Während Nationen wie die USA, China und Indien nach den Sternen greifen, droht Europa bei der kommerziellen Nutzung des Weltraums den Anschluss zu verlieren. Die globale Wettbewerbsfähigkeit ist aufgrund der zunehmenden Abhängigkeit vieler Branchen von Satellitentechnologien jedoch nicht nur im Bereich der Raumfahrt gefährdet: Europa läuft auch Gefahr, seine technologische Unabhängigkeit zu verlieren. Zentral für dieses Problem ist das Fehlen eines gesamteuropäischen Denkansatzes. Hiermit befasst sich eine kürzlich bei der Friedrich-Naumann-Stiftung erschienen Studie.
Satellitentechnologien sind unverzichtbar
Der Markt für raumfahrtgestützte Lösungen ist bereits jetzt groß und soll bis 2040 auf über 1,2 Billionen Euro weltweit anwachsen. Satellitentechnologien sind längst kritische Infrastrukturen, die Wirtschaft und Staat maßgeblich unterstützen. Sie helfen, neue Märkte und Fähigkeiten zu erschließen – in der Telekommunikation, der Landwirtschaft, der Mobilität und der Verteidigung: Ob „Workation“ auf einer Insel im Pazifik oder Highspeed-Internet im Flugzeug sowie auf hoher See.
Auch Landwirte können bessere Entscheidungen über Aussaat, Fruchtfolge und Erntezeitpunkt treffen und in der Automobilindustrie sollen Satelliten-Konstellationen mit Tausenden von Satelliten in Zukunft das autonome Fahren unterstützen. Genauso ist es bei Naturkatastrophen, wo Satelliten die Kommunikation zwischen Helfern und Betroffenen auch dann sicherstellen, wenn die terrestrische Infrastruktur zerstört ist. Waldbrände werden frühzeitig erkannt und damit besser bekämpft. Und selbst Kriegs- und Krisengebiete können über Satelliteninfrastruktur mit Internet versorgt werden.
Wirtschaftliche Chancen und regulatorische Herausforderungen
Trotz des wachsenden Bedarfs fehlt es international am Willen, die regulatorischen und sicherheitspolitischen Herausforderungen anzugehen, die der Boom mit sich bringt. Der dichte Verkehr im Weltraum erhöht die Gefahr von Kollisionen und erzeugt Weltraumschrott. Trümmerteile legen im All viele Kilometer pro Sekunde zurück und bereits der Zusammenstoß mit winzigen Farbpartikeln kann Satelliten beschädigen. Deshalb ist ein koordiniertes Orbitmanagement nötig und internationale Vereinbarungen müssen geschlossen werden, die eine faire und sichere Nutzung von Satelliteninfrastruktur und Frequenzen, also Senderechten, gewährleisten. Was sind die weiteren Risiken, die bewältigt werden müssen oder Lösungen, die entwickelt werden sollten?
Risiko von Monopolen
Riskant ist die Dominanz einzelner Akteure. Die niedrigen Kosten für den Zugang zum Weltraum und die tausende Satelliten umfassende Starlink-Konstellation haben zu einer Monopolstellung von Elon Musks Space X geführt. Unternehmer wie Musk und Staaten wie China haben frühzeitig erkannt, dass Satellitennetzwerke ein Schlüsselfaktor für die globale Wirtschaftsentwicklung sind – und entsprechende Prioritäten gesetzt.
Zwar wird die globale Sicherheitsordnung von den USA und ihren Verbündeten dominiert, die Wirtschaftsordnung hingegen von den USA und China. Daneben gibt es aber die neue Weltmacht der Technologie. Unternehmen wie Space X können – zumindest teilweise – bestimmen, wer kommunizieren kann und welche Informationen verbreitet werden. Damit stellen sich wichtige Fragen nach der Rolle und Verantwortung solcher Unternehmen und deren Umgang mit dieser Verantwortung.
Dies wirft Fragen nach der technologischen und sicherheitspolitischen Souveränität Europas auf. Denn nicht nur die Wirtschaft ist auf eine funktionierende Satellitentechnik angewiesen. Im Konfliktfall sollte unser Zugang zu weltraumgestützten Informationsnetzen und lebenswichtigen Diensten sicher sein. Europa ist hier zu passiv. Es darf nicht riskieren, dass externe Kommunikationsdienste Daten kompromittieren oder überwachen. Und die Verfügbarkeit oder die Nutzungsbedingungen für kritische Infrastruktur dürfen nicht von unvorhersehbaren geopolitischen Entwicklungen beeinflusst werden.
Maßnahmen zur Stärkung Europas als globaler Raumfahrtakteur
Es ist höchste Zeit für eine eigenständige europäische Raumfahrtpolitik. Diese sollte darauf abzielen, technologische Unabhängigkeit und globale Wettbewerbsfähigkeit zu erreichen, auch durch eigene Trägerraketen und eine eigene Megakonstellation für kommerzielle und staatliche Nutzung. Mit IRIS2 war eine europäische Antwort auf Starlink vorgesehen. Aufgrund von Budgetproblemen und Unstimmigkeiten zwischen den großen europäischen Staaten über die Beteiligungsquote der heimischen Industrie ist deren Zukunft aber ungewiss.
Dabei wäre europäische Geschlossenheit heute wichtiger denn je. Durch die Förderung von Innovationen in der Raumfahrt kann Europa nicht nur eine führende Rolle in diesem hochdynamischen Sektor einnehmen, sondern auch den digitalen Wandel in anderen Industrien vorantreiben. Damit Europa nicht ins Hintertreffen gerät, ist europäisches Denken und schnelles Handeln gefragt, statt politisch motivierter, halbherziger Kompromisse. Um das Potenzial junger Unternehmen besser zu nutzen, müssen Vergabeverfahren flexibler werden, beispielsweise durch innovationsorientierte Vergabekriterien und Innovationspartnerschaften. Ankeraufträge statt Subventionen sind ein probates Mittel, neue Akteure besser einzubinden.
Es muss mehr in Raumfahrtprojekte und -technologien investiert werden und Risikokapital in innovative Technologien und Start-ups fließen. Denn selbst wenn nicht alle erfolgreich sein werden, wird sich ihre Präsenz auf dem Markt positiv auswirken. Dadurch wird ein echter europäischer Wettbewerb in der Raumfahrt begünstigt, bei dem die Vergabe von Raumfahrtaufträgen nicht vom Herkunftsland abhängt, sondern von der Leistung.
Raumfahrt als Teil einer vernetzten High-Tech-Strategie für Europa
Aufgrund der Verflechtungen vieler Industrien mit der Raumfahrt, ist ein starker Raumfahrtsektor langfristig für alle europäischen Partner besser – unabhängig davon, wer Aufträge gewinnt. Sonst zahlen andere Industriezweige wie die Automobilindustrie und der Maschinen- und Anlagenbau die Zeche. Diese Branchen müssen noch stärker mit dem Raumfahrtsektor zu einem Ökosystem verbunden werden. Technologieförderung in der Raumfahrt darf nicht isoliert betrachtet werden, sondern muss integraler Bestandteil einer vernetzten High-Tech-Strategie sein.
Um Deutschland im Spiel zu halten, sollten wir insbesondere diejenigen Raumfahrttechnologien fördern, in denen bereits Marktführerschaft und Wachstumspotenzial bestehen, wie beispielsweise die optische Kommunikation. Gleichzeitig müssen Kompetenzen in künftigen Wachstumsfeldern wie der weltraumgestützten Solarenergie, der Fertigung im Weltraum oder der Erschließung von Ressourcen auf dem Mond aufgebaut werden.
Europa darf nicht zum Zuschauer werden, während andere die Regeln der globalen Raumfahrt diktieren. Eine stringente Schlüsseltechnologie-Roadmap mit mittel- und langfristigen Zielen kann helfen, Start-ups den Markteintritt zu erleichtern und die Europas Chancen in sich entwickelnden Märkten zu erhöhen. Für die künftige Wettbewerbsfähigkeit in neuen Anwendungsbereichen wie Augmented Reality oder der Vernetzung von Fahrzeugflotten geht es aber auch um die Sicherung von Frequenz- und Orbitalrechten auf internationaler Ebene und die Beteiligung an der Entwicklung von 6G-Standards. Nur wenn europäische Interessen berücksichtigt werden, können europäische Unternehmen eine führende Rolle in diesem lukrativen Markt spielen. Dafür sind Entschlossenheit und rasches Handeln notwendig.
Prof. Dr. Rafaela Kraus ist Vizepräsidentin für Entrepreneurship an der Universität der Bundeswehr München. Sie hat 2021 das Accelerator-Programm „SpaceFounders“ für europäische Raumfahrt-Start-ups ins Leben gerufen und ist Expertin für Dual-Use-Entrepreneurship.