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Digitalisierung & KI

Standpunkte Warum der Digitalpakt nur gemeinsam klappt

Thomas Dickert, Präsident des Oberlandesgerichts Nürnberg
Thomas Dickert, Präsident des Oberlandesgerichts Nürnberg Foto: OLG Nürnberg

Um die deutsche Justiz zukunftssicher und krisenfest zu machen, braucht es den im Koalitionsvertrag versprochenen Digitalpakt, schreibt Thomas Dickert, Präsident des Oberlandesgerichts Nürnberg. Doch nur in einer Zusammenarbeit von Bund und Ländern kann dieser gelingen.

von Thomas Dickert

veröffentlicht am 07.11.2022

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Eine unabhängige und funktionsfähige Justiz ist für den Rechtsstaat und die Demokratie von zentraler Bedeutung. Der Rechtsstaat setzt den staatlichen Strafanspruch durch, gleicht divergierende Interessen aus, ist ein Standortvorteil für die Wirtschaft und schützt Minderheiten sowie schwächere Individuen. Er verhilft Rechtsuchenden in einem transparenten und fairen Verfahren zu ihrem Recht. Dies alles gilt noch verstärkt in krisenhaften Zeiten. Um den Rechtsstaat und die Justiz krisenfest und zukunftssicher zu gestalten, braucht es aus meiner Sicht dreierlei: 

Erstens: die nötigen personellen und sachlichen Ressourcen, um die immer komplexer und vielfältiger werdenden Aufgaben gut und zugleich schnell bewältigen zu können. 

Zweitens: moderne, funktionsfähige und sichere digitale Tools, um die Effizienz der Aufgabenerledigung zu steigern und außerdem zeitgemäß mit den rechtsuchenden Bürgerinnen und Bürgern zu kommunizieren. 

Und drittens: die Weiterentwicklung der Prozessordnungen im Sinn einer Transformation in das digitale Zeitalter. 

Justiz fehlen digitale Tools 

Am Beispiel der massenhaft eingereichten Einzelklagen wegen (wirklich oder vermeintlich) manipulierter Abgassoftware bei Dieselfahrzeugen wird dies deutlich: Für die zeitgerechte Bewältigung der tausenden Klagen reichen die verfügbaren Ressourcen bei Weitem nicht aus. Digitale Tools zur Aufbereitung der Sachverhalte stehen bisher kaum zur Verfügung. Und die Zivilprozessordnung sieht keine Instrumente vor, um die ähnlich gelagerten Sachverhalte und die wiederkehrenden Rechtsfragen mit einem hohen Effizienzgrad zu bewältigen. 

Wichtig wäre beispielsweise ein Vorabentscheidungsverfahren zum Bundesgerichtshof, das den Instanzgerichten ermöglicht, grundlegende Rechtsfragen rasch zu klären. Dies würde die Sicherheit geben, dass die Entscheidungen der Instanzgerichte beim Bundesgerichtshof Bestand haben und wäre eine gute Grundlage für einvernehmliche Regelungen. Günstig wäre auch, wenn bei gleichgelagerten Fällen ein Pilotverfahren ausgeführt werden könnte und die übrigen Verfahren bis zu dessen Abschluss ausgesetzt werden könnten. Im Rahmen der Umsetzung der europäischen Verbandsklagerichtlinie sollten Möglichkeiten kollektiver Geltendmachung gleichgelagerter Schäden mit möglichst weitreichender Verbindlichkeit und dem Ausschluss von Individualklagen geschaffen werden.

Digitalpakt steckt fest

Die Crux besteht dabei darin, dass die Justiz im Wesentlichen Ländersache ist, aber die Gesetze vom Bund verantwortet werden. Wenn der Bund nicht auf die praktische Expertise und die Bedürfnisse der Länder achtet, entsteht ein praxisfernes und damit schwer zu handhabendes Recht, das die Aufgabenerledigung zusätzlich erschwert. Die Länder ihrerseits verfügen über eine unterschiedliche Leistungskraft, was bei der Schaffung von Ressourcen und bei der digitalen Transformation unterschiedliche Geschwindigkeiten erzeugt.

Die Idee, einen „Pakt für den Rechtsstaat“ zwischen Bund und Ländern einzurichten, war vor diesem Hintergrund eine geniale Idee. In der vergangenen Legislaturperiode ist zur Umsetzung auch schon Einiges geschehen; insbesondere wurden mit einer Anschubfinanzierung des Bundes über 2.000 neue Stellen für Richterinnen und Richter geschaffen.

Die Fortsetzung des Pakts und seine Ergänzung um einen Digitalpakt für die Justiz in der Koalitionsvereinbarung der Ampel schienen diesen guten Weg aufzugreifen, fortzusetzen und zu erweitern. So wäre es hilfreich, wenn der Bundesgesetzgeber verbindliche Digitalisierungsziele vorgibt, wie er dies im Bereich der elektronischen Aktenführung sehr erfolgreich getan hat. Außerdem bedarf es für die IT-Architektur und die IT-Schnittstellen verbindliche einheitliche Standards, damit die unterschiedlichen Systeme miteinander kompatibel sind, um bundesweit eine effiziente digitale Justiz zu fördern.

Leider stecken die Verhandlungen zwischen dem Bundesjustizministerium und den Landesjustizverwaltungen hierzu fest. Es ist zu hoffen, dass sie nicht in einer Sackgasse enden. Denn es wäre dringend notwendig, die Justiz für die bevorstehenden Krisenzeiten wetterfest und resilient zu machen. Wenn hierzu jedes der 16 Länder das Rad wieder selbst neu erfindet, werden wir nicht in der gebotenen Geschwindigkeit vorankommen. Es geht nur, wenn Bund und Länder gemeinsam den Rechtsstaat in einer digitalen Welt gestalten. Eine gewisse Führungsrolle des Bundes wäre dabei durchaus von Vorteil.

Thomas Dickert ist seit April 2018 Präsident des Oberlandesgerichts Nürnberg. Im Auftrag der Präsidentinnen und Präsidenten der Oberlandesgerichte leitete er eine Arbeitsgruppe, die Vorschläge zur Modernisierung der Zivilprozessordnung erarbeitet hat. 

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