Am 17. Februar ist eine der wichtigsten Fristen zur Umsetzung des „Digital Services Act“ (DSA) ausgelaufen. Erwartungsgemäß hat Deutschland sie gerissen. Spätestens an diesem Tag hätte der deutsche „Digital Services Coordinator“ (DSC) benannt sein müssen, der den DSA auf nationaler Ebene umsetzen soll. Stattdessen wird das entsprechende deutsche Gesetzesverfahren wohl erst im März oder April auf die Zielgerade einbiegen. Nun ist Deutschland nicht das einzige Land, das die Frist verpasst hat – aber das dürfte den vielen Menschen, die Plattformen nutzen oder sie erforschen, nur ein schwacher Trost sein: Ihnen fehlt weiterhin die zentrale Anlaufstelle, die ihnen zu ihren Rechten als Plattformnutzende verhelfen soll.
Parallel dazu steht jetzt ein weiteres Gesetzesverfahren mit Bezug zu Plattformen an: die Umsetzung neuer EU-Transparenzregeln für politische Werbung. Hier kann und muss Deutschland es besser machen – auf keinen Fall sollte es wieder zu einem Zuständigkeitsgerangel und zu unnötigen Verzögerungen kommen.
Das Europäische Parlament (EP), die EU-Mitgliedstaaten und die Europäische Kommission hatten sich Ende 2023 auf EU-weite Vorgaben für Transparenz bei politischer Werbung geeinigt (Tagesspiegel Background berichtete), Anfang dieser Woche stimmte nun das EP dem Text endgültig zu. Sowohl offline als auch online sollen Menschen sofort erkennen können, ob es sich bei einer Botschaft um bezahlte politische Kommunikation handelt, woher sie kommt und wer dafür verantwortlich ist. Speziell für Onlinewerbung gelten außerdem Einschränkungen, welche Daten Werbetreibende für die gezielte Ansprache von Menschen („Targeting“) nutzen dürfen. Zum Beispiel ist die Profilbildung mit besonders sensiblen Informationen, etwa Gesundheitsdaten oder Daten zur sexuellen Orientierung, gänzlich untersagt, und generell müssen Menschen der Datennutzung für politische Werbung ausdrücklich zustimmen.
Aufsicht ist auf mehrere Landes- und Bundesbehörden verteilt
Diese Regeln zu transparenter politischer Werbung müssen jetzt überall in der EU in die Praxis umgesetzt werden. Mehrere zivilgesellschaftliche Organisationen haben dafür anlässlich der EP-Abstimmung konkrete Vorschläge vorgestellt, zum Beispiel zur Ausgestaltung der vorgesehenen Leitlinien zur Identifizierung politischer Werbung und zur Umsetzung des plattformübergreifenden Werbearchivs. Im Fokus steht zudem die Aufsichtsstruktur: Damit die neuen Regeln effektiv und sorgfältig umgesetzt werden, muss klargestellt werden, wie die Zusammenarbeit der Aufsichtsbehörden funktionieren soll. Hier kommt der DSC ins Spiel. Die Durchsetzung der neuen Transparenzregeln wird in den jeweiligen Mitgliedsländern wohl auf mehrere Behörden verteilt werden. Der DSC soll diese Behörden koordinieren, wenn es um Onlinedienste geht – also eine ähnliche Rolle einnehmen, wie sie auch der DSA für ihn vorsieht.
Die nationalen Datenschutzbehörden sind laut der Verordnung als Aufsichtsstellen gesetzt: Sie sollen die Einhaltung der Targeting-Regeln überwachen. Für die allgemeinen Transparenzregeln könnten aber andere Behörden benannt werden (in einigen Mitgliedstaaten könnten das Wahlkommissionen sein, die Deutschland in dieser Form nicht hat). Darüber hinaus besteht auch die Möglichkeit, für einige der Regeln die Medienregulierungsbehörden heranzuziehen. Potenziell könnten also an der Durchsetzung der Verordnung bis zu drei Behörden arbeiten, von denen der DSC eine sein kann, aber nicht muss.
Angesichts dieser Konstellation kommen auf deutsche Gesetzgeber ganz ähnliche Fragen zu wie beim DSA, auch wenn zumindest nicht nochmal eine Debatte um den DSC entbrennen wird. In Deutschland wird der DSC aller Voraussicht nach bei der Bundesnetzagentur eingerichtet. Wie kann die Zusammenarbeit und der Informationsaustausch zwischen dem DSC und anderen Behörden gelingen? Wie gestaltet sich die Arbeitsteilung im Datenschutz auf Länderebene und mit dem Bund? Wie und wofür sind die Landesmedienanstalten eingebunden, und wer ist bei ihnen Anlaufstelle für Fragen zu politischer Werbung? Kann und sollte das Aufgabenfeld der Bundeswahlleiterin erweitert werden? Wer spricht auf EU-Ebene für Deutschland?
Zuständigkeitsgerangel vermeiden und DSC stärken
Solche Fragen müssen aus rechtlicher und inhaltlicher Sicht geklärt werden. Rein partei- oder machtpolitische Erwägungen, etwa zwischen Bund und Ländern oder zwischen Ressorts, sollten hingegen keine Rolle spielen. Ein solches politisches Zuständigkeitsgerangel hat zur Verzögerung bei der DSC-Benennung beigetragen (Tagesspiegel Background berichtete). Hieraus sollten Gesetzgebende und Behörden lernen und sich noch frühzeitiger um eine sachliche Debatte zur Absteckung der Aufgaben und Zuständigkeiten kümmern. Noch ist fraglich, ob die Verordnung zur nächsten Bundestagswahl schon wirksam sein wird. Sollte dies der Fall sein, ist es umso wichtiger, dass die deutschen Behörden die geltenden Transparenzregeln auch durchsetzen können.
Die Vorgaben zu politischer Werbung zeigen außerdem, dass sich digitalpolitische Gesetzesvorhaben überschneiden. Dem DSC wird in der Verordnung zu politischer Werbung eine Rolle zugewiesen, die darin vorgesehene Datenbank zu politischer Werbung bezieht sich ausdrücklich auf das allgemeine Werbearchiv aus dem DSA. Diese Verzahnung müssen deutsche Gesetzgebende erkennen und berücksichtigen. Der DSC ist auf lange Sicht nicht nur eine Stelle zur Durchsetzung des DSA. Schon jetzt ist absehbar, dass weitere Regelwerke in seine Zuständigkeit fallen werden. Die Verordnung für politische Werbung ist hierfür nur ein Beispiel, ganz ähnliche Fragen zur Behördenkoordination dürfte auch das KI-Gesetz der EU aufwerfen. Nicht zuletzt deshalb ist es so wichtig, den DSC als starke und gut vernetzte Aufsichtsbehörde aufzubauen, mit ausreichenden Ressourcen und einer langfristigen Perspektive als eigenständige Stelle.
Julian Jaursch ist Projektleiter beim gemeinnützigen Think Tank Stiftung Neue Verantwortung (künftig interface) in Berlin. Er analysiert und entwickelt dort Policy-Vorschläge im Bereich Plattformregulierung und veröffentlichte zuletzt ein Papier zur Umsetzung des DSA.