Die wissenschaftliche Praxis und die Kommunikation von Forschungsergebnissen haben sich während der Pandemie tiefgehend verändert. Die Fortschritte und Erkenntnisse der Forschung, insbesondere zu Covid-19, wurden täglich nicht nur in den traditionellen Medien, sondern auch in den sozialen Medien unter die Lupe genommen und diskutiert. Während das öffentliche Interesse an Forschung und Wissenschaft stark zunahm, stiegen auch die Erwartungen an Forschende, Ergebnisse schneller mit der Öffentlichkeit zu teilen und gleichzeitig kompetent und verständlich zu erklären.
Um diese Forschungslandschaft im Wandel besser zu verstehen und Wissenschaftler*innen zu befähigen, mit diesen neuen Herausforderungen umzugehen, haben Elsevier und Economist Impact eine mehrjährige, globale Zusammenarbeit zum Thema „Confidence in Research“ ins Leben gerufen. Das Herzstück dieser Zusammenarbeit ist eine Economist Impact-Umfrage unter mehr als 3.000 Forschenden weltweit, die von Elsevier in Auftrag gegeben wurde. Der Abschlussbericht „Confidence in research: researchers in the spotlight“ wurde im November auf der Falling Walls Konferenz in Berlin vorgestellt.
Forschungsergebnisse erklären, Falschinformationen bekämpfen
Laut der „Confidence in Research“-Studie nehmen deutsche Forschende deutlich wahr, dass das öffentliche Interesse an ihrer Arbeit gestiegen ist. Darin sehen die Befragten allerdings eine Reihe ernsthafter Probleme: Zwei von fünf von ihnen sagen, dass die Öffentlichkeit trotz des gestiegenen Interesses kein tieferes Verständnis für den eigentlichen Forschungsprozess entwickelt hat. Vor diesem Hintergrund ist es nicht überraschend, dass fast drei von vier Forschenden (73 Prozent) in Deutschland der Meinung sind, dass es für sie wichtiger geworden ist, ihre Forschungsergebnisse der Öffentlichkeit besser zu erklären. Darüber hinaus sind fast zwei Drittel (65 bzw. 59 Prozent) der Befragten besorgt über die Risiken einer zu starken Vereinfachung und Politisierung von Forschungsergebnissen.
Mit diesen wahrgenommenen Risiken scheint zusammenzuhängen, dass 70 Prozent der Befragten es für zunehmend wichtig erachten, in der rasant wachsenden Informationsmenge Fehlinformationen zu erkennen. Fast ein Viertel (24 Prozent) ist sogar der Meinung, dass eine ihrer wichtigsten Aufgaben als Wissenschaftler*in ist, die Öffentlichkeit über Falschinformationen aufzuklären. Nur halb so viele gaben an, dass das auch vor der Pandemie für sie der Fall war.
Gerade der gestiegene Stellenwert der sozialen Medien in der Wissenschaftskommunikation ist eine Herausforderung für deutsche Forschende. Die Hälfte sieht sich nicht oder kaum gewappnet, ihre Forschung über die sozialen Medien zu kommunizieren. 28 Prozent der Befragten waren außerdem bereits direkt von Onlinemissbrauch betroffen oder ihnen sind betroffene Kolleg*innen bekannt. Insgesamt fühlen sich nur 57 Prozent wohl dabei, an Medien zu kommunizieren. Nur 53 Prozent der Befragten fühlen sich in der Kommunikation mit politischen Entscheidungsträger*innen sicher.
Die Ergebnisse zeigen, dass ein großer Bedarf besteht, Forschende bei der Kommunikation, insbesondere im digitalen Raum, zu unterstützen. Das sahen auch aus Expert*innen aus Wissenschaft, Politik, Medien und Zivilgesellschaft so, die im Rahmen der Studie bei einem von Elsevier und Körber-Stiftung organisierten Roundtable zu diesem Thema diskutierten. Es braucht mehr institutionelle Unterstützung, insbesondere vor dem Hintergrund von Hass und Missbrauch im Internet. Die Studie zeigt, dass aktuell fast die Hälfte der deutschen Forschenden Druck verspürt, sich online über ihre Forschung zu äußern, während 43 Prozent nur online gehen, um mit Kolleg*innen zu kommunizieren, und dass nur 30 Prozent generell gerne in den sozialen Medien kommunizieren.
Die Online-Kommunikation muss professionalisiert werden
Für die effektive Kommunikation der Wissenschafts-Community ist eine stärkere Professionalisierung erforderlich. Dazu zählen: Das Erkennen jener Aspekte der Forschungsergebnisse, die ein realistisches Bild von Zweck und Wert der Forschung vermitteln, die Formulierung effektiver Botschaften für verschiedene Zielgruppen sowie das Wählen des richtigen Timings und Kontexts, um eine Trivialisierung von Wissen zu vermeiden. Die Pandemie hat die Erwartung geweckt, dass Forschungsergebnisse schnell erlangt und nutzbar gemacht werden. Aktuelle globale Krisen werden diese Erwartung wahrscheinlich aufrechterhalten. Kommunikation wird im deutschen Forschungssystem jedoch aktuell als zusätzliche Aufgabe und Mehraufwand im Forschungsprozess wahrgenommen.
Kommunikationstrainings und -schulungen müssen schon früh Teil der akademischen Laufbahn werden. Zudem könnten Kommunikationsrichtlinien, die Forschenden von wissenschaftlichen Einrichtungen zur Verfügung gestellt werden, eine große Hilfe sein. Außerdem braucht es institutionelle Unterstützung in Fällen von Cybermobbing und Onlinemissbrauch. Wie die Expert*innen des deutschen Roundtables feststellten, wird eine Einheitslösung jedoch nicht funktionieren. Forschende wünschen sich mehr Möglichkeiten, um mit der Politik und den Medien in direkten Kontakt zu treten und sie zu informieren – dafür brauchen sie das entsprechende Coaching.
Gatekeeper als Lösung für ein strukturelles Problem
Darüber hinaus sind strukturelle Veränderungen für die Verbesserung der Wissenschaftskommunikation von entscheidender Bedeutung. Eine wertvolle Lösung könnten etwa Gatekeeper sein, die als Schnittstelle zwischen Wissenschafts-Community und Öffentlichkeit agieren. Die Gatekeeper könnten den Forschungsprozess als solchen erklären, Forschungsergebnisse kontextualisieren, Forschungsreihen und Studien gegeneinander abwägen und gleichzeitig Meinungen einordnen. Zudem würden sie den Transfer wissenschaftlicher Erkenntnisse in die Politik unterstützen.
In Deutschland fungieren die Medien in diesem Sinne zwar bereits als Gatekeeper, doch sollten sie ihre Verantwortung für solche Aufgaben noch ernster nehmen. Darüber hinaus können auch andere Einrichtungen eine ähnliche Rolle einnehmen, z. B. Vorstände oder Beiräte, die sich aus Wissenschaftsjournalist*innen und -kommunikator*innen zusammensetzen, oder auch institutionalisierte Kommunikationsketten außerhalb von Universitäten und wissenschaftlichen Einrichtungen. Die Gatekeeper könnten dem Beispiel des erfolgreichen Science Media Center folgen, das für das Verständnis der deutschen Öffentlichkeit für den Forschungsfortschritt während der Pandemie entscheidend war.
Laura Hassink ist Managing Director bei STM Journals. Max Voegler ist VP Global Strategic Networks DACH bei Elsevier.