Nach zwei Jahren im digitalen Exil findet die Republica diese Woche wieder als Festival der digitalen Gesellschaft im realen Leben statt. Vom 8. bis zum 10. Juni kommen tausende Besucher:innen auf dem Gelände zusammen, das in diesem Jahr die Arena Berlin, den Festsaal Kreuzberg, das Badeschiff, die Hoppetosse und den Flutgraben umfasst.
Unter dem Motto „Any way the wind blows“ werden sich fast 1.000 Sprecher:innen in 500 Vorträgen, Diskussionen, Meet-ups und Workshops über zahlreiche Facetten einer sich entfaltenden digitalen Gesellschaft austauschen, diskutieren und reflektieren. Mit dabei sind zahlreiche Vertreter:innen der Bundesregierung, was die wachsende Bedeutung digitalpolitischer Fragestellungen unter Beweis stellt.
Im Vordergrund stehen programmatisch vor allem die vier großen Krisen der Gegenwart:
Wie gestalten wir die ökologisch-soziale Transformation in Zeiten der Klimakrise? Sind wir als Gesellschaft vorbereitet? Welche Entwicklungen machen Hoffnung, und wie können wir Digitalisierung und Klima zusammen denken?
Der Angriffskrieg auf die Ukraine hat aktuell große Auswirkungen auf unser Leben und die Republica interessiert vor allem die medialen und digitalen Aspekte: Wie wird das Netz genutzt, um zivilgesellschaftliches Engagement zur Aufnahme von Geflüchteten zu ermöglichen, wie reagiert der Journalismus auf die neuen Herausforderungen und sind wir als Rezipienten gegen diesen Informationskrieg gewappnet?
Digitaler Fortschritt und praktische Fragen Thema auf der Republica
Auch wenn Corona für viele vorbei zu sein scheint, leben wir immer noch in pandemischen Zeiten. Die Pandemie stellt uns nicht nur organisatorisch vor Herausforderungen, denen wir mit vielen Außenflächen auf dem Gelände und einer Maskenpflicht in kleineren Räumen begegnet sind. Auch programmatisch gibt es viel aufzuarbeiten: Sind wir ausreichend auf neue Wellen im Herbst und Winter vorbereitet? Welche Fortschritte haben Breitbandausbau, E-Government und die Digitalisierung des Bildungssystems in den vergangenen zwei Jahren gemacht? Welche medialen Aspekte dieser Pandemie gilt es zu reflektieren?
Und dann widmen wir uns noch der vierten Krise der Gegenwart, der Pandemie der Desinformation. Obwohl die Verhandlungen zum Digital Services Act auf EU-Ebene beendet sind, bleiben zahlreiche Fragen offen: Was wurde konkret beschlossen? Reicht das aus? Und wer setzt das durch? Praktischen Themen werden wir ebenfalls nachgehen, wie zum Beispiel resiliente Communities entstehen und wie man effektiver über den Rechtsweg gegen Täter:innen vorgehen kann.
Offene Fragen zu Marktmachtkontrolle, IT-Sicherheit und Chatkontrolle
Auch wenn es kurz nach dem Regierungswechsel etwas langweilig zu werden schien, kontroverse netzpolitische Themen gibt es wieder zahlreich und sie finden auf der Republica statt: Elon Musk will immer noch Twitter kaufen, weshalb Fragen der Marktmachtkontrolle sowie zu gemeinwohlorientierten Alternativen ebenso eine Rolle spielen wie die Debatte um mögliche Szenarien eines Web3 mit seinen Metaversen und neuen Geschäftsmodellen mit Non-Fungible Token zwischen Hoffnung und Scam.
Das Internet ist immer noch ein brüchiges Kartenhaus und viele Fragen zur IT-Sicherheit sind ebenso offen wie die Rolle von Staatstrojanern im Einsatz unserer Sicherheitsbehörden und Geheimdienste. Auf EU-Ebene wird die Netzneutralität erneut in Frage gestellt und die Pläne zu einer Chatkontrolle sind der größte derzeitige Angriff auf unsere digitalen Grundrechte. Wir sind als Veranstalter:innen gespannt, wie die zahlreichen Vertreter:innen der Bundesregierung diese Fragen adressieren.
Vetreter:innen der Bundesregierung auf Republica
Bundeskanzler Olaf Scholz hält eine Rede über Deutschlands und Europas Rolle in einer sich wandelnden digitalen Weltordnung. Digital- und Verkehrsminister Volker Wissing skizziert seine Pläne für eine Digitalstrategie und wie die Bundesregierung in diesem Feld zusammenarbeiten will. Innenministerin Nancy Faeser spricht über den resilienten Staat und über die Folgen des Ukraine-Krieges für das digitale Deutschland. Arbeitsminister Hubertus Heil diskutiert darüber, was eine moderne und faire Arbeitsgesellschaft ausmacht, und wie sie gelingen kann. Familienministerin Lisa Paus und Gesundheitsminister Karl Lauterbach stellen sich auf der Tincon, dem Jugendableger der Republica, den Fragen des jungen Publikums.
Viele Vertrer:innen der digitalen Zivilgesellschaft werden ihre Redezeiten dafür nutzen, Stellung zu beziehen, Hintergründe zu beleuchten und Teilnehmende zu motivieren, sich für eine lebenswerte digitale Gesellschaft einzusetzen.
Der Ampel-Koalitionsvertrag hat versprochen, diese digitale Zivilgesellschaft mehr in digitalpolitische Prozesse einzubinden. Bisher ist das ein Versprechen, das noch auf Erfüllung wartet. Vielleicht ist diese Republica der Startpunkt für einen besseren Dialog zwischen Zivilgesellschaft und Bundesregierung zur gemeinsamen Gestaltung unserer digitalen Zukunft.
Markus Beckedahl ist Mitbegründer der Republica und kuratiert federführend das Programm des diesjährigen Festivals. Er ist Gründer der Nachrichtenseite „netzpolitik.org“, die er bis März dieses Jahres auch als Chefredakteur geleitet hat.