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Digitalisierung & KI

Standpunkte Die Twitter-Alternative, die keine ist

Cathleen Berger und Charlotte Freihse, Bertelsmann-Stiftung
Cathleen Berger und Charlotte Freihse, Bertelsmann-Stiftung Foto: Ansichtssache_Britta Schröder

Wenn man genau hinguckt, ist Threads keine allzu vielversprechende Alternative zu Twitter. Meta setzt dort vielmehr seinen Hang zu Überwachungskapitalismus, digitalem Kolonialismus und Aufmerksamkeitsökonomie fort, meinen Cathleen Berger und Charlotte Freihse von der Bertelsmann-Stiftung. Es sei an der Zeit, die echten Alternativen zu fördern.

von Cathleen Berger und Charlotte Freihse

veröffentlicht am 14.08.2023

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Wenn Elon Musk eines zu den positiven Entwicklungen im Bereich Platform Governance beigetragen hat, dann ist es wohl die Aufmerksamkeit auf Alternativen abseits von Twitter (jetzt X). Insbesondere das Netzwerk Mastodon hat vom Twitter-Chaos profitiert und die Debatte um eine demokratische(re) Gestaltung von Social-Media-Plattformen auf das Potenzial dezentraler Alternativen gelenkt.

Hier mischt jetzt auch Mark Zuckerberg mit: Dessen Konzern Meta bringt mit dem Launch von Threads sein eigenes dezentrales Netzwerk heraus. Berichten zufolge soll es in dasselbe Protokoll – Activity Pub – wie Mastodon integriert werden. So weit, so spannend. Und wenn es um Meta und neue Produkte geht, sind Superlative bekanntlich nicht weit. So schwankten die Daten zu den Nutzer:innenzahlen von Threads in den ersten Tagen seit Launch schwindelerregend zwischen fünf und 100 Millionen. Mittlerweile ist klar, dass sich tatsächlich rund 100 Millionen Nutzer:innen bei Threads angemeldet haben.

Diese Zahlen allein sprechen dafür, Threads als Alternative zu Twitter zu sehen. Doch inwiefern kann der Dienst auch mit dezentralen Alternativen wie Mastodon mithalten? Deren Potenzial liegt vor allem darin, mit den dominierenden Merkmalen großer sozialer Plattformen – Überwachungskapitalismus, digitaler Kolonialismus und Aufmerksamkeitsökonomie – zu brechen. Es stellt sich also die Frage, wie Threads hier im Vergleich abschneidet. Kann der Dienst Erwartungen an eine alternative Kommunikationsstruktur jenseits der etablierten profit-orientierten Strukturen erfüllen oder funktioniert die soziale App am Ende doch nach den gleichen Logiken wie alle anderen Meta-Plattformen auch – nur im Gewand eines dezentralen Netzwerkes?

Threads im Realitätscheck

Seit dem Launch von Threads ist die App in mehr als 100 Ländern verfügbar. Der Zugang für europäische Nutzer:innen wird vorerst jedoch nicht möglich sein – aus guten Gründen. Gleich zwei EU-Gesetze für den digitalen Raum soll der Nachrichtendienst verletzen: die Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) sowie Teile des Digital Markets Acts (DMA), der unter anderem Monopole großer Tech-Unternehmen in der EU reglementiert. Bitter ist das vor allem für den Anbieter Meta, denn die EU bildet einen Kernmarkt des Tech-Unternehmens. Für die EU-Nutzer:innen selbst bietet diese vorläufige Blockade eine Möglichkeit, noch einmal innezuhalten und abzuwägen, ob ein Account auf Threads sinnvoll ist oder nicht.

Die Anmeldung bei Threads erfolgt über ein bestehendes Instagram-Konto. Das bedeutet, dass alle Daten und getrackten Informationen der Nutzer:innen von Instagram zu Threads mitwandern und dort genutzt werden können – das genaue Gegenteil dessen, wie dezentrale Netzwerke wie Mastodon konzipiert sind. Dies legt nahe, dass Threads dem Geist des Überwachungskapitalismus treu bleiben wird, so wie es andere Meta-Apps auch tun. Nur in einem neuen, dezentralisierten Erscheinungsbild.

Ein Blick auf das Geschäftsmodell zeigt: Die Aufmerksamkeitsökonomie bestimmt nach wie vor die Spielregeln. Dabei werden die „Feeds“ von Nutzer:innen mithilfe von Algorithmen nach vermeintlicher Relevanz sortiert und vor allem personalisiert, die es schwierig machen können, sich der Plattform zu entziehen. Threads und Instagram verlinken nunmehr Daten der Nutzer:innen über Plattformen hinweg. Meta hat Threads zudem so designt, dass ein Verlassen der App beziehungsweise das Löschen des Accounts nur möglich ist, wenn man gleichzeitig den Instagram-Account löscht.

Also: Threads ist zwar dezentral, aber nur in einem von Meta kontrollierten Bereich. Allein schon aufgrund der Größe des Duos Instagram und Threads könnte das eine Gefahr für das größere Fediverse darstellen – hinter dem Begriff verbirgt sich ein Netzwerk aus voneinander unabhängigen sozialen Netzwerken. Im Übrigen, so erste Nutzer:innenberichte aus den USA, scheinen die Regeln zur Moderation von Inhalten von Instagram auch auf Threads zu gelten.

Ist ein besseres Netzwerk möglich?

Dass es auch anders ginge, zeigt ein Blick auf Mastodon: Hier ist der Feed chronologisch sortiert, Beiträge werden nicht algorithmisch verstärkt und es gibt kein Anzeigentracking – einfach, weil es keine Anzeigen gibt. Technisch gesehen könnten Instanzen – also die miteinander verbundenen Server, die ein Netzwerk bilden – sich für verschiedene Datenrichtlinien und Finanzierung durch Anzeigen entscheiden. Dies würde jedoch eine erhebliche Anpassung an die Interaktion mit anderen Instanzen erfordern, die ein solches Verhalten nicht zulassen. Das bedeutet, dass es auf Mastodon derzeit keine Designelemente gibt, die versuchen, Nutzer:innen möglichst lange auf der Plattform zu halten, um ihnen mehr Anzeigen zu zeigen. Die Aufmerksamkeitsökonomie bleibt außen vor. Ob und inwieweit Instanzen des größeren Fediverse vor diesem Hintergrund mit Threads interagieren oder die Anwendung eher blockieren werden, ist derzeit noch offen.

Dezentrale Netzwerke haben definitiv das Potenzial, ihre technikaffine Blase hinter sich zu lassen und eine breitere, vielfältigere Nutzer:innenbasis zu gewinnen. Dabei geht es jedoch nicht nur um den bloßen Zugang zu einer Plattform. Ebenso ist es relevant, wie sehr sich die Social-Media-Anbieter um die Nutzer:innen in Ländern außerhalb der Kernmärkte kümmern, einschließlich der Inhaltemoderation. Ohne eine drastische Änderung in der Politik des Mutterunternehmens von Threads, Meta, wird die App voraussichtlich bestehende Muster des digitalen Kolonialismus verstetigen und somit Menschen im globalen Süden benachteiligen.

Kurzum: Trotz des Hypes verharrt Threads in den bekannten Nachteilen kommerzieller sozialer Plattformen. Mit Blick auf die Nutzer:innenzahlen mag Threads zwar eine Alternative zu Twitter darstellen; stärker am Gemeinwohl ausgerichtet oder gar potenziell demokratiefördernd ist die App aber nicht.

Wie echte Alternativen gefördert werden können

Umso mehr kommt es darauf an, dass die echten Alternativen zu den kommerziellen Plattformen, wie zum Beispiel Mastodon, nicht in der Versenkung verschwinden. Sie müssen ihr Potenzial für eine alternative, gesündere kommunikative Infrastruktur endlich in der Breite entfalten können.

Aber was genau braucht es für diese Breitenwirkung von Alternativen? Die zentrale Herausforderung des Fediverse ist das (fehlende) Geschäftsmodell. Denn eines liegt auf der Hand: Betrieb, Administration, Marketing, etc. von dezentralen Plattformen lassen sich nicht dauerhaft und ausschließlich durch unentgeltliche Arbeit stemmen. Ab einer bestimmten Größe reicht der Idealismus der Gründerinnen und Gründer nicht mehr aus. Wer hier weiterhin vollen Einsatz leisten möchte, benötigt Zeit und eine finanzielle Absicherung.

An Konzepten mangelt es zum Glück nicht. Ob Abo-Modelle, öffentliche Gelder, digitales Ehrenamt oder eine institutionelle Förderung von zivilgesellschaftlichen Beratungsstellen, die rechtlichen Beistand leisten oder Best Practices für die Inhaltsmoderation entwickeln – die Palette an Vorschlägen ist breit und der Raum für Experimente vorhanden. Es ist an der Zeit, die Ideen in die Praxis zu bringen. Damit Mastodon und Co. tatsächlich zu einer echten und dauerhaften Alternative zu den Kommerz-Giganten aus dem Silicon Valley reifen können.

Cathleen Berger ist als Co-Leiterin des Projektes „Upgrade Democracy“ und Senior Expert für Zukunftstechnologien und Nachhaltigkeit bei der Bertelsmann-Stiftung tätig. Darüber hinaus berät sie gemeinwohlorientierte Unternehmen und Organisationen bei Strategien zu Klimafragen und sozialer Wirkung.

Charlotte Freihse ist Projektmanagerin im Projekt „Upgrade Democracy“ der Bertelsmann-Stiftung und beschäftigt sich dort vor allem mit Platform Governance und Desinformation sowie den Auswirkungen digitaler Technologien auf öffentliche Meinungsbildung und Diskurs.

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