerinnen und Nutzern die häufig entgeltfreien Angebote zu ermöglichen. Ohne Einwilligungsbanner gäbe es diese Angebote in ihrer jetzigen Form nicht.
Zwischen ideologischer Willkür und logischer Zweck
Haben Sie schon einmal versucht, mit Kreide auf ein Whiteboard zu schreiben? Sicherlich nicht. Denn Kreide kann für den gewünschten Zweck nur im eigentlich veralteten Setting – einer Tafel – eingesetzt werden. In der digitalen Welt ist dies ähnlich. Doch hier wird die Existenz digitaler Angebote, die über zweckgebundene Lösungen gesichert wird, gern mit dem Verweis auf veraltete und nicht praktikable Lösungen in Frage gestellt. Wie auch in der Schule sollte aber klar sein, dass Tafel und Kreide nicht unsere Zukunft sind.
Im gesamten Prozess der Initiative der EU-Kommission wurden diese Herausforderungen von der Wirtschaft immer wieder adressiert, die leider keine Beachtung fanden. Es steht weiterhin eine ehrwürdige Idee gegenüber dem, was technologisch machbar und ökonomisch notwendig ist. Leidtragende einer gut gemeinten, aber nicht den Realitäten entsprechenden Initiative wird erneut die europäische digitale Wirtschaft sein – und damit die europäischen Verbraucherinnen und Verbraucher. Der ohnehin bereits weit beschrittene Weg zum digitalen Entwicklungsland ohne Information der Nutzerinnen und Nutzer im Netz dürfte sich weiter beschleunigen. Die Gefahr einer Wettbewerbsverzerrung zugunsten geschlossener Ökosysteme ist real und das von der Politik oft beschworene Level Playing Field, auf dem die Wettbewerber nach den selben Regeln spielen, rückt in weite Ferne.
Gegen jede Vernunft und die Rechtslage
Einige der „Principles“ der „Cookie Pledge“-Initiative sind jedoch auch voller Widerspruch. Die digitale Welt hat sich seit Inkrafttreten der Datenschutzgrundverordnung im Jahr 2018 rasant weiterentwickelt. Dies geschieht nicht ohne, sondern mit einer immer stärkeren Einbindung der Datenschutzbeauftragten und ihren Behörden. Neue Geschäftsmodelle wie „Pay or OK“ oder „PUR“ wurden vom Europäischen Gerichtshof und zahlreichen nationalen Aufsichtsbehörden als zulässig bestätigt. Sie werden vom Verlagswesen über die Unterhaltungsbranche bis zur Musikindustrie eingesetzt. Sie gewähren den Nutzerinnen und Nutzern eine echte Wahlmöglichkeit und stärken somit die informationelle Selbstbestimmung. All das wird scheinbar in der EU-Kommission nicht so gesehen. Einen anderen Schluss lässt Reynders‘ Initiative nicht zu, die unter anderem genau diese Modelle anzweifelt.
Die „Cookie Pledge“-Initiative verfolgt hehre Ziele, die die digitale Wirtschaft teilt. Deshalb wäre es wünschenswert, „Principles“ statt die gesamte „Pledge“ unterzeichnen zu können. Drückt die EU-Kommission jedoch die „Cookie Pledge“ als Gesamtprodukt durch, könnte sie im ersten Schritt das „Surfen im Netz“ sicherlich zu einer weniger „lästigen Angelegenheit“ für Nutzerinnen und Nutzer machen, wie Kommissar Reynders es sich wünscht.
Dabei verdrängt er jedoch die Tatsache, dass er damit Verbraucherinnen und Verbrauchern den entgeltfreien Zugang zu digitalen Diensten, Inhalten und Informationen nach und nach entzieht. Im zweiten Schritt würden Informationen zum Luxusgut, Medien- und Meinungsvielfalt stünden auf tönernen Füßen und die europäische digitale Wirtschaft wäre in ihrer Wettbewerbsfähigkeit weiter geschwächt. Ultimativ würde dies den Ursprungsgedanken des Internets als Ort für alle ad absurdum führen. Es hätte immense Auswirkungen für die Gesellschaft, für jede und jeden Einzelnen. Auch wenn die Initiative mit einfachen Mitteln eine auf den ersten Blick für die Verbraucherinnen und Verbraucher angenehmere Welt herbeiführen will, bewirkt sie am Ende genau das Gegenteil.
Thomas Duhr ist seit 2015 Vizepräsident im BVDW und hatte verschiedene andere leitende Positionen in den Verbandsgremien inne. Er ist außerdem Chairman des IAB Europe und war für fünf Jahre Vorstandsvorsitzender der AGOF und Vorstand Online der agma.