Erweiterte Suche

Digitalisierung & KI

Standpunkte Messen, messen, messen!

Laguna (l.) und Ramge (r.), Autoren von „Sprunginnovationen“
Laguna (l.) und Ramge (r.), Autoren von „Sprunginnovationen“ Foto: Peter van Heesen/Rafael Laguna

Bei der Evaluierung der Forschungsförderung gibt es große Defizite und Vorbehalte. Doch bessere Ergebnisse gibt es nur, wenn wir Innovation messen, Erfolge belohnen und auch Scheinerfolge nicht weiter fördern, schreiben Rafael Laguna und Thomas Ramge.

von Rafael Laguna und Thomas Ramge

veröffentlicht am 21.09.2021

Lernen Sie den Tagesspiegel Background kennen

Sie lesen einen kostenfreien Artikel vom Tagesspiegel Background. Testen Sie jetzt unser werktägliches Entscheider-Briefing und erhalten Sie exklusive und aktuelle Hintergrundinformationen für 30 Tage kostenfrei.

Jetzt kostenfrei testen
Sie sind bereits Background-Kunde? Hier einloggen

„If you can’t measure it, you can’t manage it.“ Das Zitat und die Theorie dahinter gehören zu den vielen klugen Hinterlassenschaften des Ökonomen und Managementvordenkers Peter Drucker. Es hat auch für die Innovation Bestand. Und es gibt den zentralen Hinweis, wie wir Innovationsprozesse im Zusammenspiel von Forschung, Staat und Markt so organisieren, dass sie nicht im bürokratischen Klein-Klein versanden, sondern ergebnisorientiert fördern und unterstützen. Die entscheidende Frage hierbei ist freilich: Was messen wir?

Innovation ist insbesondere in der Frühphase des Prozesses nicht leicht zu quantifizieren, denn es gibt in der Regel noch keine harten Indikatoren, ob aus einer Idee ein erfolgreiches Produkt, ein effizienterer Prozess oder gar eine in viele Bereiche hineinragende, radikal bessere Lösung wird. Das hat im bestehenden Fördersystem leider zu zwei kontraproduktiven Entwicklungen bei der Vergabe und Kontrolle von Forschungs- und Entwicklungsmitteln geführt.

Besonders im Bereich der Grundlagenforschung spürt man doch recht oft den Widerwillen vieler Forschender, sich echten Evaluierungsprozessen zu stellen. Gemeint ist damit eine Evaluierung, die ernsthaft die Frage stellt, was ist eigentlich das Ziel des Forschungsprojekts und wie schafft dieses Ziel, sofern es erreicht wird, wissenschaftlichen, gesellschaftlichen oder ökonomischen Mehrwert. Wenn Forschungspolitiker diese Frage stellen, machen sie sich umgehend verdächtig, die Freiheit der Wissenschaft nicht ausreichend zu achten. Ob Wilhelm von Humboldt sich da immer richtig verstanden sähe?

Mehr Pasteur wagen

Die zu strikte Trennung von Grundlagenforschung ohne Nutzenperspektive und anwendungsnaher Forschung scheint nicht nur uns zunehmend zu eindimensional gedacht – und ist auch kein auf Deutschland und Europa begrenztes Phänomen. Auch in den USA mehren sich die Stimmen, dass Grundlagenforschende sich weniger in Abgrenzung zu Anwendungsforschenden definieren sollten, sondern eher an Louis Pasteur orientieren. Der US-amerikanische Politikwissenschaftler Donald Stokes hat in diesem Zusammenhang schon 1997 das Bild vom „pasteurschen Quadranten“ in die Diskussion eingeführt. Thomas Edison ging es nur um die Anwendung, Niels Bohr nur um die Theorie, doch den größten Fortschritt brachte der Mikrobiologe Pasteur, der das Wissen und die Anwendung für Impfungen der Welt bescherte.

Nun könnte die Welt heute gewiss noch mehr Edisons und Bohrs gebrauchen. Aber für das Ziel, Wissen mit Anwendungsbezug zu schaffen, sollte sich kein Wissenschaftler rechtfertigen müssen. Doch genau das ist in der akademischen Kultur heute oft der Fall. Der reflexartige Bezug auf die „Freiheit der Akademie“, sobald messbare Kriterien von Forschungs- und Wissenschaftsförderung in den Raum gestellt werden, klingt für uns oft genug nach Ausrede der Forschenden. Und es ist in unserer Wahrnehmung auch immer wieder Ausdruck eines mangelnden Verständnisses für die Rolle von Wissenschaft als gesellschaftlich finanzierter Wegbereiter von gesellschaftlichem Fortschritt und Wohlstand.

Als taktische Ausweichmanöver werden dann mitunter scheinbar harte Kennziffern präsentiert, wie Zitationszahlen und Hirsch-Index. Die für den eigenen Innovationsbeitrag aber unter Umständen aussagekräftigere Anzahl von Publikationen mit sogenanntem High Impact Factor werden im Gegenzug unter den Tisch fallen gelassen, wenn diese nicht so gut ausfallen, wie es in Deutschland im Vergleich mit den USA und China zurzeit sehr oft der Fall ist.

Ausgründungen sind härteste Kennziffer

Nahezu grotesk erscheint es uns, wenn als Kennzahl für Forschungserfolg die Quote der abgerufenen Forschungsmittel aus einem bestimmten Fördermitteltopf gemessen wird. Die wohl härtesten Kennziffern für Innovationserfolge auf Grundlage von Forschungsförderung sind die Anzahl der Ausgründungen aus Forschungsorganisationen, die Anzahl von guten Arbeitsplätzen, die sie schaffen, die Umsätze, Gewinne und Firmenwerte, die durch die Gründungen entstehen, die Rückflüsse an Staat und Gesellschaft durch gezahlte Unternehmenssteuern oder auch die Anzahl eingesparter Tonnen Kohlendioxids, sollte es sich um eine Ausgründung im Bereich Umwelttechnologie handeln.

Es ist kein statistisches Hexenwerk, diese Daten zu erfassen und verständlich aufzubereiten. Bei US-Universitäten und Forschungseinrichtungen ist es üblich, und auch deutsche Hochschulen mit hohen Ausgründungsambitionen wie die Technische Universität München schaffen Transparenz. Der Hauptgrund im Fall der TUM dürfte sein: Die Zahlen fallen dort gut aus, weil Transfer von staatlich finanzierter Forschung in wirtschaftliche Verwertung da seit vielen Jahren systematisch gelehrt und gefördert wird, befeuert durch die Aktivitäten von Susanne Klattens UnternehmerTUM. Der Aufstieg des KI-Start-ups Celonis zum sogenannten Decacorn, also zu einem Unternehmen mit einer Bewertung von mehr als zehn Milliarden Dollar, ist hierfür ein besonders beeindruckendes Beispiel.

Auch erfolgreiche Partnerschaften von Forschungseinrichtungen und Unternehmen lassen sich gut messen, zum Beispiel mit den Umsätzen von mit Patenten hinterlegten Produkten und neuen Anwendungen. Diese Zahlen ließen sich im Sinne Peter Druckers ebenfalls sehr gut nutzen, um Fördermittel effizienter zu steuern. Dies geschieht aber in Deutschland nicht systematisch. Die Vermutung liegt nahe, dass eine genaue Auflistung zu dem Ergebnis kommen könnte, dass der Input in Forschungsförderung möglicherweise in keinem zu guten Verhältnis zu dem innovativen Output aus den großen Forschungsorganisationen steht. Der FDP Forschungspolitiker Thomas Sattelberger hat in diesem Zusammenhang die so bildhafte wie böse Formulierung von den „fetten Katzen“ geprägt. Sie scheint uns ein wenig harsch. Unstrittig ist: Es muss das Ziel deutscher und europäischer F&E Förderung sein, dass die Geförderten mehr Mäuse fangen.

Amerikanische und asiatische Katzen sind fitter, zielstrebiger und werden regelmäßig gewogen. Für die Übergangsphase hin zu besserem Innovationstransfermanagement könnte es helfen, etwas weichere Frühindikatoren zu erheben, die darauf hindeuten, dass Ambition für Transfer zumindest in den Wissenschaftsorganisationen mehr und mehr verankert ist. Dazu wäre es wichtig zu wissen, wie viele junge Forschende in unternehmerischem Denken geschult wurden.

Misserfolge messen, Projekte früher beenden

Steuerung mithilfe messbarer Evidenz muss dann freilich auch bedeuten: Scheinerfolge reichen nicht, um weiter gefördert zu werden. Eine agile, outputorientierte Innovationsförderung eines unternehmerischen Staates muss den Mut entwickeln, Projekte früher zu beenden. Hier scheint uns die Max Planck Gesellschaft ein gutes Vorbild zu sein. Sie wickelt auch mal Institute ab, wenn sich die Forschungsfrage erledigt hat. Hier schließt sich dann der Kreis von Kulturwandel einer entbürokratisierten, staatlichen Forschungs- und Entwicklungsförderung und harter Evaluierung getreu dem Mantra der Expertenkommission für Innovation: Messen, messen, messen!

Erfolg messen heißt auch, Misserfolg messen. Gescheiterte Forschungsprojekte sind zunächst kein Fehler, genauer: keine Fehlentscheidung derjenigen, die Forschungsmittel bewilligt haben. Sie werden erst zum Fehler, wenn sie weiter gefördert werden, weil niemand zugeben möchte, dass eine Investition sich nicht ausgezahlt hat. Verhaltensökonomen wie Daniel Kahneman und Amos Tversky haben in vielen Experimenten belegt, wie schwer es uns fällt, sogenannte sunk cost – versenkte Kosten, die nicht wieder rückgängig gemacht oder durch Erlöse gedeckt werden können – zu akzeptieren. Wir neigen dazu, Fehlinvestitionen immer mehr Geld nachzuwerfen, weil wir uns nicht eingestehen können, Geld versenkt zu haben.

Bürokratien leiden unter diesem Bias besonders stark, weil die Rechtfertigung jeder Entscheidung so stark im bürokratischen System verankert ist. Fehlinvestitionen liegen in der Natur von Investitionen, die technologische Sprünge ermöglichen sollen. Wer den „Sunk Cost Bias“ nicht überwindet, hat kein Geld für den nächsten Sprung. Der ehemalige DARPA-Direktor und jetzige Co-Direktor von Wellcome Leap, Ken Gabriel, sagt dazu: „It‘s acceptable to fail. What‘s not acceptable is not knowing if you‘ve failed.“

Rafael Laguna de la Vera leitet die Agentur für Sprunginnovationen. Thomas Ramge hat in Techniksoziologie über Künstliche Intelligenz promoviert und ist ein erfolgreicher Sachbuchautor. Gemeinsam haben beide das gerade erschienene Buch „Sprunginnovation - Wie wir mit Wissenschaft und Technik die Welt wieder in Balance bekommen“ verfasst. Der vorliegende Beitrag ist ein Auszug daraus.

Lernen Sie den Tagesspiegel Background kennen

Sie lesen einen kostenfreien Artikel vom Tagesspiegel Background. Testen Sie jetzt unser werktägliches Entscheider-Briefing und erhalten Sie exklusive und aktuelle Hintergrundinformationen für 30 Tage kostenfrei.

Jetzt kostenfrei testen
Sie sind bereits Background-Kunde? Hier einloggen